Chronik/Oberösterreich

„Sind wie eine kleine UNO-City“

In 40 Sprachen das Wort Friede. Alle Gänge des Schulzentrums der „Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau“ in Wiens 15. Bezirk sind vom „Friedensband“ umschlungen. 42 Muttersprachen sprechen die 1450 Schülerinnen und Schüler in den sechs Bildungseinrichtungen des Zentrums: Kindergarten, Volksschule, Mittelschule, Gymnasium, Realgymnasium, Handelsschule, HAK-Aufbaulehrgang, Nachmittagsbetreuung.

Der Migrantenanteil in den Klassen liegt jeweils zwischen 45 und 60 Prozent. Schwester Beatrix Mayrhofer war 18 Jahre Direktorin des Gymnasiums. Seit Jahresbeginn ist die Oberösterreicherin Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, der 120 Frauengemeinschaften mit 4200 Ordensfrauen angehören. Sie folgt in dieser Funktion der Vöcklabruckerin Kunigunde Fürst nach.

Mayrhofer (66) ist in Taufkirchen an der Tattnach geboren und wuchs unter ärmsten Verhältnissen auf. Ihr Vater war ab 1948 Mesner an der Welser Herz-Jesu-Kirche. 1971 trat sie in den Orden ein. Sie studierte Pädagogik, Psychologie und Theologie – unter anderem bei Joseph Ratzinger in Regensburg, dem heutigen Papst Benedikt XVI. Seit 2010 leitet sie die Provinz Österreich und Italien.

KURIER: Ihre sechs Schulen sind geradezu vorbildlich in der Integration, oder?
Beatrix Mayrhofer: Bis zu 60 Prozent unserer Kinder haben Deutsch als Zweitsprache. Das ist Programm. Wir sind wie eine hochlebendige kleine UNO-City. Zu meinen schönsten Erfahrungen in meiner Schulleitertätigkeit gehört ein Halbtag bei einer Reifeprüfung, an dem die Glory aus Indien mit gutem Erfolg, die Gorana aus Belgrad mit ausgezeichnetem Erfolg, der Timmy aus Taiwan mit normalem Ergebnis, der Patrick aus Wien mit ausgezeichnetem Erfolg, der Balos aus dem Ungarisch sprechenden Rumänien mit ausgezeichnetem Erfolg und ein Bursch aus Polen mit lauter Sehr gut maturiert haben. Das waren Kinder, deren Eltern nach Österreich gekommen sind, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft gesehen haben. Die Eltern sind alle arbeiten gegangen, um ihren Kindern durch eine gute Ausbildung eine gute Zukunft bieten zu können. Es ist wunderbar, wenn wir solchen Kindern die Wege in die österreichische Gesellschaft öffnen können.
Die Kinder sprechen neben Deutsch alle mindestens eine oder zwei Fremdsprachen. Das ist die Jugend, die Europa braucht. Davon bin ich überzeugt. Das zeigt auch der Berufsweg dieser Leute. Da ist die eine inzwischen Ärztin in London, der andere Rechtsanwalt mit seinem multikulturellen Hintergrund, der versteht, welche Probleme ein aus Rumänien kommender Bürger hat.

Warum tut sich Österreich mit den Asylanten und der Integration so schwer?
Es ist so viel Angst damit verbunden. In dem Augenblick, in dem die Menschen einander kennen, haben sie kein Problem mehr. Die Ausländer sind ein Phantom, gegen das auch politisch gekämpft wird. Ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung. In der Deutsch-Reifeprüfung ging es um die Auseinandersetzung mit dem Fremden. Ein Mädchen schreibt dazu eine umfangreiche Abhandlung, um mit dem Satz zu enden: Persönlich habe ich keine Erfahrung mit dem Fremden. In ihrer Klasse sitzen aber sieben Nationen. Ich habe sie auf diese Tatsache aufmerksam gemacht, worauf sie mir geantwortet hat, das sind ja keine Fremden. Es geht um die Begegnung und um das Aufbrechen von Vorurteilen.

Es bedarf vor allem des Abbaus von Ängsten.
Ja. Es bedarf aber auch einer sehr behutsamen Wohnpolitik. Man muss Gettobildungen vermeiden. Denn in abgeschlossenen Wohngebieten verlieren die Menschen die Notwendigkeit, die deutsche Sprache zu lernen. Es braucht eine Durchmischung.

Kann man die Wohnungspolitik in einem freien Markt tatsächlich steuern?
Es ist eine Frage der Wohnpreise. Man kann es insofern steuern, indem man die Mieten so ansetzt, dass sich auch Migranten eine Wohnung leisten können. In Wien wurden die Gemeindebauten jahrelang für die Migranten nicht geöffnet.
Die Folge davon war die Konzentration der Migranten in den Bezirken, in denen sie die Miete zahlen konnten. Es ist auch eine Tatsache, dass andere Ausländer zuziehen, wenn dort schon einer wohnt. Das würde ich als Österreicher, der irgendwo im Ausland lebt, genauso machen.
Weiters geht es auch darum, dass man in der Begegnung mit dem Islam die Imame gut schult. Ein Programm des Außenministeriums sieht vor, dass die Imame, die zu uns kommen, zuerst eine Studienwoche absolvieren. Sie kommen auch häufig zu uns ins Haus, weil wir hier auch islamischen Religionsunterricht anbieten. Die Offenheit, das Interesse und das Wissen voneinander sind ganz entscheidend.

Die Schulschwestern sind erst seit rund 150 Jahren in Österreich aktiv.
Der Orden ist 1853 von München nach Freistadt gerufen worden. Die Schwestern bauten damals den ersten Kindergarten Oberösterreichs auf. Der damalige Landesschulinspektor hieß Adalbert Stifter, den wir heute hauptsächlich als Schriftsteller kennen. Er äußerte schriftlich große Vorbehalte gegen den Orden, weil Bildung für die Frauen gefährlich sei und sie ihrem Dienstbotenstand entwöhnt werden könnten. Heute führen wir in Freistadt eine Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe mit Schwerpunkt Kommunikation, Mediendesign und Bionik. Man sieht, dass die Befürchtung von Adalbert Stifter durchaus berechtigt war.
Wir sind damals entstanden, weil im 19. Jahrhundert die Bildungsnot so groß war. Maria Theresia hatte die allgemeine Schulpflicht eingeführt, aber die Lehrer waren nicht vorhanden. Deshalb sind damals sehr viele sozial-karitative Gemeinschaften entstanden. Wir sind heute weltweit an die 4000 Schulschwestern in 36 Ländern.

Die Kirche befindet sich der äußeren Witterung entsprechend im tiefsten Winter.
Es ist Winter, aber es wächst viel Saat. Es gibt viele Aufbrüche, Neugründungen und viele Initiativen im sozial-karitativen Bereich. Ich sehe es kritisch, aber nicht so dramatisch. Wir könnten jetzt stundenlang darüber reden, ich will aber meine Energie dorthin investieren, wo es Positives gibt. Das Evangelium lebt, aber in einer anderen Form, als man es adressenmäßig festmachen konnte. Es lebt auch in den suchenden Menschen.

Wie ist Ihre Meinung zur Priesterweihe für die Frauen?
Ich persönlich will für dieses Thema nicht kämpfen. Es gibt eine klare Entscheidung. Ich konzentriere mich darauf, wo ich etwas bewegen kann. Alles, was wir heute im katholischen Kontext denken, müssen wir auch im ökumenischen Kontext sehen. Die Priesterweihe für die Frau würde uns sehr viel stärker wegbringen von der orthodoxen Kirche.