Ein würdevolles Leben bis zum Schluss
Ruhig sitzt Herr W. am Bett seiner Frau, immer wieder streichelt er sie, redet mit ihr. Frau W. erholt sich von der Körperpflege und dem Frühstück. Sie ist krank, sehr krank: „Hier haben wir Zeit für die letzte Zeit“, sagt Herr W. Immer wieder klinkt sich Frau W. ins Gespräch ein und vermittelt dabei ein großes Gefühl: Dankbarkeit. „Ihr habt goldene Hände, eure Hände sind wirklich Goldes wert!“, sagt sie zu Rosemarie Kapplmüller, der Leiterin des Sankt Barbara Hospiz’.
Das Zimmer ist liebevoll gestaltet, mit einer kleinen Bücherecke und vielen Fotos und Kunstwerken der Kinder und Enkelkinder. „Ich habe so eine schöne, gute Familie. Ich möchte keine Viertelstunde meines Lebens missen“, schaut Frau W. zurück.
Immer da
Im ersten Hospiz Oberösterreichs im Zentrum von Linz ist Platz für zehn Menschen, die hier bis zum Schluss unter besonderen Bedingungen leben dürfen. Hier ist Besuch rund um die Uhr erlaubt, Kinder sind willkommen. Herr W. hat zum Beispiel schon bei seiner Frau übernachtet. Selbst ein Hund oder eine Katze dürften auf Besuch kommen, wenn es gewünscht wird.
Das Durchschnittsalter der Bewohnerinnen und Bewohner ist 60 Jahre, es sind und waren aber auch schon 30- oder 100-Jährige vor Ort. Rund 30 Tage ist die durchschnittliche Verweildauer. Angehörige können direkt Kontakt mit dem Hospiz aufnehmen, die Betten werden nach Dringlichkeit und nach einem genauen Prozedere vergeben. „Dem Pflegeteam steht medizinisches Personal zur Seite, außerdem gibt es Physio- und Ergotherapie und auf Wunsch auch Seelsorge“, sagt Hospizleiterin Kapplmüller.
Sie betont, dass Menschen unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft oder des sozialen Status’ Heimat im Sankt Barbara Hospiz finden können: „Wir hatten einen Mann, der war obdachlos und hat 10 Jahre in einem Zelt gelebt, bevor er zu uns kam. Er hat mich oft gefragt: ’Darf ich noch dableiben?’“ Bewohnerinnen und Bewohner zahlen einen Tagsatz, ähnlich dem im Krankenhaus, und 80 Prozent des Pflegegeldes.
„Wir sind nicht nur mit dem Tod, wir sind auch mit dem Leben konfrontiert“, erklärt Sandra Hauser. Die Diplomkrankenschwester arbeitet seit 2016 im Hospiz: „Wenn mich die Schicksale hier nicht mehr berühren, höre ich auf. Wenn jemand bei uns verstirbt, suche ich das Gespräch mit den Angehörigen, ich gehe nochmals ganz alleine ins Zimmer und verabschiede mich. Auch ins leere Zimmer gehe ich noch rein. Jeder hat seine eigene Strategie, damit umzugehen.“
Prinzipiell sei es ein besonderer Moment, Abschied zu nehmen von der irdischen Welt. Und ja, man setze die Prioritäten schon anders, „ich gehe achtsamer mit dem Leben um. Aber natürlich gibt es auch einen ganz banalen Alltag, in dem ich mich mal über Kleinigkeiten ärgere“, lacht Hauser. Es gibt regelmäßig Supervision, unter Begleitung kann über Erlebtes oder Belastendes reflektiert werden.
Das Team rund um Rosemarie Kapplmüller erfüllt auch letzte Wünsche, sofern es irgendwie möglich ist: „Sei es die Fahrt in den Botanischen Garten, um noch ein Mal die Orchideen zu sehen, der letzte Besuch in der eigenen Wohnung oder der Ausflug an den Attersee: Sofern es die Konstitution zulässt, bemühen wir uns wirklich, das zu organisieren.“
In Würde
Nach dem Tod werde der Verstorbene so hergerichtet, dass es ein würdevoller Anblick für die Angehörigen sei. „Es gibt auch konkrete Wünsche. Ein Sportler wollte zum Beispiel im Trainingsanzug beerdigt werden.“ Kinder haben als Angehörige ebenfalls Platz im Abschiedsprozess, „es darf bei uns gelacht und geweint werden.“
Bernhard Reiter leitet die palliative Station bei den Elisabethinen in Linz und ist auch im Hospiz tätig: „Viele hier haben einen ruhigeren Krankheitsverlauf. Sie brauchen medizinische Unterstützung und Sicherheit. Ihr Aufenthalt ist zeitlich unbefristet. Auf einer palliativen Station im Spital gibt es sehr wohl das Ziel, die Menschen wieder entlassen zu können.“ Im Hospiz gebe es Rückzugsräume und wer wolle und könne, behalte die Kontrolle bis zum Schluss.
Zum Abschied erzählt Herr W., dass kürzlich die Enkelkinder da gewesen seien – mit ihren Instrumenten: „Sie haben mit ihrer Oma musiziert und Lieder gesungen, religiöse und unterhaltsame.“ Und Frau W. klinkt sich ein: „Genau, ein lustiges Lied gehört dazu zum Leben!“