Ex-Kripo-Chef von Guatemala vor Gericht: „Habe kein Blut an meinen Händen“
Es ist der 25. September 2006 in Pavón, einem Gefängnis nahe Guatemala-Stadt. Pavón wird von den Häftlingen regiert. Die Justizwachebeamten passen praktisch nur auf, dass niemand entkommt.
Die Polizei beschließt, der Anarchie ein Ende zu setzen. In den frühen Morgenstunden stürmt eine Heerschar an Einsatzkräften Pavón. Die einflussreichsten Häftlinge sollen verlegt werden. Soweit die offizielle Version. Inoffiziell sollten die Rädelsführer ihr Gefängnis nie verlassen. Sie sollten an Ort und Stelle exekutiert werden – ohne rechtsstaatliches Verfahren.
In diesen Geheimplan soll auch Javier Figueroa, damals Chef der Kriminalpolizei, eingeweiht gewesen sein. Er soll eine jener vermummten Gestalten gewesen sein, die mit einer Todesliste durch Pavón marschiert sind, die Gesuchten zusammengetrieben und ihrer Exekution beigewohnt haben. So lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis. Der 42-jährige Arzt aus Mittelamerika steht seit gestern, Dienstag, im Innviertel vor Gericht. Er bekennt sich nicht schuldig.
Exekutionen
Als Figueroa den Schwurgerichtssaal betritt, lächelt er seiner Gattin Leslie zu. Sie ist in Begleitung zweier Innviertler Freunde und seines Bruders gekommen. Figueroa beschränkt sich am ersten Prozesstag darauf, seinen Werdegang im korrupten Justizsystem wortreich zu schildern. „Ich habe mir Feinde gemacht“, sagt der Gynäkologe, der zum Subdirektor der guatemaltekischen Polizei aufgestiegen ist.
Von der Todesliste will er nichts gewusst haben und bei der Säuberung Pavóns lediglich dabei gewesen sein. Die Häftlinge hätten auf die Einsatzkräfte geschossen und seien im Kampf getötet worden. „Er hat kein Blut an seinen Händen“, sagt sein Anwalt Benno Wageneder.
Das hält die Staatsanwaltschaft für unglaubwürdig. Laut Obduktion wurden die sieben getöteten Männer teilweise aus nächster Nähe erschossen. Einige Leichen wiesen Fesselspuren auf. „Der Tatort wurde im Nachhinein manipuliert“, erklärt Staatsanwältin Claudia Jenichl. An die Geschworenen appelliert sie: „Ihre Entscheidung wird von internationalem Interesse sein.“
Mega-Prozess
Sie sind mit einer Mammut-Aufgabe konfrontiert: Nicht nur, dass sie eine fremde Welt aus Korruption und Gewalt erfassen müssen – an zwölf Prozesstagen sollen mehr als 33 Stunden Zeugeneinvernahmen auf Video und ein 10.000 Seiten starker Aktenberg besprochen werden. Richter und Staatsanwältin wurden für die Prozessvorbereitungen seit Juli freigestellt, sieben Dolmetscher arbeiteten an den Übersetzungen der Beweise, die eine UN-Sonderkommission (siehe Bericht unten) zusammengetragen hat.
Heute, Mittwoch, soll Figueroa zu den Geschehnissen in Pavón befragt werden. Das Urteil wird für 8. Oktober erwartet.
4000 Morde geschehen pro Jahr in Guatemala. Die Aufklärungsrate liegt bei knapp vier Prozent. Die Vereinten Nationen (UN) haben zur Aufdeckung illegaler Strukturen im Justizsystem des mittelamerikanischen Staates 2007 die Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) in Guatemala gegründet.
Diese Kommission hat die polizeiliche Säuberungsaktion des Gefängnisses Pavón vom 25. September 2006 unter die Lupe genommen. 2010 wurden der ehemalige Innenminister Carlos Vielmann und der ehemalige Polizeichef Erwin Sperisen festgenommen. Gegen Vielmann läuft ein Verfahren in Spanien, Sperisen sitzt in der Schweiz in U-Haft.
Javier Figueroa, Ex-Kripo-Chef, wurde im Mai 2011 im Innviertel festgenommen. Er war 2007 mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet und hatte einen Asylantrag gestellt. Bis zu seiner Festnahme arbeitete er als Pflegehelfer in einem Altenheim in Schärding.
Weil er in seiner Heimat kein faires Verfahren zu erwarten habe, lehnte das Landesgericht Ried im Oktober 2011 seine Auslieferung ab. In zweiter Instanz entschied sich auch das Oberlandesgericht Linz dagegen. Figueroa sitzt seit Dezember 2011 in U-Haft.