Polizeipräsident: „Flüchtlingsströme sind auch Teil der hybriden Kriegsführung“
Von Josef Ertl
Andreas Pilsl ist seit 2012 Landespolizeikommandant von Oberösterreich. Der 54-Jährige aus Grein an der Donau ist mit Anfang Oktober für weitere fünf Jahre bestätigt worden. Die Polizei in Oberösterreich verfügt über 4.500 Mitarbeiter, wovon 3.900 Exekutivbeamte sind.
KURIER: Die Covid-Krise ist grosso modo vorbei, wo liegen nun die Herausforderungen für die Polizei?
Andreas Pilsl: Die geopolitische Lage und damit einhergehende Problemstellungen können zu unterschiedlichen Szenarien in Österreich führen. An der Tür zur EU tobt ein Angriffskrieg durch Russland. Die Energiekosten steigen rasant und damit die Inflation insgesamt. Die Regierungen sind gefordert, entstehende soziale Härten abzufedern. Und dazu steigen die Zahlen der illegalen Einwanderer in die EU und Österreich massiv. Das kann gesellschaftlich ein gefährlicher Mix werden, der zu Spannungen in der Gesellschaft führt. Und darauf versuchen wir uns in unterschiedlichen Szenarien vorzubereiten. Covid hat uns gezeigt, dass viele Menschen ihren Unmut auf der Straße, bei Demonstrationen äußern. Mehr als 900 waren es allein in Oberösterreich. Einhergehend damit waren wir mit viel Desinformation konfrontiert, vor allem in den sozialen Medien.
Das betrifft aber nicht nur Covid, sondern auch den Krieg in der Ukraine. Jene Menschen, die schon wegen Covid auf der Straße waren, könnten Zuwachs durch jene bekommen, die wirtschaftlich benachteiligt sind. Das kann ein Nährboden für ganz Extreme sein. Covid-Demonstrationen sind von Rechtsextremen unterwandert worden. Zum Glück sind wir organisatorisch mittlerweile gut aufgestellt. So hat sich zum Beispiel die Bereitschaftseinheit, die nach der Flüchtlingskrise 2015 installiert worden ist, echt bewährt.
Obwohl sie der damalige Innenminister Herbert Kickl aufgelöst hat. Wie stark ist die Einheit?
Das sind 62 Frauen und Männer, dazu kommen 38 Mann im Bereich der Schnellen Interventionsgruppen (SIG). Zusammen heißen sie Schnelle Reaktionskräfte. Das sind also 100 Mann, die schnell verfügbar sind. Sie unterstützen die Polizisten auf den Inspektionen, sind ordnungsdienstlich besser ausgebildet und verfügen über zusätzliche Ausrüstung. Sie sind sozusagen das Anschlussstück zur Cobra. Diese Kräfte sind jeden Tag und jede Nacht einsatzbereit, sie können in Gruppenstärke ausfahren. Das ist ein großer Vorteil gegenüber vor der Situation vor drei, vier Jahren. Wir haben nur beste Erfahrungen gemacht. In der Bereitschaftseinheit arbeiten junge Mitarbeiter, die sechs Monate hier agieren und die dann wieder an ihre Dienststelle zurückkehren. Dann gehören sie zur Reserve. Mit jedem Turnus haben wir mehr Mitarbeiter, die die Ausbildung absolviert haben und als Reserve sofort herangezogen werden können.
Anfang November wird die neue Landesleitzentrale eröffnet. Was wird sich dadurch ändern?
Jeder Notruf und jede Disponierung von Streifenfahrzeugen wird von der Landesleitzentrale gesteuert. Damit ist gewährleistet, dass die nächstgelegene Streife zum Einsatzort fährt, Bezirksgrenzen spielen hier keine Rolle mehr. In der neuen Leitzentrale werden alle Organisationseinheiten der Polizei im Land, vom Staatsschutz bis zum Kriminalpolizei, vom Offizier vom Dienst bis zum juristischen Journaldienst, 24 Stunden sieben Tage lang im Verband agieren. Wir haben uns hier organisatorisch viel überlegt, damit wir in Zeiten der Krise optimal einsatzbereit sind.
Ist die Zeit der Postenschließungen vorbei?
Dieses Thema wird oft falsch diskutiert. Die Menschen wollen, dass wir zu Ihnen kommen, meist nach einem Anruf. Die Anzahl der Inspektionen ist eigentlich nebensächlich. Wir wollen die Regionen mit mehr Personal stärken. Wir brauchen dort Spezialisten, zum Beispiel in der Datenforensik. Die Formen der Kriminalität haben sich geändert. Der Großteil der Delikte wird heute im Internet mit technischen Hilfsmitteln begangen. Wir müssen uns hier anpassen. Ich will zukünftig nicht Forensiker aus Linz nach Braunau schicken, das muss vor Ort und schnell passieren. Wenn jemand in Bad Goisern eine Anzeige im Cyberbereich erstattet, müssen dort bereits die richtigen Fragen gestellt werden. Wir werden in der Digitalisierung unsere Schwerpunkte setzen, damit die Menschen uns weiterhin vertrauen.
Wie gehen Sie mit anschwellenden Anzahl der Flüchtlinge um?
Dieses Thema fordert uns massiv, die Zahlen sind höher als 2015, nur merkt man die Flüchtlinge nicht so stark. Sie bewegen sich nicht entlang der Autobahnen, aber die Aufgriffszahlen sind enorm. Gott sei Dank ist es gelungen, dass die Serben ihre Visapolitik an die der EU anpassen. Das dauert aber noch. Die Flugzeuge aus Indien sind serienweise in Belgrad gelandet, von wo sie sich die Menschen nach Westeuropa aufgemacht haben. Daher die hohen Zahlen an Asylwerbern aus Indien. Man muss auch wissen, dass die Flüchtlingsströme nach Europa auch Teil einer hybriden Kriegsführung sind. Es gibt ein Interesse daran, Europa damit zu beschäftigen bzw. zu destabilisieren.
Können Sie ausschließen, dass noch mehr Zelte in OÖ aufgestellt werden?
Die Lage ist aufgrund der höhen Asylzahlen sehr dynamisch. Bis dato kenne ich keine Pläne, wonach weitere Zelte auf Grundstücken der Polizei in Oberösterreich errichtet werden sollen. Die Zelte in St. Georgen im Attergau betreffen die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit dieser Agentur, dem Land und den unterstützenden Nichtregierungsorganisationen. Hier profitieren wir von den Erfahrungen aus 2015/’16.