Chronik/Oberösterreich

Mediziner-Revolte trägt Früchte

"Aus einem kleinen Aufbegehren ist eine Geschichte mit Hand und Fuß geworden", sagt Christian Hintz. Der Allgemeinmediziner mit Ordination in Münzbach war einer der Geburtshelfer bei der Neuorganisation des hausärztlichen Notdiensts (kurz "HÄND") im Bezirk Perg. Im Jahr 2012 waren Hintz und einige seiner Kollegen derart frustriert, dass sie offen mit Streik drohten. "Die Nacht- und Wochenenddienste waren für uns kaum mehr zu bewältigen. Wir haben bis zu 400 Stunden im Monat gearbeitet. Das hat uns und letztlich auch den Patienten nicht gutgetan." Zunächst wurden die Hilfeschreie nicht gehört, Ärztekammer und Politik versuchten zu beschwichtigen und versprachen eine Lösung für ganz Oberösterreich.

Nur Gewinner

Weil aber nichts weiterging, machten die Ärzte Ende 2012 schließlich doch ernst und streikten. Erst durch die Arbeitsniederlegung kam die Neuorganisation in die Gänge. Eineinhalb Jahre später sind Politik, Ärztekammer, Mediziner, Rotes Kreuz und offenbar auch Krankenkassen und Patienten rundum zufrieden. "Es gibt nur Gewinner", meint etwa die Ärztekammer. Das Perger Modell soll nach und nach nun auch in anderen Bezirken umgesetzt werden. Ab Juli kommt "HÄND" in Schärding, in Rohrbach, Freistadt, Urfahr-Umgebung, Vöcklabruck und Kirchdorf laufen die Vorbereitungen. In den Bezirken Eferding und Grieskirchen wurde bereits teilweise umgestellt.

Wichtigster Player bei "HÄND" ist der sogenannte Visitenarzt: Er ist nachts von 19 bis 7 Uhr bzw. an Wochenenden und Feiertagen über den Notruf 141 erreichbar und für den gesamten Bezirk zuständig. Die Anrufe werden vom Roten Kreuz entgegengenommen und dort vorgefiltert. Kurz darauf meldet sich der Visitenarzt beim Patienten und klärt mit ihm die Situation ab. "Wir rufen durchschnittlich binnen 17 Minuten zurück", sagt Dr. Hintz. Ist ein Hausbesuch notwendig – bei etwa jedem zweiten Anrufer –, wird der Visitenarzt von einem Rotkreuz-Mitarbeiter zum Patienten gefahren, allein im ersten Halbjahr 2013 mussten Hintz und seine Kollegen 1700-mal ausrücken.

Mobile Hausapotheke

Für die Einsätze steht ein eigenes Rot-Kreuz-Fahrzeug zur Verfügung. Der VW Caddy ist nicht nur eine rollende Hausapotheke mit den gängigsten Medikamenten, sondern verfügt auch über Defibrillator und EKG. Mit dieser Ausrüstung können fast alle Patienten an Ort und Stelle ausreichend versorgt werden. Für lebensbedrohliche Situationen ist der Notarzt des Roten Kreuzes zuständig, tagsüber haben an Wochenenden und Feiertagen zusätzlich zwei Ordinationen im Bezirk geöffnet, die von nicht bettlägrigen Patienten aufgesucht werden können.

Auch dieses Angebot ist für dringende gesundheitliche Probleme gedacht und nicht für "Kleinigkeiten" wie etwa leichte Rückenschmerzen oder einen Schnupfen, die auch wochentags während der Ordinationszeiten behandelt werden können.

Beim hausärztlichen Notdienst ist die Schicht für den diensthabenden Arzt nach zwölf Stunden beendet: Eine wesentliche Verbesserung zu früher, erklärt Hintz. "Vor der Neuorganisation waren wir in unseren Sprengeln an Wochenenden etwa 60 Stunden durchgehend im Dienst. Auch wenn man nicht immer etwas zu tun hatte, waren die Nächte und das Wochenende ruiniert."

Entlastung

Deutlich gesunken ist nicht nur die Dauer, sondern auch die Frequenz der Dienste. Kamen Dr. Hintz und seine Kollegen früher bis zu 13-mal pro Monat zum Einsatz, sind es jetzt im Idealfall nur noch drei bis vier Zwölf-Stunden-Dienste im Quartal.

Diese Entlastung ist dem Einsatz von Jungmedizinern aus dem Linzer Raum zu verdanken. "Wir haben einen Pool von 50 Ärzten, 25 davon sind Hausärzte, 25 junge Kollegen, die Erfahrung sammeln und zusätzlich etwas verdienen möchten." Was die Kosten betrifft, sei das neue Modell nicht teurer als das alte, meint Hintz. Und nicht nur die Ärzte, sondern auch die Patienten würden profitieren: "Das alte System hat zu einer Überarbeitung geführt. Wir hatten keine Kraft mehr für Ethik und Empathie. Einfach zu wenig Zeit, für die Patienten dazusein", sagt Dr. Hintz. Die Überlastung vieler Ärzte sei generell ein Problem, dass der Qualität unseres Gesundheitssystems schade. Auch in Hinblick auf den Ärztemangel. Denn die jungen Kollegen seien kaum bereit, jahrzehntelang bis ans Limit zu gehen. "Sie wissen gut um ihre Ressourcen Bescheid und schauen auf ihre Bedürfnisse." Daher dürfe sich niemand wundern, wenn ein beachtlicher Teil der jungen Ärzte ins Ausland gehe, von besseren Verdienstchancen abgesehen.

Bei älteren Kollegen zeige sich die jahrelange Überarbeitung erst in der Pension. "Viele brauchen länger als ein Jahr, bis sie wieder in einen Zustand zurückkehren, in dem sie das Leben wieder genießen können und die Muster aus dem Beruf abgelegt haben." Patentrezepte, wie es anders laufen könnte, kann Dr. Hintz nicht vorlegen. Allein bei der Bürokratie – 20 Stunden verbringt er pro Woche mit der Verwaltung seiner Patienten – würde er sofort etwas ändern. "Ich bin kein Politiker und auch kein Funktionär. Mit der Neuorganisation des hausärztlichen Notdiensts haben wir zumindest in unserem Bereich Verbesserungen erzielt und nicht darauf gewartet, bis andere für uns eine Lösung finden."

LehrpraxisIn Oberösterreich geht in den nächsten zehn Jahren etwa die Hälfte der Landärzte in Pension. Nachfolger in ausreichender Zahl sind nicht in Sicht. Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) verspricht sich zusätzliche Ärzte durch die neue medizinische Fakultät in Linz. Die Ärztekammer wiederum fordert eine verpflichtende Lehrpraxis, die Jungmediziner im Rahmen ihres Turnus bei einem niedergelassenen Arzt absolvieren. Die Politik ist grundsätzlich für diese Idee zu haben, dafür zahlen – 19 Millionen Euro pro Jahr – wollen aber weder Bund noch Länder. Einer Lehrpraxis kann auch Dr. Hintz viel abgewinnen: "Ein Jahr schnuppern ist aber zu wenig. Die Jungen müssten auch Vertretungen machen."