Chronik/Oberösterreich

„Unsinnig, auf einer Entschuldigung zu beharren“

Lothar Höbelt, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien, hat soeben sein Buch „Böhmen. Eine Geschichte“ im Verlag Karolinger herausgebracht. Der 57-Jährige bezeichnet sich selbst als der FPÖ nahestehend, ohne aber Parteimitglied oder Mitglied einer Burschenschaft zu sein.

KURIER: Sind die Tschechen Nationalisten?
Lothar Höbelt: Vernünftigerweise ja.

Warum vernünftigerweise?
Ich halte ein vernünftiges Nationalbewusstsein für durchaus natürlich und adäquat.

Willy Lorenz sagt in seinem Büchlein „Abschied von Böhmen“, dass zu Böhmen immer die Tschechen, die Deutschen und die Juden gehört haben.
In den letzten 1000 Jahren ja. Im Tschechischen gibt es ein und dasselbe Wort für die Tschechen als Ethnie und für Böhmen. Das macht die Sache ein wenig schwierig. Die Tschechen sagen, wir sind die eigentlichen Böhmen und alle anderen sind Kolonisten und Einwanderer, wie das Thomas Masaryk (1850–1937, erster Präsident der Tschechoslowakei) einmal formuliert hat. Natürlich kamen die Deutschen ein bisschen später. Um 1200, die Tschechen um 600. Beide sind seit Jahrhunderten dort gewesen. Daraus ergab sich ein aneinander Reiben. Anfangs war Deutsch aufgrund der Habsburger Monarchie die höherwertige Sprache.
Bis 1914 haben es die Tschechen geschafft, dem eine gleichrangige Sozialpyramide entgegenzustellen. Dann gab es zwei Gesellschaften, die sich auf allen Ebenen bekriegt haben. Was aber nicht heißt, dass daraus so etwas wie die Vertreibung hätte entstehen müssen.

Die Beziehung Südböhmen – Oberösterreich wird durch zwei Faktoren belastet: Einerseits die Vertreibung der Sudetendeutschen, andererseits das Atomkraftwerk Temelin.
Die Vertreibung halte ich für eine echte Belastung. Nämlich für eine, die keine Lösung mehr finden lässt. In den 1990er-Jahren hätte ich auch für eine Restitution plädiert. Die Schwierigkeit war damals schon, warum eine ärmere Volkswirtschaft Mittel an Angehörige einer reicheren Volkswirtschaft überweisen sollte.
Inzwischen ist die Sache gegessen. Wenn jetzt die Vertriebenenverbände auf einer Entschuldigung beharren, um ihre Existenz zu rechtfertigen, dann halte ich das für unsinnig. Die Geschichte soll erforscht werden, aber das Verhältnis sollte möglichst normal sein.

Es geht ja heute nicht um Restitution, sondern um ein Schuldbekenntnis.
Wozu? Ich halte es auch für falsch, dass wir uns dauernd entschuldigen für das Dritte Reich, den Ersten Weltkrieg oder andere Dinge. Der Staat hat nicht die Gewalt über die Gewissen seiner Bürger. Er ist eine Institution. Kardinal Richelieu hat schon gesagt, die Staatsraison besteht darin, dass der Staat kein Gewissen hat und auch kein Leben nach dem Tode. Der Staat ist eine juristische und keine natürliche Person.

Es ist doch wichtig, dass sich Österreich zur Judenvernichtung bekannt hat.
Das ist überhaupt nicht wichtig. Warum soll das wichtig gewesen sein? Dass es sie gegeben hat und Österreicher daran teilgenommen haben, hat die Forschung schon lange festgestellt. Dass irgendein Politiker seinen Senf dazu gibt, der von Geschichte nichts versteht, ist völlig überflüssig.

Es ist doch ganz entscheidend, dass man aus falschem Handeln in der Vergangenheit die Konsequenzen zieht.
Welche Konsequenzen soll man ziehen? Das hat Karl Schwarzenberg sehr schön gesagt. Man kann die Vertreibungen bedauern, aber nicht rückgängig machen.

Bedauern wäre ja schon ein Fortschritt.
Einzelne Individuen können bedauern.

Der andere Punkt, der die Beziehungen belastet, ist das Atomkraftwerk Temelin.
Das halte ich für einen Unsinn. Das Gefährdungspotenzial ist nicht höher als bei jedem anderen Atomkraftwerk. Nur sind die Österreicher ein bisschen hysterisch, was die Atomkraftwerke betrifft.

Der Raum Südböhmen-Mühlviertel war in früheren Jahrhunderten ein gemeinsamer Raum.
Die Gemeinsamkeit war auch eine ethnische. Es waren einfach Deutsche dort. Hohenfurt, Budweis, Krumau waren deutsche Städte. Verkehrsmäßig war das eine gut ausgebaute Strecke, denn es ging um den Salztransport aus dem Salzkammergut nach Böhmen.
Seit dem Eisenbahnzeitalter ist es genau umgekehrt. Denn alle Eisenbahnen laufen auf Wien zu. Das wurde schon in der Monarchie so angelegt. Hier ist dringend Handlungsbedarf.

Welche Perspektive sehen Sie?
Ein normales Verhältnis. Da sind wir auch schon angelangt. Normal heißt jetzt nicht, dass man himmelhoch jauchzend freundschaftlich ist, aber es gibt eine gemeinsame Geschichte, die zu einem nüchternen Verhältnis führt. Die Tschechen sind ein nüchtern-pragmatisches Volk. Es ist auch ein gewisses österreichisches Schlawinertum dabei. Diesen pragmatischen Zugang für gemeinsame Interessen zu nützen, erscheint mir das Gebot der Stunde.

Die FPÖ ist aufgrund der Kandidatur von Frank Stronach ins Trudeln geraten. Dazu kommen die Niederlagen in Kärnten und Niederösterreich.
Man darf sich nicht in Panik versetzen lassen. Der große Erfolg wird nicht 2013, sondern 2018 kommen. Stronach ist Strache in die Quere gekommen. Das muss er aushalten. Die Landtagswahlen in Salzburg und Tirol werden Zuwächse zeigen.
Auf Bundesebene werden 15 Prozent aufgeteilt werden: elf Prozent des BZÖ plus zwei Prozent Dinkhauser plus zwei Prozent Liberales Forum. Da kann der Stronach zehn nehmen und es bleiben für die anderen noch immer genügend übrig. Ich sehe keine große Panik.
Den großen Durchbruch, dass die FPÖ gleich stark wie die SPÖ wird, wird es sicherlich nicht geben. Aber wenn man die Stimmen von BZÖ, Stronach und der FPÖ zusammenrechnet, wird es wahrscheinlich das stärkste Lager sein.

Wie beurteilen Sie Strache?
Gewinnen ist immer einfacher als stagnieren. Aber ich sehe niemanden, der ihn ablösen könnte. Es könnte durchaus sein, dass einmal in zehn Jahren Manfred Haimbuchner die Partei übernimmt. Ich sehe in ihm eine Zukunftshoffnung. Jetzt würde man ihn nur verheizen. Haimbuchner verkörpert einen stark wirtschaftsfreundlichen Kurs. Zudem ist es in Oberösterreich in der Partei nie zu solchen Frontstellungen gekommen wie in anderen Bundesländern.

Wie viel Prozent wird die FPÖ im Herbst machen?
Um die 20 Prozent. Stronach ist zwar ein neues Element, aber gerade deswegen bleibt alles beim Alten. Die Roten und Schwarzen verlieren zwei Prozent, die Grünen und die FPÖ gewinnen zwei Prozent. Damit gibt es keine schwarz-blaue Mehrheit und damit brauchen sich die Roten nicht fürchten. Das ist der Trick von Stronach. Deshalb sind die Zeitungen, die Faymann mit Inseraten versorgt, so für Stronach. Für die Roten ist das strategisch günstig, denn er verhindert auch, dass die Schwarzen die Roten bei den Koalitionsverhandlungen total ausziehen können.
Stronach ist das Überlebensticket für Faymann. Die fünf Jahre Laufzeit, die er noch hat, garantiert ihm der Herr Stronach. Irgendwann wird es wieder Schwarz-Blau geben, die Frage ist nur wann das sein wird. Warum sollen sich die Schwarzen das auf ewig mit den Roten gefallen lassen? 2018 ist Rot-Schwarz gegessen.

Es gibt in der ÖVP auch Widerstände gegen eine Koalition mit der FPÖ. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hält nicht viel davon.
Wir halten auch nicht viel von Mitterlehner. Den würde ich der Fekter jedes Mal zum Fraß vorwerfen. Fekter ist eine YESlerin (ehemalige konservative Studentenorganisation), die mag ich gern.

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Böhmen. Eine Geschichte. Von Lothar Höbelt. Verlag Karolinger. 216 Seiten. 19,90 Euro