Chronik/Oberösterreich

„Die Region gehört zusammen“

Johannes Jetschgo (57) ist seit 15 Jahren Chefredakteur des ORF Oberösterreich. Seit der Sanften Revolution 1989 hat er mehrere Bücher zur Geschichte Tschechiens verfasst. Nun ist sein Buch Im Zeichen der Rose – Reise in eine europäische Provinz zwischen Donau und Moldau erschienen.

KURIER: Was macht die Faszination des oberösterreichisch-südböhmischen Raumes aus?
Johannes Jetschgo: Es ist keine Schönwetterzone. Es würde mich wenig interessieren, ein Buch zu schreiben über ein Gebiet, das immer im Sonnenschein liegt. Das Spannende ist, dass die Region Zeiten erlebt hat, die enorm fruchtbar waren. Jene Zeiten, in denen man sich auf Synergien besonnen hat, und dass es schwer belastete Zeiten gegeben hat, die zu Traumatisierungen und Verletzungen geführt haben, die bis heute wirksam sind.
Genau diese Spannung ist interessant. Im Buch geht es um die Erschließung einer Region, die damals kaum eine Infrastruktur hatte, die aber wichtige Transitrouten durchzogen haben: der Inn, die Donau, die Moldau, der Goldene Steig und die Salzwege.

Wann waren die fruchtbaren Zeiten, wann die spannungsreichen?
Die fruchtbaren waren jene Zeiten, in denen die Grenzen durchlässig und offen waren, in denen der Handel und der Austausch funktioniert haben. Die italienische Renaissance ist nach Böhmen gewandert und hat vieles mitgebracht, nicht nur künstlerische Erzeugnisse. Die schwierigen Zeiten waren jene, die durch machtpolitische Konstellationen und religiöse Erneuerungsbewegungen überlagert wurden. Sogar der berühmte Kaiser Karl IV. (1316–1378), der ein mächtiger europäischer Herrscher und ein Kosmopolit war, hat versucht, die sozialen Spannungen in der Gesellschaft abzubauen.
Reformbewegungen haben sich dann radikalisiert, wenn zu lange keine Öffnung passiert ist und alte Systeme beibehalten wurden. Die großen Verwerfungen waren die Konfessionskriege, die in den 30-jährigen Krieg gemündet sind (1618– 1648). Das war vor der Nationenbildung im 19. Jahrhundert.

Der Schwerpunkt Ihres Buches liegt beim Geschlecht der Rosenberger.
Ich versuche, Geschichte anhand konkreter Figuren greifbar zu machen. Der Zeitbogen der Familie beschreibt eine enorm spannende Phase, die von den Babenbergern bis zu den Habsburgern reicht. 1526 übernehmen die Habsburger mit dem Erbvertrag diesen Raum.

Wie war die Herrschaft der Rosenberger?
Sie kamen aus Mittelböhmen. Wok von Rosenberg (1210–1262) gründete die Stammburg Rosenburg an der Moldau. Ihre Macht baute sich durch eine geschickte Heiratspolitik auf. Die Rosenberger waren mit den Schaumbergern (Ruine Schaumburg bei Eferding, Anm.), mit den Starhembergern, mit dem Grafen Hardegg – also mit vielen österreichischen Adelsfamilien – versippt und verschwägert. Das Land war damals nicht territorial definiert, sondern eine Sache der Gefolgschaft.
Die Rosenberger haben sich durch Dotationen und Klostergründungen wirtschaftlich Einfluss verschafft. Unter den letzten Rosenbergern, also Ende des 16. Jahrhunderts, machten die Untertanen der Rosenberger sieben Prozent der böhmischen Bevölkerung aus. Das war ein riesiger Machtbereich im Süden.
Darum waren sie auch für die Habsburger so entscheidend, deshalb konnten sie sich Sonderwege sichern. Sie konnten sich zum Beispiel viel freier bewegen. Sowohl Wilhelm als auch Peter Wok waren als letzte Rosenberger große Vermittler zwischen den Katholiken und Protestanten. Wilhelm war mit großen protestantischen Häusern in Deutschland verheiratet. Peter Wok war selbst Protestant.

Kann man aus den geschichtlichen Ereignissen Schlüsse für das Heute ziehen?
Nur abstrakt. Dort, wo auf Verhandlungen, Dialoge, gegenseitige Kenntnis und Austausch gesetzt wurde, war das Leben für die Bevölkerung ungleich angenehmer und fruchtbarer als dort, wo man politisch verhärtete Fronten geschaffen hat. Das ist eine zeitlos anwendbare Aussage.

Ist der gemeinsame Raum wiederherstellbar?
Er ist durch die Europäische Union da. Das sind die gemeinsamen Rahmenbedingungen, bei denen die Wirtschaft und auch der kulturelle Austausch ganz vorne stehen. Das andere ist die Reise, die in den Köpfen nachzuholen ist. Es sollten auf beiden Seiten jahrzehntelang gepflegte Ressentiments, Vorurteile, Stereotypen und Klischees abgebaut werden. Indem man sich mit den Unterschieden vertraut macht und nicht immer noch das Nationalbild des 19. Jahrhunderts vor sich herträgt.

Aufgrund der Sprache besteht eine gewisse Barriere.
Sie ist eine der größten Barrieren, aber dem könnte man ja beikommen. Man sollte für Jugendliche das Sprache lernen attraktiv machen.

Was haben wir den Böhmen zu verdanken?
Das Nachbarland hat industriegeschichtlich ein extrem hohes Potenzial. Wenn die Donaumonarchie so etwas wie einen Industriemotor gehabt hat, dann war das Böhmen. Es war das, was Oberösterreich heute für Österreich ist. Es ist ein gemeinsamer Kulturraum. Schon allein durch die gemeinsame Herrschaft der Habsburger war der Austausch selbstverständlich.

Alle Inhalte anzeigen
Was ist das Ziel des Buches?
Begreifbar zu machen, wie viele Berührungspunkte es über die Jahrhunderte gibt, die für viele Leute heute überhaupt keine Bedeutung haben. Daran zeigt sich, wie viele Bezüge es gibt. Es geht darum, begreifbar zu machen, dass das eine Region ist, die zusammengehört. Die Grenzen wurden erst später definiert. Selbst wenn es Kronlandgrenzen waren. Das, was 1918 zur Staatsgrenze geworden ist, hat uns abgenabelt von einer Selbstverständlichkeit, die vor dem nationalen Denken gang und gäbe war.
Adalbert Stifter hat noch jenen Landespatriotismus vertreten, nicht zuletzt im Witiko, der die Nation als solche nicht in den Vordergrund stellt. Deshalb ist er auch angefeindet und von den Zeitungen ins Unzeitgemäße geschoben worden. Es beginnt in den Köpfen, sich vom anderen abzusondern. Das ist die Botschaft.