Chronik/Oberösterreich

So ein Gewusel: Europas größte Insektenfarm entsteht in Wels

Kistenweise wird das Obst und Gemüse angeliefert und türmt sich in der Einfahrt. Knackige Karotten, saftige Trauben und dralle Radieschen: allesamt vor der Abfalltonne gerettet. Rund 10 Tonnen nicht konsumierte Lebensmittel, die es aus verschiedenen Gründen nicht in den Handel schaffen, verarbeitet das Start-up „Insektianer“ in Wels täglich. Diese Reste werden zu Futter für kleine, gefräßige Proteinbomben verarbeitet.

Alle Inhalte anzeigen

Was Philip Pauer und Philip Thaler seit 2020 aus dem Boden gestampft haben, ist in Österreich und sogar in Europa bis dato einzigartig. Es ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, eine Insektenfarm, deren Milliarden Bewohner die Überstände der Lebensmittelindustrie umsetzen, um dann selbst zu verschiedenen Produkten zu werden, die derzeit national und international gefragt sind. Und das geht so:

Tödliche Paarung

In Netzkäfigen summen Tausende schwarze Soldatenfliegen herum, eine Fliegenart, die sonst am Äquator heimisch ist und hier nur unter speziellen Bedingungen überleben kann. Wie es die Natur so will, paaren sich Männchen und Weibchen, zwischen 700 und 1200 Eier werden pro Weibchen abgelegt und anschließend „geerntet“. Die Fliegen selbst sagen an dieser Stelle leise „Servus“, sie sterben rund 30 Minuten nach der Paarung. Aus ihren Körpern stellt „Insektianer“ reines Chitin her, eine Substanz, die in der Pharma- und Kosmetikindustrie eingesetzt wird.

Alle Inhalte anzeigen

Die Eier werden danach gehegt und gepflegt, bis die Maden schlüpfen und groß genug für die Mast sind. Hier kommen die geretteten Lebensmittel ins Spiel. Denn die Maden haben ein einziges Ziel: Fressen, fressen, fressen. Sie sind nicht wählerisch, bekommen aber nur feinste Ware: Brot, Gemüse, Obst, Trester. Nach sieben bis acht Tagen sind die Maden fertig gemästet und werden „inaktiviert“ (wichtiges Detail dazu: Maden haben kein zentrales Nervensystem und kein Gehirn, können also keinen Schmerz empfinden). Diese Larven werden dann zu Tierfuttermitteln, hochwertigen Ölen und Fetten verarbeitet.

Alle Inhalte anzeigen

Der Kot der Larven wird zu Dünger für die biologische Landwirtschaft, die Floristik oder den eigenen Garten. Aus den Reststoffen, die aus den Ölen gefiltert werden, kann Biodiesel hergestellt werden. Rund zwei Prozent der Maden werden für die Reproduktion zurückgehalten, werden also tatsächlich zu Fliegen, die dann wieder Eier legen. So schließt sich der Kreis.

Alle Inhalte anzeigen

„Für die Unternehmen ist es nicht nur der wirtschaftliche Vorteil – die Zusammenarbeit mit uns kostet weniger als die Entsorgung –, sondern es geht um den ’green footprint’ und die Ökobilanz. Und darum, dass prinzipiell gute Lebensmittel aus Überproduktionen nicht vernichtet werden müssen, sondern nochmals eine sinnvolle Verwendung finden“, erklärt Gründer Philip Pauer.

Alle Inhalte anzeigen

„Insectfarming ist nicht das Heilmittel gegen alle Probleme, die die Welt in Sachen Nachhaltigkeit hat, aber es ist ein zentrales Element, das noch nicht genutzt wird“, sagt Philip Thaler. Knapp zwei Jahre Forschung stecken im Unternehmen. Alle technischen Anlagen, die gesamte Logistik und sämtliche Prozesse mussten von null weg entwickelt werden, etliche Herausforderungen inklusive. Thaler hat Wirtschaftsinformatik studiert, Pauer kommt aus der Finanzbranche, gemeinsam wollen die beiden das Start-up „Insektianer“ groß denken und machen.

100 Tonnen pro Tag

„Die Pläne für unsere neue Anlage stehen bereits, sie soll 2024 in Betrieb gehen. In dieser Dimension können wir zukünftig 100 Tonnen Lebensmittel pro Tag verarbeiten“, so Pauer. Außerdem sei alles so konzipiert, dass die Module beliebig erweiterbar und auch unabhängig vom Standort einsetzbar seien, deswegen „laufen derzeit auch Patentverfahren.“

Die Maden als Lebensmittel zu verarbeiten und als effektive Proteinquelle zu vermarkten, ist für die Insektianer aktuell kein Thema. Die schwarze Soldatenfliege ist derzeit in der EU nicht als Lebensmittel zugelassen, das hat bis dato nur der Mehlwurm geschafft, Verfahren laufen aber bereits. Thaler erklärt: „Der Ekel ist in Europa kulturell zu stark verankert“, und will wissen: „Würden Sie Maden essen?“.

Alle Inhalte anzeigen

Kooperation mit Studierenden

Sechs Studierende der FH Wels, Studienrichtung Lebensmitteltechnologie, sind derzeit mit ihren Forschungsarbeiten aktiv ins Unternehmen „Insektianer“ eingebunden. Sie beschäftigen sich unter anderem mit Qualitätssicherung, Analytik, mit Prozessentwicklung und der Hundefutterlinie.

„Diese großtechnische Anlage, in der im vollautomatisierten Stil sekundäre Rohstoffe verarbeitet werden, ist einzigartig“, sagt Otmar Höglinger, der als Professor an der FH Wels unterrichtet und die Studierenden bei ihren Projekten betreut. „Das Ziel ist, dass alles ökonomisch und ökologisch einwandfrei funktioniert, aber  es gibt natürlich Herausforderungen. Das ist doch immer so, wenn wir Neuland betreten. Daraus lernen wir.“