Chronik/Oberösterreich

„Industrielle Tierhaltung ist nicht verantwortbar“

Michael Rosenberger (58) ist Priester und Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz. Zudem ist er Umweltsprecher der Diözese Linz.

KURIER: Was ist der Sinn der Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch begonnen hat?

Michael Rosenberger: Sie soll uns 40 Tage lang auf Ostern vorbereiten. Zu Ostern findet die Erneuerung des Taufversprechens statt. Zu sagen, ich bin Christ, ich stehe dazu. Aus der Bergpredigt heraus gibt es drei Elemente: Fasten, Gebet und gute Werke. Fasten heißt, auf Dinge zu verzichten, wo man merkt, hier ist man übermäßig, was Essen, Trinken oder den Konsum betrifft. Von der frei werdenden Zeit nimmt man sich etwas für das Gebet, das Innehalten und Nachdenken, um zu schauen, wie ist mein Leben aufgestellt, wo könnte es sich weiterentwickeln. Die dritte Schiene sind die guten Werke. Mit dem gesparten Geld oder der gesparten Zeit kann man anderen Gutes tun.

Fasten kann auch Fleischverzicht bedeuten. Das gilt ja nur mehr für die streng gebotenen Fastentage wie Aschermittwoch und Karfreitag.

Und für die Freitage. Wobei es eine Ausnahmeklausel gibt. Es heißt, „oder man bringt einen anderen, gleichwertigen Verzicht“.

Der Fleischverzicht hat im katholischen Glauben eine lange Tradition. Die Menschen haben früher viel stärker vegetarisch gelebt als heute.

Bis zum II. Vatikanischen Konzil (1962–1965) war fast die Hälfte des Jahres als Abstinenzzeit vorgeschrieben. Der Advent war damals 40 Tage lang und nicht wie heute dreieinhalb Wochen. Das war eine strenge Abstinenzzeit. Deshalb hat man zu Martini noch einmal die Gänse geschlachtet und Fleisch gegessen. Dann kamen neben der Fastenzeit noch jede Woche die Mittwoche und Freitage dazu. Und dann gab es vor bestimmten Festtagen im Jahr noch einmal kürzere Fastenzeiten. Somit kam man ungefähr auf die Hälfte des Jahres, wo man kein Fleisch essen durfte. Das war für die Menschen gar nicht so schwer, weil Fleischspeisen sowieso praktisch nur für die Sonn- und Feiertage vorgesehen waren.

Fleisch war also eine Ausnahme.

Der durchschnittliche Mensch konnte sich das gar nicht leisten, weil Fleisch teuer war. Wenn die Kirche die Fastengebote aufgegeben hätte, hätten die Menschen auch nicht wesentlich mehr Fleisch gegessen. Durch die Industrialisierung steht heute sehr viel Fleisch zur Verfügung. Da ist es viel schwerer sich einzuschränken als zu einer Zeit, in der es das gar nicht gegeben hat.

Ist die industrielle Tierproduktion ethisch zu vertreten?

Schwer. Man muss vorsichtig sein, hier dem Einzelnen zu schnell Schuld bzw. Verantwortung zuzuweisen. Der Einzelne, der das macht, steht unter den Zwängen eines globalen Marktes und Systems. Aber im Grund genommen ist nicht verantwortbar, dass wir die meisten Schweine, Rinder, Geflügel in dieser perfekten Industrialisierung der Massentierhaltung halten. Man hat in den vergangenen 150 Jahren das Tier immer stärker der wirtschaftlichsten Haltungsform angepasst, aber nicht die Haltungsform dem Tier. Wir haben heute Tiere, die maximal viel Fleisch geben, ...

... das beginnt bei der Züchtung ...

... und geht bis zur Verwertung. Es ist alles durchgestylt auf das System der industriellen Logik hin, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel erwünschtes Fleisch zu produzieren. Dafür hat man im Grunde genommen das Tier geopfert. Man hat ihm überhaupt keine Bedürfnisse erfüllt, sondern nur noch auf die Logik des Marktes geschaut. Wir müssen aus diesem System definitiv aussteigen.

Worauf beruft sich diese ethische Position?

Tiere sind Lebewesen, die Freude am Leben und auch Schmerz empfinden. Sie wollen in sozialen Gruppen leben. Sie haben Bedürfnisse. Und wenn ein anderes Lebewesen wie der Mensch ihnen begegnet, kann dieser nicht einfach sagen, ihre Bedürfnisse zählen nicht, nur meine. Man muss schauen, wie man zwischen den Bedürfnissen des Tieres und des Menschen einen Kompromiss findet und sie fair miteinander abwägt. So wie wir das auch zwischen Menschen tun.

Für uns Christinnen und Christen kommt dazu, dass Tiere Geschöpfe Gottes sind. Es ist interessant, dass in der Bibel die Erschaffung der Tiere anders erzählt wird als in manchen außerbiblischen Erzählungen. Die Tiere werden nicht um des Menschen Willen, sondern um ihrer selbst Willen erschaffen. Sie werden unmittelbar von Gott erschaffen und gesegnet, das heißt, sie haben eine unmittelbare Beziehung zu Gott und Gott hat eine Beziehung zu ihnen. Von daher sind sie auch in sich selber wertvoll. Ihr Leben hat einen Sinn, unabhängig davon, ob sie dem Menschen nützen oder nicht nützen.

Somit sollte der wahre Christ Vegetarier sein. Diese Tradition geht auf die frühen Mönche zurück.

Der, der vegetarisch leben kann, sollte vegetarisch leben. Es hat einen Wert für die Kirche und die Menschheit als Ganzes, wenn es Vegetarier gibt und die das ganz bewusst für sich leben. Für den normalen Christen würde es erst einmal heißen, über seinen Fleischkonsum nachzudenken und sich zu fragen, wie viel brauche ich wirklich. Kann es nicht deutlich weniger sein? Hier reden wir von einem Drittel bis zu einem Viertel von dem, was wir hier in Österreich essen. Die andere Frage ist, wie hat das Tier gelebt, das ich jetzt konsumiere. Warum kann man nicht sagen, alle müssen Vegetarier sein? Wir müssen uns klarmachen, dass auch der Vegetarier von Lebewesen lebt, auch er zerstört Lebewesen.

Pflanzen zum Beispiel.

Auch die Pflanze hätte durchaus das Interesse weiterzuleben. Sie empfindet zwar keinen Schmerz wie das Tier. Aber wenn ich das Tier schmerzfrei töte, indem ich es betäube, hat es auch keine Schmerzen, ich nehme ihm aber das Leben. Und ich nehme der Pflanze auch das Leben. Der Mensch kann nicht auskommen, ohne anderes Leben zu vernichten. So läuft der Kreislauf des Lebens, so ist diese Welt angelegt. Unser Körper wird, sofern wir uns nach dem Tod nicht verbrennen lassen, andere Lebewesen ernähren. Ein striktes Verbot für alle, Fleisch zu essen, gibt es nicht. Aber der Vegetarier erinnert uns daran, dass Fleisch nicht selbstverständlich ist. Das ist das ganz Wichtige an seiner Lebensweise.

Die Mönche haben ursprünglich in Syrien und Ägypten vegetarisch gelebt.

Der Vegetarismus im Abendland kommt ursprünglich von den griechischen Philosophen. Die Philosophenschulen der Antike waren Lebensgemeinschaften. Sie haben zusammen gegessen und gelebt. Als im dritten Jahrhundert das Mönchtum in Syrien und Ägypten seinen Anfang genommen hat, haben die Mönche sich an den Schulen der Philosophen orientiert. Einige davon, nicht alle, haben vegetarisch gelebt. Die Mönche haben in der Bibel gelesen, dass auch die Menschen im Paradies vegetarisch gelebt und erst nach der Sintflut Fleisch gegessen haben. Das Mönchtum wollte so leben wie im Paradies. Deswegen auch der Zölibat, denn im Paradies braucht man keine Sexualität ausüben und keine Kinder zeugen, sondern man lebt ja ewig. Sie wollten in allen Beziehungen leben wie im Paradies.

Benedikt von Nursia (480– 547), der Begründer des abendländischen Mönchtums, hat einen gewissen Fleischkonsum erlaubt.

Er hat beim Besuch der Mönche in Ägypten gesehen, dass viele sehr rigoristisch wurden. Er hat gemerkt, dass die Menschen verhärten, dass das in den Fanatismus und in die Intoleranz führt. Das wollte er nicht. Er hat gesagt, wir machen einen Kompromiss, wir essen das Fleisch der kleinen Leute, nämlich Geflügel. Wir essen nicht das Fleisch der höheren Gesellschaft, nämlich Schwein und Rind, also keine vierfüßigen Tiere, auch kein Schaffleisch.

Den Mönchen nördlich der Alpen wurde später der Fleischkonsum erlaubt.

Das war zunächst einmal eine faktische Entwicklung. Die Mönche nördlich der Alpen haben im Winter gemerkt, dass sie verhungern, wenn sie kein Fleisch essen. Die Winter waren damals viel härter als heute. Pflanzen hat man nicht in einem derartigen Ausmaß konservieren können, dass sie über den Winter gelangt haben. Da hat man begonnen, Fleisch zu essen und man hat dann die Päpste um Erlaubnis gebeten. Das waren lange Auseinandersetzungen über viele Päpste hinweg. Manche waren nachsichtiger, andere haben auf den Buchstaben der Regel gepocht.

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Dann kamen die Zisterzienser, die mit ihrem Gründer Bernhard von Clairvaux (1090–1153) einen anderen Weg gefunden haben. Sie haben gesagt, wir essen kein Fleisch, aber es gibt ja noch den Fisch. Es gab damals eine innerkirchliche Debatte, ob Gläubige in der Fastenzeit Fisch essen dürfen.Zwei Aspekte waren hier relevant. Zum einen ist der Fisch Kaltblüter, man hat wahrgenommen, dass der Fisch dem Menschen nicht so nahe ist. Ein Huhn, ein Schwein ist uns viel näher. Zum anderen ist der Fisch am fünften Schöpfungstag erschaffen worden und nicht am sechsten, wie die Landtiere. Da hat man gesagt, die Fastengebote gelten für die Tiere vom sechsten Schöpfungstag. Die Zisterzienser haben begonnen, die Fischzucht und die Wasserbaukunst mit Teichen zu entwickeln, die das Gesicht unseres Landes geprägt haben.

Heute in der modernen Welt macht die Unterscheidung zwischen Fleisch und Fisch keinen Sinn mehr. Denn wir können Pflanzen ganzjährig bekommen.

Eine neue Entwicklung ist die vegane Ernährung. Wie sehen Sie diesen Trend?

Eine konsequent vegane Tradition gibt es hier nicht, jedoch eine gewisse Tradition bei den Kartäusern. Die Kartäuser leben an fünf Tagen der Woche vegan. Am Donnerstag (wegen des letzten Abendmahls am Gründonnerstag, Anm.) und am Sonntag (wegen der Auferstehung, Anm.) erlauben sie sich vegetarisch zu leben. Sie essen dann Milchprodukte und Eier. Die vegane Ernährung ist noch anspruchsvoller als die vegetarische. Sie hat im Christentum nie großen Widerhall gefunden. Sie ist noch konsequenter, weil man auf die Tiernutzung ganz verzichtet, aber es bleibt das Grundproblem erhalten, dass man auch Lebewesen töten muss, in dem Fall sind es Pflanzen. In diesen Kreislauf sind wir Menschen eingebunden.