"Frühstück über dem Führer-Bunker"
Bayerische Tradition. Ein "Obatzda" – als zwanghafter Versuch, am Wirtshaustisch der Kultur auf die Schliche zu kommen. Im "Bier-Adam", der sich rühmt, das älteste Bier-Wirtshaus im Berchtesgadener Land zu sein, wird der Gast beim Stochern im "Angepatzten", einem eigenwilligen Käseaufstrich, nicht fündig.
Bayrische Tradition. Wohin das Auge reicht. Geschäfte werben mit ihrer über hundertjährigen Erfahrung, Spanschachteln zu bemalen oder Bierkrüge zu gravieren. Weiß-blau, heimatverbunden. Gutshaus, Fruchthaus, Hofbäckerei, Hoflieferant. Ein Schild lockt auf den "Weg der Seligpreisung". Aus einem Schaukasten grinsen die CSU-Mandatare. In Tracht. Neun Janker, ein Dirndl. "Zukunft braucht Erfahrung. Und Du fehlst noch."
Was den Besucher tatsächlich nach Berchtesgaden treibt, steht anderswo geschrieben. Hinaus aus dem Ort – hinauf auf den Obersalzberg. Der Beschilderung folgend. Auf kurvenreicher Straße. 23 Prozent Steigung, die in den 2. Gang zwingen. Zur Auswahl stehen die Ziele: "CJD Asthmazentrum", "Kempinski", "Zum Türken" oder "Obersalzberg", "Kehlsteinhaus Busabfahrt".
Britische Bomber
Auf dem Parkplatz angekommen. Ein pittoreskes Panorama, das man aus vielen TV-Dokumentationen zu kennen glaubt. Das ist er also. Der Ausblick, den "der Führer" hatte. 1923 zum ersten Mal. Zehn Jahre und zahlreiche Enteignungen später verändert Adolf Hitler den Berg und die ganze Welt. Hitler lässt 6000 Meter lange Gänge in den Berg hauen, kreiert die Idee des 1000-jährigen Reiches auf Papier. Schreibt den zweiten Teil von "Mein Kampf". Überirdisch entstehen Häuser für ihn und seine Gehilfen. Bormann, Göring, Speer. Erst Feriendomizil, dann ein Machtzentrum. Doch davon ist jetzt nichts mehr zu sehen.
Britische Bomber verwandeln am 25. April 1945 Hitlers Refugium in einen Trümmerhaufen. Von seiner Anziehungskraft hat der Berg 71 Jahre danach dennoch nichts verloren. Ob für ewig gestrige Pilger, geschichtsinteressierte Touristen oder aufzuklärende Schüler.
Makellose Manipulation
"Bei 1 beginnen und dann bis zum Bunkereingang", sagt die Dame, die drei Euro für den Eintritt in das Dokumentationsarchiv und zwei Euro für den Audioguide haben möchte. Da ist er: der "Führer". Hakenkreuzfahne in der rechten Hand, die linke zu einer Faust geballt. Im braunen Nazihemd vor seinem Gefolge. Hitler erstrahlt als Revolutionär im Sonnenlicht, in einer vom Maler K. Stauber gewählten Verbissenheit, die aus heutiger Sicht eher einer Karikatur denn einem Respekt einflößenden Diktator-Abbild gleichkommt.
Bildhafte und hörbare Propaganda, betrieben von den Nazi-Bonzen in Berlin und vor allem auf dem Obersalzberg. Beklemmend, die nachhaltige Wirkung der Manipulation. Genau das zeigt die Ausstellung, das Dokumentationsarchiv am Obersalzberg, seit 1999. Hitler mit Staatsgästen.
Der "Führer" mit dem "Duce". Mit dem Herzog von Windsor, dem britischen Premierminister, jugoslawischen Außenminister, persischen Fürst, chinesischen Finanzminister oder Schuschnigg, dem österreichischen Bundeskanzler. Hitler mit Einheimischen. Hitler mit blonden Mädchen. Hitler mit Schäferhund. Hitler mit Eva. Hitler mit vollem Mund. Beim Essen. Und mit Brille. Beim Zeitunglesen.
Entlarvende Einblicke
Zwei Schwarz-Weiß-Fotografien, die unter Verschluss gehalten wurden. Der "Führer" hat schließlich "makellos" zu sein. So makellos, wie der Bund deutscher Mädchen oder die Hitlerjugend auf Plakaten inszeniert wurden. So makellos, wie die Reden, die aus den Volksempfängern gebrüllt wurden. Ein regelmäßig von "Heil"-Rufen durchbrochenes Stakkato.
Überhaupt ist es den Kuratoren des Dokumentationsarchivs gelungen, die Geschehnisse des Obersalzbergs in einem gesamthistorischen Kontext zu erklären. Stets unterstützt durch Schrift und Ton. "Stille Nacht, Heilige Nacht" – gesungen von Soldaten sämtlicher Frontabschnitte. Gespenstisch ist die Begleitmusik auf dem Weg zum Bunker. Der Eingang in die Unterwelt.
Gänge, verschlungen zu einem endlos scheinenden Labyrinth. "Aktenlager Bormann", "Küche und Vorratslager", "Gästehaus-Bunker". Im unterirdischen Reich war Platz für alles. Kälte, Betonwände, Neonlicht. Abgesperrte, vermauerte Zugänge lassen die wahre Größenordnung der Bunkeranlage nur erahnen, die Besucher zumeist nur flüstern. Aufmerksamkeit wollten einige trotzdem erregen. "Amor". "Ich will heim". "Ich auch". "Mario" war leider auch hier.
Das Wandgekritzel ist überall sichtbar. Die Hakenkreuze sind längst übertüncht. Wieder im Freien. Kein Tunnelblick mehr. Klare Sicht auf den Watzmann. 180 Grad Wendung. Das Kempinski Berchtesgaden.
Das Luxus-Hotel versucht sich in die Landschaft zu schmiegen. Hubschrauberlandeplatz und Hundewiese inklusive. 5-Sterne-Plus für den betuchten Gast auf geschichtsträchtigem Boden. Szenenwechsel. Statt "großzügigem Spa" heißt es auf der Homepage des Hotel Garni "Zum Türken" keine "Cocktails am Pool". "Kein Internet", dafür auch "Zimmer ohne Bad" und "die direkte Konfrontation mit der deutschen Geschichte" – "mehr Nostalgie" nennt es die Besitzerin.
Übermaltes Übel
Unter dem Haus: Die Bunkeranlage. Die direkte Verbindung zu Hitlers einstigem Berghof. 3,50 Euro kostet der Abstieg in 60 Meter Tiefe. Filmen und Fotografieren ist seit 2007 verboten. Mit schwarzem Edding-Stift steht auf weißen Fliesen nur das Nötigste laienhaft geschrieben, was hier dereinst war. "Gefängniszellen", "MG Stand", "Hundezwinger", "HIER SIND SIE UNGEFÄHR 10 METER UNTER DER ERDE. WENN SIE DIE TREPPE HINUNTER GEHEN, SEHEN SIE DEN ERSTEN MASCHINENGEWEHR-STAND. DIE DREI LÖCHER SIND 1 SEHSCHLITZ UND 2 MASCHINENGEWEHRSCHARTEN. ES WÄRE UNMÖGLICH GEWESEN, GEWALTSAM EINZUDRINGEN". Im Gegensatz zum Dokumentationsarchiv steht hier alles für sich. Allein.
Weiß und feucht die Wände, teils mit grünem Schimmel überzogen. Frisch übermalte Nazischmierereien. Ein amerikanisches Ehepaar widersetzt sich dem Verbot, der Mann in Shorts lässt seine Frau ein Erinnerungsfoto schießen. Zu kaufen gibt es Bilder von damals (siehe Abbildung unten) bei der alten Dame, die Eintritt kassiert. Sie hält ihre Auskünfte knapp. "Das hier ist Privatbesitz. Die Bunkeranlage hat mit dem Hotel nichts zu tun. Das da unten waren auch die persönlichen Räume von Adolf Hitler", sagt sie entschieden und widmet sich wieder ihrer Brotzeit.
Erkennbare Ehrfurcht
Auf der Rückfahrt, steil bergab nach Berchtesgaden. Eindrücke kehren wieder. Bilder. Sätze. Wie jener aus einer im Dokumentationsarchiv gezeigten TV-Dokumentation aus den 1950er-Jahren. Schon damals wollten Kaffee und Schwarzwälderkirschtorte konsumierende Touristen in Massen sehen, was Hitler gesehen hat. Den einzigartigen Ausblick vom Kehlsteinhaus.
Um dorthin zu gelangen, ließ sich Hitler in nur 13 Monaten eine Gebirgsstraße bauen. Bis auf 1834 Meter Höhe. Heute wie damals nur mit einem öffentlichen Bus erreichbar. Der Mann im Film stellt fest: "Das muss man ihnen lassen. Straßen bauen konnten sie."