Chronik/Oberösterreich

Die Kunst des Leidens

„Heuer ist es noch nicht so gut gelaufen, ich fühle mich schon das ganze Jahr ein bisschen müde“, zieht Felix Großschartner nach dem Giro d’Italia selbstkritisch Zwischenbilanz. „Ich hatte noch nie das Gefühl, dass ich die Leistung abrufen kann, die in mir steckt.“

Leistungsorientiert

Im Vorjahr hat er kurz hintereinander die Tour de France und La Vuelta, die Spanienrundfahrt, absolviert. Das hängt nach. Immerhin hat er einen Etappensieg bei der Tour des Alps eingefahren. Doch auf Platzierungen allein komme es ihm nicht an, sagt der 27-Jährige. „Ich bin leistungsorientiert und weniger ergebnisorientiert.“ Wenn er ein Rennen gewinne, obwohl er sich gar nicht so gut gefühlt habe, freue er sich, denke sich aber: „So richtig gut ist es mir nicht gegangen.“ Überhaupt sieht er sein sportliches Tun differenziert. Einfluss habe er darauf, sich perfekt vorzubereiten und im Rennen das Beste zu geben.

Radklub Wels

Zum Radsport ist Großschartner eher durch Zufall gekommen, nach einem Beinbruch beim Skilaufen. Ab seinen Anfängen beim Radklub Wels ging es beständig aufwärts. Heuer ist sein zehntes Jahr als Profi, seit 2018 fährt er für das deutsche Team BORA-hansgrohe. Dort hält man viel vom Oberösterreicher. „Felix ist sehr zielstrebig, gleichzeitig aber nicht verbissen. Mit ihm kann man viel Spaß haben“, beschreibt ihn sein Coach Hendrik Werner. „Emotionen spielen bei Felix eine große Rolle. Er genießt die Gemeinschaft und ihm ist wichtig, dass es in seinem Team läuft.“

Nein zum Durchschnitt

„Mainstream is average“, steht auf der Team-Website unter Großschartners Foto. Und: „To be unconventional opens possibilities.“ Das Motto sei ihm verpasst worden, sagt er, passe aber ganz gut zu ihm. Durchschnittlich wolle er keinesfalls sein, unkonventionell durchaus. So unternehme er schon einmal eine Skitour, derweil andere im Wintertrainingslager schuften.

Ein Künstler

„Ich bezeichne mich eher als Künstler“, sagt er: „Das Maximale aus seinem Körper herauszuholen, hat etwas Künstlerisches.“ Coach Werner fasst es so zusammen: „Er ist jemand, der extrem leiden kann, einen sehr starken Willen hat, getrieben durch die Emotion. Das kann in beide Richtungen ausschlagen. Wenn er das Gefühl hat, dass es läuft, dann schöpft er Selbstvertrauen und kann über sich hinauswachsen. Wenn es nicht so läuft, zweifelt er manchmal zu viel an sich und kann dann nicht zu 100 Prozent abrufen, was eigentlich in ihm steckt. Er muss da etwas gelassener werden.“

Konzentration auf die Vuelta

Die Frankreich-Tour lässt Großschartner heuer aus, um sich ganz auf die Vuelta zu konzentrieren. Von 14. August bis 5. September geht es über 21 Etappen und 3.336 Kilometer von Burgos nach Santiago de Compostela. Der erste Härtetest wartet schon auf der längsten Etappe am dritten Tag, wenn nach rund 203 Kilometern das Ziel auf 1.500 Meter Seehöhe zu erklimmen ist. In dieser Art geht es weiter, acht Bergankünfte stehen an. Das Programm passt für den laut Eigendefinition „bergfesten Allrounder“. Aber: „Die Hitze macht es nicht leichter.“

Im Juli vier bis sechs Stunden täglich

Nach einer Pause hat soeben der Formaufbau begonnen. Von Linz, wo der gebürtige Marchtrenker wohnt, unternimmt er lockere Ausfahrten nach Trainingsplan. Via App werden alle Daten an das Team weitergeleitet. Zwei bis drei Stunden ist er unterwegs, im Juli wird auf das Doppelte gesteigert. Dann geht es in das Höhentrainingslager. Jetzt besucht er aber erst einmal Freundin Sabrina, die in Dänemark das Masterstudium in Global Sales and Marketing macht. „Wegen Corona haben wir uns seit drei Monaten nicht gesehen“, freut sich Großschartner. In Spanien wird er Kapitän des Acht-Mann-Teams sein. Ziel sei ein Etappensieg und ein Platz unter den ersten zehn im Gesamtklassement. Mit Platz neun im Vorjahr habe er bewiesen, „dass er Zeug hat, bei den großen Rundfahrten ganz vorne mitzufahren“, sagt Coach Werner. „Ich traue ihm in jedem Fall ein Top Fünf Ergebnis zu, wenn er weiter hart an sich arbeitet.“