Chronik/Oberösterreich

„Es geht um unsere Arbeitsplätze“

Landeshauptmann Josef Pühringer  reist Mittwoch und Donnerstag zum Ausschuss der Regionen nach Brüssel.  Ein Gespräch über die Krise der EU.

KURIER: Österreich haftet im Zuge des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)  mit 20 Milliarden Euro. Wird Ihnen da nicht mulmig?
Josef Pühringer: Die Entwicklung in Europa ist alles andere als erfreulich. Aber als Land, das 60 Prozent seines Wohlstands aus dem Export schöpft, haben wir jegliches Interesse, dass die Stabilität  erhalten bleibt.  Unser Problem ist, dass einige Länder in verantwortungsloser Weise eine Verschuldung eingegangen sind, die die Stabilität  infrage stellt. Natürlich ist Solidarität gefragt. Denn wenn Europa crasht, dann werden wir stark in Mitleidenschaft gezogen.
 Es geht nicht um Brüssel oder Maastricht, sondern es geht um unsere eigenen Arbeitsplätze und um unseren Wohlstand.
Das Entscheidende ist, dass wir eine funktionierende Bankenaufsicht bekommen und  dass Europa so ausgestattet ist, dass es gegen jene Länder, die die Budgetdisziplin ignorieren, vorgehen kann.  Ich bin gegen ein Europa, dass die Souveränität der Staaten abschafft, aber  ich will ein Europa, das einschreiten darf, wenn manche die Solidarität missbrauchen.  

Das ist ein Bekenntnis zum Fiskalpakt.
Das ist ein Bekenntnis zum Fiskalpakt aus der Notsituation heraus.  Europa ist derzeit so, wie es ist. Wir müssen höchstes Interesse  an der Stabilität haben.

Das bedeutet auch, dass Sie für den Verbleib  aller Staaten im Euro, also gegen eine Aufspaltung des Euro-Raums sind, oder?
Das kann sich ein Politiker eines Exportlandes nicht wünschen.  Ich war schon Mitglied der Landesregierung, als wir horrende Summen für den Währungsausgleich bezahlt haben, weil  die italienische Lira  auf- und abgewertet wurde.  Der Euro hat Stabilität im Export gebracht. Diese Sicherheit brauchen wir.  Eine Trennung in Good- und Bad-Staaten kann es  nicht geben.

Kann man die Vorteile, die Österreich aus dem Euro zieht, beziffern?
Es ist eine Tatsache, dass Oberösterreich seit dem EU-Beitritt die Exporte verdoppelt hat. Natürlich hat die positive Entwicklung mit dem Fall des Eisernen Vorhangs begonnen. Wir waren in einer Randlage und sind heute mitten in  Europa.

Der Fiskalpakt  bringt eine Vertiefung der Integration. Die Nationalstaaten müssen Kompetenzen im Finanzbereich an die Gemeinschaft abgeben.  Wie weit soll diese Vertiefung  gehen?
Man muss hier differenzieren. Man muss in der Finanzpolitik Kompetenzen an Brüssel abgeben und festlegen, was auf europäischer Ebene geregelt werden soll. Es muss weiters festgelegt werden, was mit denen passiert, die sich undiszipliniert verhalten. Die Lösung heißt, so viel Europa wie notwendig und so viel Eigenständigkeit wie möglich.
 Europa soll nicht die Mitgliedsstaaten bevormunden,  aber es muss eingreifen, wenn einige ihre Hausaufgaben vernachlässigen.

Das bedeutet, dass Brüssel in die nationalen Haushalte eingreifen kann.
Wir haben derzeit eine sehr differenzierte Finanzsituation in den Mitgliedsstaaten, die beachtet werden muss. Es muss Regeln geben, aber es darf keine Gleichschaltung geben.  Dass es Regeln geben muss, müssen gerade jene Staaten verlangen, die die Haftungen übernehmen müssen. Unser Ziel kann nur ein wirtschaftlich erfolgreiches Europa sein. Davon  profitieren alle.

Wie soll sich Europa weiterentwickeln? In Richtung Staatenbund oder in Richtung Vereinigte Staaten von Europa?
Es passt keines dieser Modelle auf Europa. Am ehesten noch das Modell der Vereinigten Staaten  Europas. Denn sie garantieren Souveränität und Selbstständigkeit,  aber darüber  hinaus eine gemeinsame Verantwortung.  Ich bin gegen Eingriffe in die Souveränität, aber sehr wohl für eine Polizeifunktion, die rechtzeitig eingreifen kann, wenn es brennt.
 Die Sirene muss  heulen, wenn der Brand beginnt und nicht erst, wenn das Haus in Flammen steht.   Dieses Alarmierungssystem haben wir bisher nicht gehabt. Wenn in Europa ein Haus brennt, ist die Gefahr der Brandübertragung sehr groß.

Europa hat nicht nur im Finanzbereich Defizite, sondern auch demokratische.  Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat zu überlegen gegeben, den europäischen Präsidenten direkt zu wählen.
Hier kann man über Verschiedenstes reden.  Wir müssen aber primär das Akzeptanzproblem lösen. Hier haben die Nationalstaaten und die Länder eine große Aufgabe. Die Länder sind näher bei den Menschen als die Staaten und die europäischen Institutionen.

Warum sind die Akzeptanzprobleme so groß?
Weil die Probleme schwierig sind, weil man sie schwer erklären kann, weil Brüssel und Straßburg weit weg sind und weil in der Natur des Menschen ein gewisser Zorn über jene besteht, die undiszipliniert sind. Denn deretwegen haben wir Leistungen zu erbringen, die wir nicht erbringen müssten.

Aber das Akzeptanzproblem gab es auch schon vor der Krise.
Aber nicht in diesem Ausmaß. Ich sehe die Aufgabe der Länder und Gemeinden im Europa der Regionen darin, dass wir uns stärker als Dolmetscher betätigen.  Jetzt schwindeln sich die nationale und die Landespolitik gerne an Europa vorbei. Denn das Thema Europa ist nicht sehr angenehm.  
Europa wird gerne zum Sündenbock für Probleme gemacht, die  nicht in Europa ihre Wurzeln haben. Außerdem eignet sich Europa perfekt zum Populismus. Verantwortungsvolle Politik muss, bei allen Problemen des Euro und der Banken, den Menschen immer wieder in Erinnerung rufen, dass die EU den Frieden sichert.  Derzeit gibt es weltweit 62 Kriege, aber keinen einzigen in Europa. Das geht in der Debatte um den Euro völlig unter.

Es geht um mehr als den  Frieden, es geht wesentlich auch um die Sicherung des  Wohlstands.       
Der Friede ist das Allerentscheidendste. Das vergessen jene sehr schnell, die über Europa schimpfen. Es gibt an Europa sehr viel zu kritisieren. Ich bin auch für eine Re-Nationalisierung   mancher Bereiche, zum Beispiel in der Regional- und in der Landwirtschaftspolitik.
Aber so lange sie in der Lage ist, uns den Frieden zu sichern, ist sie wert, dass man sich für sie einsetzt. Ich bedaure, dass dieser Wert von den Populisten total überlagert wird.

Warum tun sich Landes- und Bundespolitiker so schwer, sich in Sachen Europa zu engagieren?
Da gilt das Sprichwort: Das Hemd ist einem näher als der Rock. Natürlich gibt es auch das Phänomen, dass man sich nicht gerne die Finger  bei einem unpopulären Thema verbrennt.
   Ich persönlich spreche es aber häufig bei meinen Reden an und sage allen immer wieder, dass Europa trotz aller Probleme und trotz aller berechtigten Kritik das beste  Friedensprojekt ist, das wir jemals gehabt haben.