Erwärmung und Käfer lassen Fichten sterben
Auf der idyllischen Weingartalm im Nationalpark Kalkalpen finden sich frische Verdauungsspuren von Rotwild. Wo in der Nacht die Hirsche geäst haben, starten wir in Begleitung der Bundesforste-Experten Johann Kammleitner und Bernhard Sulzbacher eine spannende Erkundungstour durch das Waldmeer. Wir sind inmitten einer 21.000 Hektar großen Waldwildnis. Die Bundesforste haben in den vergangenen fünf Jahren eine umfassende Waldkartierung vorgenommen.
Buchen statt Fichten
Kammleitner: „Die Ergebnisse sind erstaunlich und zeigen, dass sich die Struktur der Wälder massiv verändert hat. Begleitet wird diese Entwicklung von einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad im Zeitraum von 1950 bis 2018. Wesentlichen Einfluss hatten auch die Wirbelstürme Kyrill und Paula 2007 bzw. 2008, die zu zahlreichen Windwürfen führten. Von den im Nationalpark vertretenen 32 Baumarten sind Fichte, Buche und Lärche am stärksten vertreten. Die Fichte hat sich um acht Prozent reduziert und wächst bei Standorten unter 1000 Metern weniger als früher. Sie wurde von der konkurrenzstärkeren Buche verdrängt, die um 38 Prozent zugenommen hat.“ Lärche und Tanne haben ebenfalls abgenommen.
Beim weiteren Weg in eine Waldlichtung können wir diese Entwicklung hautnah nachvollziehen. Kammleitner: „Hier war früher 100 Prozent Fichtenbestand, jetzt wachsen zu 70 Prozent Buchen.“ Ein gutes Beispiel, wie die Natur ohne Wiederaufforstung und menschliche Pflegeingriffe einen Baumartenwechsel vollzieht. Allenthalben fällt der Blick auf noch stehende oder liegende tote Bäume. Sulzbacher erklärt die große Bedeutung von Totholz: „Dieses ist geradezu das Markenzeichen von Urwäldern und ein wesentlicher Unterschied zu bewirtschafteten Wäldern. In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil von 17 Festmetern pro Hektar auf 33 Festmeter fast verdoppelt. Hauptverantwortlich dafür waren Stürme und der Borkenkäfer.“
Von rund 13.000 im Wald lebenden Pflanzen-, Pilz-, und Tierarten sind etwa 4.500 im Lauf ihrer Entwicklung auf Totholz angewiesen. Diesen Artenreichtum belegen die Forschungen im Nationalpark. Sulzbacher: „Während im Nationalpark Kalkalpen mehr als 1.500 Schmetterlingsarten vorkommen, finden sich im Zentralraum Linz nur mehr 80.“ Fast als wollte er seine Freude über unseren Besuch ausdrücken, setzt sich ein orange-schwarzer Schmetterling auf die Hand eines Besuchers und knabbert entspannt mit seinem zarten Rüssel daran.
Schwarzspecht
Neben den Insekten haben auch die Vögel ihre Freude am Totholz. Kammleitner zeigt uns die einige Zentimeter großen Löcher in einer toten Fichte, die der Schwarzspecht gepickt hat, um sich an den Insektenlarven zu laben.
Borkenkäfer
Eine riesige liegende Fichte lädt uns ein, den am meisten gefürchteten Schädling zu untersuchen, den Borkenkäfer. Kammleitner lenkt unseren Blick auf feine Späne-Häufchen auf der Rinde des Baumes. Sie zeigen an, dass er vom Borkenkäfer befallen ist. Mit einer kleinen Axt entfernt er dann ein Stück Rinde. Gebannt beobachten wir, wie dieser gefürchtete Übeltäter aussieht. In einem labyrinthartigen Gangsystem entdecken wir einen ca. sechs Millimeter großen schwarzen Borkenkäfer. Es ist ein sogenannter Buchdrucker und damit neben dem Kupferstecher der am häufigsten vertretene seiner aus 250 Arten bestehenden Gattung.
Baum sendet Lockstoffe aus
Kammleitner weiß, warum sich das Insekt in diesem Baum wohlfühlt: „Wenn ein Baum wie dieser nicht genügend mit Wasser versorgt wird, sendet er – unbewusst – Lockstoffe aus, die den Borkenkäfer anziehen. Falls der Baum noch genügend Kraft hätte, würde er sich gegen das Eindringen wehren, indem er Harz ausschüttet. Wenn es dem Buchdrucker aber gelingt, sich durch die Rinde zu bohren, zerstört er durch den Fraß der Larven und erwachsenen Käfer das für den Baum lebensnotwendige Bastgewebe. Er benötigt zwischen acht und zwölf Wochen, um sich zu vermehren.
Mehrere Fortpflanzungszyklen
Im heißen Jahr 2018 gab es drei solcher Fortpflanzungszyklen. Durch den kühlen Mai im heurigen Jahr wird es wohl nur zwei Zyklen und damit wesentlich weniger Nachwuchs geben. 900 Käfer sind notwendig, um einen Baum zu töten. Ein Weibchen kann in einer Saison bis zu einer Million Nachkommen erzeugen.“ Eine äußerst fruchtbare Spezies, die sich auch rasch über Entfernungen bis zu 20 km ausbreitet. 95 Prozent der Borkenkäfer „schwärmen“ allerdings nur maximal 500 m weit.
Selbstregulierung
Daher werden auch an den Rändern des Nationalparks auf diese Distanz tote Bäume entfernt, um Schädlinge von den angrenzenden privaten Waldbesitzern fernzuhalten. „Interessanterweise hat sich der Befall durch diesen Schädling heuer wieder auf das Ausmaß des Jahres 2005 reduziert", so Kammleitner, Es gibt einfach nicht mehr genug geschwächte Bäume. Die Natur scheint sich also gut selber zu regulieren.
Autor: Josef Leitner