Chronik/Oberösterreich

"Der Komfortlevel muss runter"

Der Hongkonger Großreeder Helmut Sohmen war wieder einmal zu Gast in seiner Heimatstadt Linz. Der Chef der "World Wide Shipping Agency" nimmt zu aktuellen Fragen Stellung.

KURIER: Wie sieht die Euro-Krise aus chinesischer Sicht aus?
Helmut Sohmen: Man ist etwas verblüfft, dass es so wenig an Führung gibt. Dass es das Eingeständnis gibt, wie groß die Probleme sind und wie schnell man handeln sollte, um sie zu lösen, dass das aber dauert. Man ist auch erstaunt, wie stark die Souveränitätsbehauptungen der einzelnen Regierungen in den Vordergrund treten. Wie stark der Nationalismus nach all den Jahren der Europäischen Union und der Zusammenarbeit auf allen Gebieten ist. Er steht viel stärker im Vordergrund als die Gesamteinheit.
Die reicheren europäischen Staaten müssen sich auf Transferzahlungen an die schwächeren Länder einstellen. Das hat man auch noch nicht akzeptiert. Es gibt ja auch innerhalb der Staaten Transferzahlungen von besser gestellten Regionen an schwächere, um wirtschaftliches Gefälle auszugleichen. Das muss man auch innerhalb der EU akzeptieren. Man muss gewisse Schmerzen ertragen und gewisse Opfer für das Gesamtwohl bringen. Das ist schwierig. Ich habe den Eindruck, dass zu wenig versucht wird, das öffentlich zu debattieren.

Sind die europäischen Demokratien in der Lage, die Krise zu bewältigen? Ohne Kürzungen bei den Wohlfahrtsleistungen des Staates wird es vermutlich nicht mehr gehen.
Man muss den Komfortlevel heruntersetzen. Man muss den Leuten sagen, dass sie mehr sparen müssen und dass sie weniger konsumieren können. Dass nicht mehr alle Wohlfahrtsleistungen des Staates möglich sind. Die öffentlichen Haushalte müssen saniert werden. Die Menschen werden mehr Steuern zahlen müssen und werden weniger staatliche Hilfen bekommen. Man sieht es jetzt ganz deutlich in Griechenland, wo eine Verbesserung der gegenwärtigen Zustände nur durch Schmerzen erfolgen kann. Es ist ein Ergebnis der Tatsache, dass man die Menschen zu verwöhnt hat und man nicht mehr leicht zur Realität zurückkehren kann. Es werden Abstriche in ganz Europa gemacht werden müssen. Die Menschen sind unzufrieden. Man kann den Regierungen vorwerfen, dass sie nicht genügend hart durchgreifen. Aber der Versuch des Durchgreifens, der Erklärung an die Bevölkerung, dass man hier Opfer bringen muss, kommt sehr schlecht an.

Die Politiker machen es nicht, weil sie befürchten müssen, dass sie abgewählt werden, oder?
Natürlich. Das ist ein Exempel für das kurzfristige Denken der europäischen Demokratie. Durch die Kritik an den Politikern bekommt man nicht jene Leute, die fähig sind, um mit den Problemen fertig zu werden.

Man bekommt nicht die besten Leute?
Das habe nicht ich gesagt (lacht). Sie haben das gesagt. Politiker sind sehr exponiert. Ihr Privatleben können sie abschreiben. In der Politik ist man Freiwild. Aus diesem Grund sind ist die Anzahl jener Führungskräfte beschränkt, die den Bürgern eindringlich machen, was gemacht werden muss, um aus der Misere rauszukommen.

Das heißt, die Europäer leben über ihren Verhältnissen?
Nicht nur die Europäer, auch die Amerikaner. Diese sind auch hoch verschuldet.

Asien hat mit seinem Wachstum der westlichen Welt bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise stark geholfen. Wird das jetzt wieder der Fall sein?
Ich glaube nicht an die Theorie der Abkoppelung, wonach es Teile der Welt gibt, die sich von der Gesamtentwicklung abkoppeln können. Das ist im Guten wie im Schlechten so. Wenn in China die Möglichkeiten der Exporte von Konsumgütern zurückgehen, schwächt sich auch das Wachstum ab. Es ist bereits auf 8,4 Prozent zurückgegangen, man redet jetzt von sieben Prozent. In einem Entwicklungsland braucht man sieben Prozent, um überhaupt positives Wachstum zu haben und den Wohlstand für die Bevölkerung weiter zu erhalten. Noch vor ein, zwei Jahren hat man von zweistelligen Wachstumsraten gesprochen. Das wird in Indien und Brasilien ähnlich sein. Sie sind von den europäischen Konsummärkten abhängig.
Verschieben sich die Machtgewichte von Westen hin nach China?
China ist immer noch ein Entwicklungsland. Aber wenn sie vom Jahr 2020 reden, dann sicher ja. Das Potenzial in Indien, Indonesien ist größer, allein schon von der Bevölkerungsanzahl und der Tatsache, dass die Menschen einen größeren Arbeitseifer haben. Die Produktivität ist in den entwickelten Ländern sicher höher, aber der existenzielle Ehrgeiz ist unter den Asiaten größer. Der Komfortlevel der Europäer ist ihr Ziel, aber er ist noch nicht erreicht. Der "Hunger" und der Wille zum sozialen Aufstieg sind stärker. Sie strengen sich noch mehr an. In Asien ist man optimistischer. Der Glaube an die Möglichkeit der Verbesserung ist in allen fernöstlichen Ländern da. Man glaubt an eine gute Zukunft. Man hofft darauf, das man durch Anstrengung, durch Sparen und gute Investitionen den Lebensstandard verbessern kann. Man ist auch eher bereit, den Gürtel enger zu schnallen, im Glauben, dass es später besser wird. In Europa muss man eher schon am Abgrund stehen, damit etwas gemacht wird. Es herrscht eine eher resignative Stimmung.

Sind Sie eher in Sorge oder eher optimstisch?
Ich bin in Sorge über die nächsten drei, vier, fünf Jahren für Europa und die Vereinigten Staaten. Es gibt einige Anzeichen der Verbesserung in Südamerika. Ich glaube, dass sich der gegenwärtige Anstieg in Indien etwas abflachen wird. Fragen der Inflation und der Korruption müssen geklärt werden. Ich bin generell optimistisch was die Zukunft Chinas betrifft. Es kann Schwierigkeiten geben, aber man handelt richtig. Man handelt entschieden. Die Chancen sind größer, weil mehr gespart wird und weil die Regierungen größere Spielräume haben. In den vergangenen 30 Jahren haben sie alle ihre Ziele übertroffen.

Der Reeder: Er fördert weltweit Öl und Gas

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Als Helmut Sohmen Donnerstagabend die Ausstellung "Ni Hao Linz - 300 Jahre Austausch zwischen Oberösterreich und China" im Linzer Stadtmuseum Nordico eröffnete, erhielt er als Geschenk ein Foto des Geschäftes seines Vaters in der Linzer Franckstraße. Mit dabei waren auch Sohmens Schwester und sein Sohn. Der 73-Jährige, der in Hongkong lebt, leitet die Reederei "Bergesen Worldwide" mit 100 Schiffen. Davon sind 17 so genannte Off-shore-Schiffe, umgebaute Tanker, die wie fliegende Raffinerien aussehen und anstelle von Plattformen Öl und Gas aus dem Meeresboden fördern. Das Billigste kostet 250 Mill. Dollar, das Teuerste 1,3 Mrd. Auf den restlichen 87 Schiffen werden Öl und Gas befördert. Sein Schwiegersohn führt eine Frachtflotte von fünf Mill. Tonnen.