Chronik/Oberösterreich

„Den Daten-Kraken entgegentreten“

Günter Ziegler ist begeisterter Mathematiker. Nicht nur, weil er als Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin unterrichtet, sondern weil er von ihrem praktischen Nutzen überzeugt ist. „Der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister und spätere EU-Kommissar Martin Bangemann wurde einmal von einem Journalisten gefragt, wie viel Nullen  eine Milliarde hat. Zuerst hat er mit  sieben geantwortet, dann mit acht.  Tatsächlich sind es neun.“

Bei seinem Vortrag im Klostersaal Traunkirchen diese Woche fragte er die Zuhörer, über wie viel Schulden Deutschland verfüge. Es sind 2000 Milliarden Euro, in Österreich 200 Milliarden. Ziegler präsentiert sich als Fan von Adam Riese, der eigentlich Adam Ries hieß und ein deutscher Rechenmeister (1492–1559) war. Er präsentiert  dessen Lehrbüchlein Rechenung auff der linihen und federn, das 1522 erschienen ist und   das erstmals die Rechenregeln, die damals eine Geheimwissenschaft waren, schriftlich niedergelegt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
1522 sei noch ein  weiteres Buch  von weltgeschichtlicher Bedeutung erschienen: Die deutsche Bibelübersetzung von Martin Luther und 1525 ein Geometrie-Buch von Albrecht Dürer.

Das Rechenbüchlein von Ries habe die Welt verändert. Denn vorher mussten  die Kaufleute bei ihren Geschäften einen offiziellen Rechenmeister heranziehen, damit es korrekt zuging. So erhielt  zum Beispiel 1432 Johann Dürrschmid  das Recht des Rechenmeisters in Nürnberg. Das war ein einträgliches Geschäft, weil  er für seine Leistung    prozentuell zum Wert der verkauften Ware entlohnt wurde. Das Rechenbüchlein Rieses machte die Rechenmeister überflüssig und trug  zum Florieren und zur Ausbreitung des Handels   nördlich der Alpen bei.

Werbeinhalte

Heute sind die Menschen ebenfalls mit den Auswirkungen der Mathematik konfrontiert.  Zum Beispiel durch das Data-Mining. Vor allem Internet-Firmen  wie Google, Amazon oder Facebook versuchten aus riesigen Datenbergen  Informationen über die Nutzer zu gewinnen. Dabei würden sie mathematische Algorithmen verwenden.  

So gebe beispielsweise Google sehr viel Geld für Mathematik aus. Algorithmen lösten aufgrund bestimmter Schlüsselwörter bei Google-eMails  ganz bestimmte, auf den Nutzer abgestimmte  Werbeinhalte aus. Wer bei Amazon ein Buch bestelle, bekomme in der Folge ständig Kaufvorschläge von  Büchern mit ähnlich gelagerten Inhalten.  Aber auch die Partnerschafts-Portale würden auf Algorithmen zurückgreifen, um herauszufinden, ob  Menschen wirklich zusammenpassen.  

Wie soll der moderne Mensch damit umgehen? Ziegler: „Jeder Einzelne muss sich fragen, wem gebe ich meine Daten?“ So versuche Facebook, aus den Informationen und mithilfe von Algorithmen das ganze Leben eines Nutzers nachzuzeichnen. Man sollte diesen modernen „Daten-Kraken“ wie Facebook, Amazon und Google   mit Selbstbewusstsein entgegentreten. „Es stellt sich  die Frage, ob wir selbst entscheiden oder sind wir Opfer der Werbeindustrie?“