Chronik/Oberösterreich

„Das wird sich explosiv entladen“

Hubert Feichtlbauer ist einer der führenden katholischen Publizisten Österreichs. Der 80-Jährige stammt aus Obernberg und war unter anderem  Chefredakteur des KURIER.

KURIER: Sie haben sich ein Leben lang für die Kirche engagiert. Beim II. Vatikanum gab es große Aufbrüche, seither geht es bergab. Ist das nicht frustrierend?
Hubert Feichtlbauer: Auf den ersten Blick schon.  Wenn man sich zwingt, ein bisschen gelockert und gelassen auf die Dinge zu schauen,  dann kommt man schon drauf, dass gewisse Umorientierungen im Denken nicht mehr rückgängig zumachen sind. Bei allem, was noch offen ist an Konkretisierungen. Zum nicht mehr Änderbaren  gehört zum Beispiel die Muttersprache im Gottesdienst, der Priester schaut zum Volk und nicht mehr zum Altar, die Anerkennung der Menschenrechte – auch wenn der Vatikan erstaunlicherweise noch immer nicht  die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat. Weiters, dass jeder Mensch unveräußerliche  Rechte hat, wozu auch die freie Wahl der Religion gehört.    Dann die Anerkennung der Autonomie der weltlichen Sachbereiche und  die Gewissensfreiheit.

Der Aufbruch des Konzils ist  Geschichte. Die Jungen erleben eher eine müde Gesellschaft. Der Papst kritisiert das müde gewordene Europa, dabei ist ja die Kirche selbst müde geworden.
Die Ermüdung ist etwas ganz Entscheidendes. Im Hirtenwort  haben die Bischöfe nun aufgerufen, Glaube soll wieder zur Freude führen. Das hat auch das Konzil gesagt. Damals war es auch eine Freude. Umgekehrt sagen jene, die das damals erlebt haben, ihr habt uns ja die Freude geraubt, durch das Zögern, durch das Warnen vor Fehlentwicklungen. Der Konzilspapst Johannes XXIII. hat gesagt, nehmt die Welt wie sie ist, und seid in dieser Welt ein Zeichen der Hoffnung. Heute heißt es, die Welt ist schrecklich,  die Säkularisierung ist schuld an allem, der Glaube verfällt, und dann soll man sich nicht darüber aufregen, wenn die Kirche grantig wird.    Das ist eine Fehlhaltung, die man nicht genügend anprangern kann.

Die Entwicklung der Kirche kann man gut an der Biographie des jetzigen Papstes ablesen, der zuerst einer der führenden Theologen des Konzils gewesen ist, aber 1968 einen Schwenk vollzogen hat und  nun einer der großen Bremser ist.
Josef Ratzinger hat sich auf einmal so zu fürchten begonnen, nach dem Motto, wenn man die plebs, die Ungebildeten oder die Revoluzzer  ans Ruder lässt, dann zerstören sie alles. Das kann man ihm wahrscheinlich nicht mehr ausreden, obwohl, wie der Hochschulseelsorger Karl Strobl gesagt hat, die Grundgebärde des Glaubens ist der Aufbruch.  Neue Wege gehen, sich etwas Neues zutrauen. Die Kirche bremst jedoch immer mehr und meint, sie kann die Welt in ihrem Drehen aufhalten. Die Grundstimmung in der Kirchenleitung scheint heute die Ängstlichkeit zu sein. Viele Indizien sprechen dafür, dass Ratzinger nicht so weltfremd ist. Er hat schon eine Ahnung, was in der Welt passiert.  Er weiß, dass die Kurie reformiert gehört. Er sagt sich, ich bin jetzt über 80  und wenn ich die Baustelle eröffne, muss ich fürchten, ich hinterlasse ein Chaos.  Deshalb nagelt er alles fest statt aufzumachen.  Heute käme es aus Sicht der Reformbedürftigkeit  darauf an, Päpste auf Zeit zu wählen.  Denn jeder Mensch ist mit so einem Amt 30 Jahre lang überfordert.

Es gibt Reformbewegungen wie die Plattform „Wir sind Kirche" oder die Pfarrerinitiative. Besteht hier die Gefahr einer Spaltung?
Wenn man bedenkt, wie sehr sich der Papst um den rechten Rand der Kirche, um die Levebrianer bemüht hat, ist anzunehmen, dass er jene am anderen Rand, die Reformwilligen, nicht ausschließen will. Es ist ja erkennbar, dass Konsequenzen für die Reformer hinausgeschoben werden.Viele von den Bischöfen wissen, so kann es nicht weitergehen. Aber keiner traut sich das geltend zu machen. Solange solche Unterwürfigkeiten gegenüber dem römischen Zentralismus herrschen, wird nichts weitergehen. Aber das wird sich einmal explosiv entladen. Wenn kein Papst kommt, der etwas ändert,  dann wird die Änderungswelle von unten an die Mauern des Vatikans heranbranden.

Werden wir Änderungen noch erleben?
Ich will nicht mit dem alten Witz kommen, wo die Pfarrer sagen, wir erleben es nicht mehr, aber unsere Kinder. Es dauert einfach länger. Man muss auch in einer schnelllebigen Zeit über eine Generation hinausdenken. Man  kann nicht sagen, obwohl es heute  eine verbreitete Meinung ist, wenn ich es heute nicht mehr erlebe, dann interessiert mich das Ganze nicht mehr. Wenn die mittelalterlichen Menschen so gedacht hätten, würde es keine Dome  geben. Man muss sich damit abfinden, dass der Bau von großen Werken länger als eine Generation dauert und der Bau einer neuen Kirche dauert halt auch länger als eine Generation. Die Konsequenz ist nicht nachlassen und das Feuer am Leben zu erhalten – auch wenn es momentan nur eine kleine flackernde Flamme ist. Und sobald es die Gelegenheit gibt, müssen wir kräftig in sie hineinblasen.