Chronik/Oberösterreich

„Das ist keine technische Universität“

Gernot Kubin ist Professor an der Technischen Universität Graz und mit Unterbrechungen seit 12 Jahren ihr Senatsvorsitzender. Er hat das Institut für nicht lineare Signalverarbeitung (schnelles Rechnen in den Chips) und Sprachkommunikation (wie in SIRI oder Alexa) gegründet. Der 61-Jährige ist auch Sprecher der Senatsvorsitzendenkonferenz der österreichischen Universitäten, die sich kritisch zur geplanten Technischen Universität in Linz geäußert hat. Er ist in Wien geboren und hat die Oberstufe und die Matura an der Linzer Spittelwiese abgelegt.

KURIER: Worin begründen sich die Vorbehalte gegen die TU Linz?

Gernot Kubin: Das Konstrukt, wie es aus dem Konzeptpapier und dem Gesetzentwurf bekannt ist, ist eigentlich keine technische Universität.

Warum?

Sie wird bewusst an mehreren Stellen der Dokumente zum Gesetzesentwurf als eine interdisziplinäre Universität bezeichnet, ohne das Wort Technik überhaupt in den Mund zu nehmen. Dann kommen die Begriffe Digitalisierung und digitale Transformation, schließlich werden künstlerische Fächer betont. Das heißt, das ist eine sehr breit aufgestellte und kleine Universität, die in den technischen Fächern sicherlich nicht die Tiefe erreichen kann, die technische Universitäten erreichen. Damit kann sie mit den anderen technischen Universitäten nicht mithalten. Sie wird zu klein sein, um bei bestimmten unterschiedlichen technische Themen überhaupt massive Kompetenz aufbauen zu können.

Sie ist zu klein.

Sie ist auch zu wenig technisch. Sie wird weniger technische Kompetenz haben als die bestehende technisch-naturwissenschaftliche Fakultät (TNF) der Kepleruniversität (JKU). Diese Fakultät hat jetzt bereits so viele Professoren wie die geplante Uni im Vollausbau.

Sie haben die Interdisziplinarität kritisiert. Was heißt das?

Von den vier im Konzeptpapier genannten Studien führt ein einziges den Begriff Engineering im Titel. Andere fokussieren auf Creativity, Entrepreneurship, etc. Das sind alles wichtige Themen, die auch die technischen Universitäten in Österreich und international besetzen. Aber wenn der Schwerpunkt nur auf diesen Themen liegt, bleibt für die Technik nicht viel über. Es ist wertvoll, interdisziplinär zu agieren, aber eine technische Universität muss Ingenieurinnen und Ingenieure ausbilden, die in den technischen Kompetenzen Spitze sind und sich vertieft haben. Das ist mit diesem Konstrukt sehr schwierig.

Mit Interdisziplinarität wird der Brückenschlag zur Kunst etc. gesucht.

Ja, auch zu den Sozialwissenschaften etc. Wir feiern hier an der TU Graz heuer das 50-Jahr-Jubiläum des ältesten universitätsübergreifenden Studiums Österreichs, das Elektrotechnik-Toningenieur-Studium. Wir haben vor 50 Jahren als Techniker mit der Musikuniversität ein Studium begonnen, das diese Interdisziplinarität lebt, das aber die Studierenden tief in zwei Disziplinen verwurzelt und ausbildet. Die Absolventen und Absolventinnen können in der Industrie im Ingenieurberuf arbeiten, aber auch künstlerisch tätig werden.

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Trotzdem braucht man dafür keine neue Universität zu gründen. Linz hat eine hervorragende technisch-naturwissenschaftliche Fakultät, es hat mit der Bruckneruniversität und Kunstuniversität zwei künstlerisch orientierte Universitäten. Hier ist gutes Potenzial vorhanden, wo man etwas aufbauen kann.

Sie führen einen zweiten großen Kritikpunkt gegen die Technische Universität Linz an.

Es geht um die Zersplitterung der Ressourcen in Österreich. Nun kommt zu den 22 Universitäten eine 23. dazu. Wir haben mehr als 70 Hochschulen, wenn man die Pädagogischen Hochschulen, die Fachhochschulen und die Privatuniversitäten dazu rechnet. Deutschland hat bei der zehnfachen Bevölkerung nicht einmal 350. Das heißt, wir haben in Österreich schon doppelt so viele Einzelinstitutionen wie in Deutschland. Bayern gründet gerade auf ähnlich unselige Art und Weise wie Oberösterreich eine zweite TU, nach der TU München die TU Nürnberg. Die Schweiz hat mit der ETH Zürich und der ETH Lausanne zwei technische Universitäten und ist damit glücklich. Es gibt also für so ein kleines Land wie Österreich gar keinen Bedarf, die Dichte zu erhöhen. Die Nachbarn sind auch in den Rankings weiter vorne. Das Geld wäre besser investiert, die Verkehrsverbindungen zu verbessern als Hochschulen zu gründen. Zumal Linz schon ein hervorragender Hochschulstandort ist. Man könnte die vorhandenen Institutionen gut ausbauen.

Es gibt Überlegungen, die technisch-naturwissenschaftliche Fakultät (TNF) bzw. Teile der TNF in die Technische Universität zu integrieren.

Das sieht momentan nicht so aus. Diese Überlegungen hat man immer wieder einmal gehört. Das wäre ein anderes Modell. Es wird deswegen auch schwierig sein, weil im Gründungsgesetz festgelegt ist, dass die Angestellten nicht dem Kollektivvertrag der Universitäten unterstellt sein werden. Die Studierenden werden im privatrechtlichen Verhältnis zur Universität stehen. Die gesamte Verwaltung soll in eine eigene Betriebs-Ges.m.b. H. ausgelagert werden. Studierenden sollen Stipendien außerhalb des Studienförderungsgesetzes gewährt werden. Das sind alles Wesensmerkmale, die mit der jetzigen Fakultät nicht zusammenpassen.

Ich sage nicht, dass eine Integration der TNF nicht möglich ist, aber der Gesetzesentwurf weist in eine andere Richtung. Die TNF zu integrieren wäre aus Linzer Sicht ein sinnvoller Ansatz gewesen. Gesamtösterreichisch bin ich trotzdem ein bisschen skeptisch. Aber wenn man etwas macht, was für die Wirtschaft und Industrie in Oberösterreich unterstützend sein soll, wäre das sicher besser als mit dem neuen Institut auf der grünen Wiese.

Sie wird auf dem Gelände bzw. in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kepler-Universität errichtet.

Das bringt nichts, wenn sie komplett unterschiedliche Rechts- und Wirtschaftssysteme haben werden. Da gibt es auch keine Synergien. Es ist schön und gut zu sagen, die Leute sollen beide Unis servicieren, aber das wird nicht gehen, weil sie unterschiedliche Verträge zu exekutieren haben. Die Bürokratie wird dann eher teurer, wenn ich derselben Person sage, sie muss jetzt mit zwei verschiedenen Systemen arbeiten.

Ich möchte hier noch einen weiteren kritischen Punkt anführen. Es gibt einen gesamtösterreichischen Universitätsentwicklungsplan, der im Universitätsgesetz festgelegt ist. Er dient dazu, den Ausbau der Universitäten im Sinne eines überregional abgestimmten Leistungsangebots zu planen, zu begründen und zu argumentieren. Die neue Universität war und ist bis heute nicht im Entwicklungsplan enthalten, dessen Planungshorizont bis 2027 reicht. Hier führt sich die Politik selbst ad absurdum. Natürlich kann man Sachen aus dem Ärmel schütteln, wenn sich ein Landeshauptmann mit dem Bundeskanzler gut versteht. Aber hier wird nicht einmal nachgebessert.

Die politische Entscheidung, dass die Technische Universität kommen wird, ist gefallen.

Im Parlament ist sie noch nicht gefallen.

Aber in der Bundesregierung dürfte das Projekt abgestimmt sein. Was würden Sie den Betreibern raten, damit das Projekt doch zu einem Erfolg wird?

Man muss sich entscheiden, ob man eine TU haben will oder eine Spielwiese für Interdisziplinarität, die keine TU ist. Diese Entscheidung ist ganz wichtig. Wenn man eine TU werden möchte, muss man schauen, dass man die TNF dazu bekommt. Man muss auch hinterfragen, welche Bedarfe die oberösterreichische Industrie und Wirtschaft wirklich haben. Natürlich braucht jetzt jeder Digitalisierung. Alle österreichischen Universitäten sind in dieser Richtung aber längst aktiv.

Es bekommt auch die Universität Salzburg eine Fakultät für Digitalisierung.

Ja. Auch die TU Graz hat vor einem Jahr das Studium Digital Engineering eingeführt. Wir haben das bereits, was in Linz erst aufgebaut werden soll. Das ist ja nichts Neues. Die Universitäten entwickeln sich ständig weiter. Ich glaube nicht, dass die oberösterreichische Industrie nur digitale Transformationsexperten benötigt. Es ist fraglich, hier ein Profil zu entwickeln, das international attraktiv ist. Die oberösterreichischen Studierenden werden nicht reichen, sonst würde man das nicht so aufsetzen. Die Frage ist, ob man dadurch zusätzliche Studierende rekrutiert. Zusätzlich zu den vielen Fachhochschulen, die wir schon haben. Es sind viele Strukturelemente eins zu eins von den Fachhochschulen abgekupfert, wo man sich denkt, ist das wirklich eine Universität oder eine weitere Fachhochschule? Auch hier wäre es wichtig, wenn sich bei der Neugründung klare Aussagen wiederfinden, wo man eigentlich hin möchte.

Als Zielsetzung des Gesetzentwurfs wird genannt, dass man in zehn bis zwölf Jahren 6.300 Studierende mit 150 Professoren betreuen will. Das bedeutet ein Betreuungsverhältnis von 1 zu 42. Das ist deutlich schlechter als das, was für österreichische Hochschulen im Jahr 2030 geplant ist. Das Ministerium erstellt gerade einen Hochschulplan, in dem dieses Betreuungsverhältnis für die anderen Universitäten auf 1 zu 30 gesenkt wird. Da wird es bei der neuen Universität mit der Exzellenz nicht so weit her sein, wenn die Betreuungsrelation so viel schlechter ist.

Das Problem ist, dass die Professoren die Lehre nicht so gut machen können, wenn die Gruppen so groß sind. Und sie werden nicht so viel Zeit für die Forschung haben. Ist es dann für jemanden, der von außerhalb Europas kommt, attraktiv, Linz als Arbeitsort zu wählen? Hier muss man etwas bieten, wo man sagen kann, das ist einzigartig, das kann man nur hier machen. Die Menschen, die ihre erste Professur suchen, wünschen sich Freiräume. Und gute Finanzierungsmöglichkeiten. Die sind da. Aber ich glaube nicht, dass Linz ein zweites ISTA (Institute of Science and Technology Austria, Klosterneuburg) wird.