Chronik/Oberösterreich

„Das ist eine brandgefährliche Mischung“

Doris Hummer (47) ist Unternehmerin und seit 2017 Präsidentin der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Von 2009 bis 2015 war sie Landesrätin in der Landesregierung.

KURIER: Zuerst die Pandemie, nun der Überfall Putins auf die Ukraine. Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab.

Doris Hummer: Der Ukraine-Krieg bedeutet wirtschaftlich eine Vollbremsung. Die Auswirkungen sind noch nicht voll überschaubar und werden für Oberösterreich gravierend sein.

Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), spricht von Stagflation, also von niedrigem Wachstum und hohen Inflationsraten.

Das ist ein realistisches Szenario. Wir sind mit steigenden Energiepreisen konfrontiert, die Rohstoffpreise spielen verrückt.Die großen Automobilhersteller fahren ihre Produktionen zurück. Von ihnen hängen viele Betriebe ab. Wir sind auch schon wieder mit Anträgen auf Kurzarbeit konfrontiert. Die Auswirkungen sind massiv, sie können aber bei klugem politischem Handeln abgefangen werden.

Sie möchten, dass der Staat auf seine Abgaben bei der Energie komplett verzichtet.

Richtig.

Das betrifft Strom, Öl, Gas.

Richtig.

Soll das für alle Konsumenten gelten oder nur für die Unternehmen?

Wenn wir zum Beispiel die Mineralölsteuer generell oder für eine gewisse Zeit abschaffen würden, was für mich ein kluger Schachzug wäre, wären wir beim Spritpreis wieder beim Vorkrisenniveau, bei 1,40 bis 1,50 Euro. Das hilft dem Privaten genauso wie dem Unternehmer.

Würde der Staat das finanziell aushalten?

Selbstverständlich hält er das aus. Die Einnahmen sind ja jetzt wieder gesprudelt. Wir haben allein drei Milliarden Euro für die kostenlosen Tests ausgegeben. Das Geld muss nun so investiert werden, damit wir die Wirtschaft absichern. Wenn wir jetzt die Unternehmen nicht unterstützen, wird später keiner mehr Steuern zahlen. Denn dann gibt es zum Beispiel deutlich niedrigere Lohnsteuern. Es geht hier um einen Selbstzweck für den Staat. Wenn nichts unternommen wird, wird es eine Pleitewelle geben, viele Betriebe werden nicht mehr produzieren können.

Wie viel Wachstum kostet uns Putins Krieg?

Das WIFO hat die Wachstumsraten bereits revidiert, von 5,2 auf unter drei Prozent. Er kann aber noch schwerwiegendere Auswirkungen haben, wenn er länger anhält und keine Gegenmaßnahmen gesetzt werden.

Welche Erfahrungen aus den Unternehmen machen Sie derzeit bzw. was erfahren Sie in der eigenen Firma?

Ich verarbeite im eigenen Unternehmen Stahl und Aluminium. Der Alu-Preis ist seit Jänner um über 30 Prozent gestiegen.

Werden Aufträge storniert?

Selbstverständlich. Projekte werden eingestellt, Aufträge verzögern sich, Aluminium wird durch andere Materialien ersetzt. Das sind Konsequenzen aus die Unberechenbarkeiten in Märkten. Unsere Produkte sind dort im Einsatz, wo große Gebäude errichtet werden. Es wird dann in Erweiterungen investiert, wenn man Vertrauen in die Zukunft hat. Wenn Vertrauen in unsicheren Zeiten nicht da ist, wird es schwierig.

Wir bezahlen nun die Rechnung für die Abhängigkeit von russischem Erdgas. Die EU will die Abhängigkeit abbauen.

Die Abhängigkeit ist jetzt da, wir werden sie nicht von heute auf morgen beenden können. Auch das Ende der Heizsaison löst das Problem nicht, weil mehr als 50 Prozent des Bedarfs der Industrie dient. Wir brauchen Gas zur Erzeugung von Papier, Zement, Aluminium, Stahl. Eine Substitution kann nur schrittweise und mit Alternativangeboten funktionieren. Die Umstellung wird mehrere Jahre dauern, von heute auf morgen ist das völlig unrealistisch und standortgefährdend.

Wir stehen zu den Sanktionen, auch wenn es unsere Betriebe schmerzt.

Namhafte internationale Experten meinen, der Westen sollte sich komplett von den fossilen Rohstoffen Russlands abschneiden, das würde Putins Herrschaftssystem zum Einsturz bringen. Einer von ihnen ist Sergei Guriew, einer der prominentesten Ökonomen Russlands. Er war Berater des früheren Präsidenten Medwedew und Rektor der Moskauer New Economic School. Er sagt, der Kreml müsse von den Einnahmen aus dem Erdöl-und Erdgasgeschäft komplett abgeschnitten werden. Ganz schnell.

Wenn wir das heute machen würden, bedeutet das einen Stillstand in der oberösterreichischen Industrie.

Die EZB will schrittweise die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen. Soll sie verzögern?

Sie wird nicht umhinkommen, Maßnahmen zu setzen. Spritpreise sind zum Beispiel große Treiber der Inflation. Hier kann man auch mit anderen Maßnahmen, Stichwort Abgabensenkung, gegensteuern. Das ist ein sinnvoller Weg, denn hier ist viel Angst und Emotion drinnen. Die Explosion an den Rohstoffbörsen hat auch mit Erwartungshaltung, Bunkern und Spekulation zu tun. Wir müssen gegensteuern. Sonst wird es wirklich düster. Wir werden alle Elemente, beginnend von Liquiditätsunterstützung, Kurzarbeit und Abgabensenkungen brauchen.

Wenn wir tatsächlich eine Stagflation bekommen, wird es schwierig.

Viele sind sich nicht im Klaren, darüber, was das heißt. Die Menschen haben nicht erlebt, wie knapp wir an wirklichen Problemen vorbeigeschrammt sind. Wir haben ein Riesenglück gehabt, dass die Weltkonjunktur so schnell wieder angesprungen ist. Wir hatten vorher Jahre mit Null-Wachstum. 2016, 2017, 2018, 2019 hat die Konjunktur erst wieder angezogen. Wir hatten schwierige Jahre, wir haben das schon wieder vergessen. Vorher war die Finanzkrise. Das Gefährliche ist jetzt, die Wirtschaft einfach runterfahren zu lassen. Bis sie wieder hochstartet, bis wieder investiert wird, bis wieder das Vertrauen da ist, vergehen Jahre. Deshalb ist es so wichtig, dass jetzt schnell reagiert wird.