Chronik/Oberösterreich

„Biogas sorgt für Sicherheit und Wertschöpfung“

Klaus Dorninger (61) ist Geschäftsführer des Vertriebs der Energie AG und langjähriger Experte für Ferngas.

KURIER: Oberösterreich ist zu 70 Prozent von russischem Gas abhängig. Die Internationale Energieagentur IEA sagt, in der EU (2021 betrug der Import 155 Mrd. Kubikmeter) sei eine Reduktion innerhalb eines Jahres um ein Drittel möglich. Sie schlägt dafür ein Zehn-Punkte-Programm vor. Wie schnell ist der Ausstieg Oberösterreichs aus russischem Gas realistisch?

Klaus Dorninger: Die 155 Milliarden Kubikmeter werden sicherlich nicht durch LNG-Gas (verflüssigtes Erdgas) ersetzbar sein. Man muss im ersten Schritt einmal die Belieferungssituation so stabilisieren, wie sie heute ist. So wenig wie nur möglich vom Krieg beeinträchtigt. Momentan ist es so, dass der Gasstrom über Nord Stream I und über die Ukraine funktioniert.

Aufgrund des Krieges benötigen wir eine Strategie, die zu einer Reduzierung und zu einer Diversifizierung führt. Das Wichtigste ist im ersten Schritt die Verbrauchsreduktion. Das gilt übrigens für alle Energieträger und Rohstoffe. Energieeffizienz ist das wichtigste Thema. Alles, was wir nicht benötigen, müssen wir nicht importieren und wir steigern damit unseren Eigenanteil.

Was bedeutet das konkret?

Dass man effiziente Prozesse in der Industrie implementiert. In Oberösterreich hat sich das Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch entkoppelt. Es wird mehr produziert, gleichzeitig ist der Verbrauch gesunken. Alles, was bei den Gebäudehüllen verbessert wird, reduziert den Verbrauch in den Haushalten. Es geht drittens um die Mobilität, weil wir auch russisches Öl importieren.

Welche Möglichkeiten der Diversifizierung bestehen?

Hier geht es um LNG (Flüssiggas, transportiert mit Schiffen). Das kann man nicht sofort in großen Mengen machen, sondern es sukzessive erhöhen. Hier geht es um LNG aus Amerika und aus dem arabischen Raum. Man muss sich auch Alternativrouten mit anderen Ländern ansehen. Ist in Norwegen noch etwas verfügbar? Es gibt den kasachischen Raum. Die Gasleitung Nabucco (Erdgas aus der iranisch-arabischen Region) bzw. die Tauerngasleitung (LNG-Gas über das kroatische Krk in den Zentralraum Europas) ist nicht zustande gekommen. Sonst wäre das heute eine gute Schiene.

Eine weitere Möglichkeit ist der Wechsel auf erneuerbare Energieträger (fuel switch). Hier gibt es zwei Möglichkeiten: vom Erdgas zum grünen Gas (gewonnen aus landwirtschaftlichen Abfällen) und klimafreundlicher Wasserstoff (gewonnen z. B. aus Wind- und Sonnenenergie). Eine weitere Möglichkeit ist, Prozesse zu elektrifizieren (Gas durch Strom zu ersetzen). Diese Maßnahmen wirken zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Georg Strasser, Obmann des Bauernbundes, sagt, dass Biogas Teil der Lösung sei und allein mit organischen Abfällen 20 Prozent des heimischen Gasbedarfs abgedeckt werden könnten. Stimmt das?

In Österreich ist ein umsetzbares Potenzial von rund 20 Terawattstunden da. Das sind mehr als 20 Prozent. Das besagt eine Studie der österreichischen Energieagentur (AEA). Es ist ein Weg, der Versorgungssicherheit bringt, er bringt inländische Wertschöpfung, und es ist ein Technologiethema, wenn es um Wasserstoff geht. Es gibt derzeit rund 250 bis 300 Biogasanlagen, die Strom produzieren. Teilweise mit ungünstigen Wirkungsgraden. Man kann einen Teil dieser Anlagen relativ rasch in Richtung Einspeisung in Erdgasnetze weiterentwickeln.

Landwirtschaftliche Reststoffe wie Grünschnitte kann man vergären und das Biogas reinigen und damit auf Erdgasqualität bringen. Das sind wichtige Potenziale, sie sind volkswirtschaftlich gescheit. Wir können auch das Thema des unterschiedlichen Bedarfs im Sommer und Winter bewältigen. Im Sommer sinkt der Jahresverbrauch um 40 Prozent, im Winter steigt er um 40 Prozent. Biomethan kann man in den Erdgasspeichern lagern. Durch diesen Weg können wir sukzessive und sehr rasch Mengen ins System bekommen.

Können wir auf russisches Gas völlig verzichten?

In der jetzigen Situation ist es sicher ganz schwierig, weil es einen hohen industriellen Bedarf gibt. Eine generelle Änderung von heute auf morgen ist bei solch integrierten Systemen nur über einen längeren Zeitraum möglich.

Das heißt, es dauert mindestens zehn Jahre.

Die geopolitische Situation spielt hier eine wesentliche Rolle. Ich würde einmal nicht davon ausgehen, dass der Kriegszustand 20 Jahre andauert. Man muss eine neue Strategie andenken. Zuerst ist die Analyse notwendig, um dann die Strategie in Stufen umzusetzen. Es braucht die kurzfristigen Maßnahmen, um die Krise zu bewältigen.

Der hohe Anteil an russischem Gas hat seine Ursache auch im günstigen Preis. Die Alternativen sind wesentlich teurer. Um wie viel teurer ist beispielsweise LNG-Gas?

Das hängt von der Marktlage ab. Die Preisbildung erfolgt durch Angebot und Nachfrage. Aufgrund der Krise sind die Spitzen ganz hoch. Sie fallen auch wieder ab. Wenn der Preis so hoch bleiben würde, wie er jetzt ist, würden sich Wasserstoff und Bio-Methan rasch rechnen. Investitionen müssen sich aber über einen längeren Zeitraum rechnen. Eine Preisspitze reicht noch nicht aus, um derartige Investitionen auszulösen.

Dafür braucht es Rahmenbedingungen und Förderungen der Politik, um Investitionssicherheit herzustellen. Es muss hier ein Entwicklungspfad beschritten werden, damit man rasch ins Laufen kommt. Die erste Anlage kostet viel, die zweite wird billiger, die Skaleneffekte treten erst ab einer gewissen Breite ein.

LNG-Gas kostet in Europa aktuell das Sechsfache im Vergleich zu dem in den USA. Zuletzt hat LNG in Europa das Vierfache des russischen Gases gekostet. Ist dem so?

Es hängt immer vom Zeitpunkt ab, an dem dieses Thema betrachtet. Vor einem Jahr war die Energie in der Corona-Krise ganz billig. Im Frühjahr 2020 hat man Geld bekommen, wenn man Öl abgenommen hat. Die Märkte bestimmen die Preise.