„Haben wir ein Recht darauf, zu vergessen?“
Eine zerrissene Strumpfhose, darunter das aufgeschürfte Knie seiner Nanny. Der Geruch seiner Mutter. Erste Erinnerungen von Martin Honzik, Leiter des Ars Electronica Festivals. Ab dem kommenden Donnerstag widmet sich das Festival in Linz fünf Tage lang den Phänomenen rund um das Erinnern und Vergessen. Die „Kulturgeschichte der Erinnerungsapparate“ umfasse das Gedächtnis der Natur, des Gehirns und der Technologie.
Dabei stelle man die ironische Frage: „Haben wir nicht ein Recht darauf, zu vergessen?“ Tagtäglich seien die Menschen mit einer unglaublichen Datenmenge konfroniert. Wir leben digital. Aber: „Wie viel Information ist überhaupt verkraftbar?“
Menschen, die dem Vergessen krankheitsbedingt ausgeliefert sind, ist daher ein kleiner Schwerpunkt gewidmet. In Kooperation mit dem Diakoniewerk Gallneukirchen gibt es am Samstag, 7. September, um 15 Uhr im alten Linzer Rathaus ein Konzert für Demenzkranke. „Musik kann bei den Betroffenen wahre Wunder wirken, denn sie wird im archaischen Teil des Gehirns verarbeitet. Dasselbe erleben gesunde Menschen. Wir wollen eine Synchronisation erreichen“, erklärt Honzik.
Beim Themensymposium am Freitag kommt eine Betroffene zu Wort: Helga Rohra, einst Top-Übersetzerin bei der UN, sprach sieben Sprachen fließend. Mit 50 Jahren erkrankte sie an Alzheimer.
Technik und Kunst
Seit 1979, als Computer noch in kein Wohnzimmer gepasst und das Internet nur eine vage Idee war, beschäftigt sich das Ars Electronica Festival mit der Verknüpfung von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Damit zieht es international Aufmerksamkeit auf sich, weiß Honzik. Immerhin kommen 80 Prozent der etwa 70.000 Besucher aus dem Ausland.
Der Grund: Gerade auf den „emerging markets“ in Südamerika, den USA und im asiatischen Raum werde viel in Innovation investiert, erklärt Honzik: „Gerade dort besteht Bedarf, für dieses Investment zu argumentieren.“
Und das machen bei „Total Recall – The Evolution of Memory“ heuer Neuro- und Computerwissenschaftler, Künstler und Philosophen bei einem dichten Programm. Vieles soll im öffentlichen Raum stattfinden. So kann sich am Hauptplatz jeder Passant eine Actionkamera ausleihen, um seine Eindrücke des Festivals festzuhalten. Eine „basisdemokratische Doku“ soll entstehen, erklärt Honzik. Und viele gute Erinnerungen, so viel steht fest.
Wir machen Probleme mit künstlerischen Mitteln erklärbar“, sagt Festivalleiter Martin Honzik über das heurige Festivalprogramm. Der KURIER hat einige Highlights herausgepickt:
Eröffnung „Wir sind hier“:
Die aktionistische Live-Performance am Donnerstag, den 5. September, um 20.30 Uhr im Innenhof der Tabakfabrik greift das brandaktuelle Thema der Überwachung und Zensur im Internet auf.
Total Recall Symposium:
Forscher aus aller Welt sind bei einem Themensymposium im Brucknerhaus zu Gast. Am Freitag, den 6. September, geht es um die Zukunft der Erinnerung, am Sonntag, 8. September, um Kultur- und Technologiegeschichte.
HR Giger:
Dem Schöpfer der Oscar-gekrönten Aliens aus der Filmreihe mit Sigourney Weaver wird im Lentos eine Ausstellung gewidmet. Eröffnung zu „Die Kunst der Biomechanik“ ist am Donnerstag, 5. September, um 10 Uhr.
Cyber Arts:
Die Ausstellung im OÖ Kulturquartier präsentiert bis zum 15. September preisgekrönte Projekte aus dem Prix Ars Electronica.
Deep Space:
Dennis Russell Davies und Maki Namekawa machen das Deep Space mit Igor Stravinskys „Le Sacre du Printemps“ zum Konzertsaal. Sie spielen vierhändig auf einem Computerflügel.
Projekt Genesis:
Die Ausstellung im Ars Electronica Center beschäftigt sich mit synthetischer Biologie – die Natur als Informationsspeicher.
„Bruckner lebt!“:
Parov Stelar erweckt den Komponisten Anton Bruckner mit Electro-Swing-Klängen am Samstag, 7. September, bei der voestalpine Klangwolke im Donaupark zum Leben.