Wohnungsaffäre: Politspitze wegen Betrugs angeklagt
Von Patrick Wammerl
Drei Jahre lang haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei gebraucht, um die undurchsichtigen Vorgänge rund um Hunderte Gemeindewohnungen in Wiener Neustadt (NÖ) zu entflechten. Das Resultat ist eine Betrugs-Anklage gegen teils sehr prominente Personen aus der Politik. Die langjährige SPÖ-Bundesrätin Ingrid Winkler, der Wiener Neustädter Stadtrat Martin Weber und ein hochrangiger Beamter müssen sich demnächst am Landesgericht Wiener Neustadt in der Causa verantworten.
SPÖ Absolute
Aufgeflogen ist die Angelegenheit mit dem politischen Umsturz in Wiener Neustadt. Nach dem Ende der Jahrzehnte dauernden SPÖ-Mehrheit durchforstete die bunte Stadtregierung (ÖVP, FPÖ, Grüne, zwei Listen, Anm.) 2015 die Verwaltung und den Zustand der 3000 Gemeindewohnungen. Diese waren 2007 in die stadteigene Tochtergesellschaft IFP (Immobilen, Freizeit, Parken) ausgelagert worden. Dabei stieß man in den Akten auf Ungereimtheiten. Demnach sollen Hunderten Mietern über Jahre hinweg falsche Abrechnungen für die Wohnbau-Förderstelle des Landes und das Finanzamt ausgestellt worden sein. Mit dem Resultat, dass die Mieter zu viel Wohnbeihilfe ausgezahlt bekamen und im Rahmen des Steuerausgleichs zu wenig Steuern abgeführt haben.
Die frühere SPÖ-Vizepräsidentin des Bundesrates, Ingrid Winkler, war in dem angegebenen Zeitraum bei der IFP mit den Abrechnungsmodalitäten beschäftigt. Martin Weber war Finanz-Stadtrat. Ins Visier der Justiz sind beide Politiker wegen fragwürdiger Dokumente und eMails geraten. Zum einen gab es laut der Anklageschrift, die dem KURIER vorliegt, Excel-Listen mit den korrekten Abrechnungsmodalitäten unter der Spalte „Annuitätenzuschüsse“ und solche, in denen diese Spalte entfernt war. Nachdem sie Abrechnungsfehler selbst erkannt haben dürften, soll es im März 2014 ein Meeting gegeben haben. Dabei hätten Winkler, Weber und der Spitzenbeamte die weitere Vorgangsweise festgelegt. Man sei übereingekommen, weiterhin die falschen Listen zu verwenden. Der Aktenvermerk trägt die Unterschrift aller drei Angeklagten.
Laut Anwalt Stefan Prochaska sei seinem Mandanten, Stadtrat Martin Weber, gar nicht bewusst gewesen, was er da überhaupt unterfertigt. „Es gab Berge von Dokumenten, die unterschrieben werden mussten. Er gab sein Okay dazu, dass weiterhin so abgerechnet wird, wie bisher“, sagt der Jurist. Der Fehler sei eindeutig im vorherrschenden System zu suchen, aber nicht bei den politisch Verantwortlichen. „Wo liegt das Motiv? Es hat niemand einen Euro verdient“, sagt Prochaska.
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders: Ein Bekanntwerden des gegenständlichen Sachverhaltes hätte jedenfalls Auswirkungen auf den bereits angelaufenen Wahlkampf bzw. den Ausgang der damals bevorstehenden Gemeinderatswahl gehabt.
Winkler hofft, dass die Vorwürfe mit dem Verfahren ein für alle Mal erledigt sind. „Ich habe als Bundesrätin auf meine Immunität verzichtet und mit der Justiz zusammengearbeitet. Ich bin froh, wenn die Sache endlich geklärt wird und vertraue dem Rechtsstaat.“
Laut Winklers Anwalt, Norbert Wess, hat seine Mandantin keinerlei strafrechtlich relevantes Fehlverhalten zu verantworten. „Wir sind daher auch sehr zuversichtlich, dass das nunmehr zuständige Gericht unseren Standpunkt nach Durchführung des Verfahrens teilen wird", glaubt Wess an einen Freispruch.