Chronik/Niederösterreich

"Unser Rezept heißt Regionalität"

In nicht einmal vier Wochen ist es soweit. 570 Gemeinden in Niederösterreich besetzen ihre Ortsparlamente neu. Der Termin hat für mächtig Aufregung gesorgt. Funktionäre landauf, landab bangten plötzlich um ein ruhiges Christfest. Die Feststellung der "Bürgermeisterpartei" ÖVP, die Weihnachtszeit solle der Familie vorbehalten bleiben, man starte im Jänner in einen kurzen, intensiven Wahlkampf, glättete die Wogen zunächst nur bedingt. Mittlerweile ist der Ärger um den frühesten aller Wahltermine der geschäftigen Aufregung in den Gemeindeparteien gewichen. Und während die noch am ordentlichen Wahlkampf-Auftritt schnitzen, ist es Zeit für den KURIER einen analytischen Blick auf die Ausgangssituation vor dem Urnengang zu werfen. Heute soll zum Start die ÖVP im Fokus stehen.

Superlative

Schon jetzt ist klar, dass es ein Urnengang der Superlative wird. Fast 1890 wahlwerbende Listen, so viele wie noch nie, buhlen am 25. Jänner um die Wählergunst. Ein Umstand, der das Finden von Mehrheiten in zahlreichen Gemeinden erschwert.

Das Stichwort "Bürgermeisterpartei" ist bereits gefallen. Die ÖVP gilt bei Wahlgängen in NÖ traditionell als die Gejagte. Seit 2003 wieder satte absolute Mehrheiten auf Landesebene, bei Gemeinderatswahlen sind ihre regionalen Kandidaten in der Mehrzahl der Kommunen Garant für ordentliche Ergebnisse. Mit ihren landesweit 51 Prozent der abgegebenen Stimmen, 6672 Mandataren und 425 von 573 Bürgermeistern hat die Partei ihre Position 2010 bestätigt.

Plafond

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Da drängt sich die Frage auf: Ist die Volkspartei damit am Plafond angelangt? Mit Kandidaturen in 570 Gemeinden ist die ÖVP die einzige Fraktion, die tatsächlich landesweit antritt. Mit mehr als 19.600 Kandidaten – mehr als 2010 – bringt die ÖVP ein Gegenargument zur oft zitierten generellen Politikmüdigkeit der Österreicher. In Fischamend muss eine Wahlplattform mit dem amtierenden – parteifreien – Bürgermeister Thomas Ram herhalten. Allerdings verzichtet die SPÖ in elf Gemeinden auf ein Antreten, FPÖ (341 Gemeinden) und Grüne (126) sind von flächendeckenden Kandidaturen weit entfernt.

Das bringt für die ÖVP aber die Situation, am meisten von allen verlieren zu können. Landesmanager Gerhard Karner ist zuversichtlich: "Unsere Gemeindeorganisationen gehen mit gutem Gewissen in diese Wahl, weil sie wissen, dass sie fünf Jahre gute Arbeit geleistet haben." Das sei "der Unterschied zu irgendwelchen blauen, rosa oder anderen Listen, die nur kurz vor der Wahl auftauchen und dann schnell wieder abtauchen". Muss man demnach die genannten Parteien überhaupt ernst nehmen? "Als Demokrat nehme ich jede Kandidatur ernst", sagt Karner. Sein Erfolgsrezept heißt Regionalität. "Wir waren noch nie so regional wie dieses Mal unterwegs. Für uns sind das 570 einzelne Wahlgänge."

Einzelne Wahlgänge, zum Teil ohne altbekannten Konterpart, weil einige Gegenkandidaten das Handtuch geworfen haben. Ein hausgemachtes Problem, weil gegen die ÖVP in NÖ keiner mehr kandidieren mag?

Nein, sagt Karner. Der Trend gehe ja eher zu mehr Listen. "Das war bei der Landtagswahl so. Das ist bei den Gemeindewahlen so." Die neue Konkurrenz spielt der ÖVP mancherorts auch in die Hände. Gegner schaffen jenes Zusammengehörigkeitsgefühl, das parteiinternen Streit eindämmt.

Auch wenn Gemeinderatswahlen eigenen Gesetzen folgen – für die Volkspartei war stets wichtig, bei Wahlen einen klaren Gegner auszumachen. Und so gibt es auch diesmal ein Parade-Duell: Der Kampf um den Bürgermeistersessel in Wr. Neustadt gilt parteiintern als Prestigeprojekt. Sichtbare Zeichen: Klubchef Klaus Schneeberger, ehemals Vizebürgermeister in Wr. Neustadt, steigt zum dritten Mal als Spitzenkandidat in den Ring. Zum Wahlkampfauftakt ist auch der Landeshauptmann angesagt. Inwieweit die Volkspartei es darüber hinaus schafft, sich gegen die Decke zu stemmen, zeigt der 25. Jänner.

Die Vorzeichen sprechen eigentlich eine deutliche Sprache. Mit 48 Prozent hatte die SPÖ bei der letzten Gemeinderatswahl 2010 fast doppelt so viele Stimmen wie die Volkspartei. Das soll sich am 25. Jänner gravierend ändern: 14 Jahre nachdem er als Vizebürgermeister der Stadt Wiener Neustadt den Rücken gekehrt hat, will der Klubobmann der nö. Volkspartei endlich als Stadtoberhaupt ins Rathaus seiner Heimatgemeinde einziehen. Wieso glaubt Klaus Schneeberger (64) so einen politischen Erdrutsch auslösen zu können?

"Es herrscht eine riesige Unzufriedenheit in der Stadt. Es hat sich so viel zum Negativen geändert, dass es einer neuen Aufbruchsstimmung bedarf. Ich wurde oft angesprochen, dass ich doch kandidieren solle", erklärt Schneeberger seit Beginn seiner Kandidatur als ÖVP-Spitzenkandidat. Das Polit-Urgestein vertraut auch auf seinen Bonus als rechte Hand von Erwin Pröll im Land Niederösterreich. Diese Verbindung habe der Stadt in den vergangenen Jahren wertvolle Projekte und ein hohes Maß an Investitionen eingebracht. Wirtschaftlich stehe Wiener Neustadt dadurch gut da, meint Schneeberger. Dies sei vor allem ein Verdienst der Volkspartei.

Ausländerfrage

Der amtierende SPÖ-Stadtchef, Bernhard Müller, traut seinem bekannten Herausforderer nicht viel zu. Müller ist sich sicher, die absolute Mehrheit verteidigen zu können. Schneeberger hingegen glaubt, dass der Bürgermeister von den Wählern einen Denkzettel verpasst bekommt. Um nur ein Beispiel zu nennen, laufe beispielsweise die Integrationspolitik in Wr. Neustadt in eine völlig verkehrte Richtung, so der Klubobmann. Müller trat jüngst bei einer türkischen Parteiveranstaltung vor fast 1000 Gästen auf. "Integration ist in der Stadt leider ein Fremdwort. Es ist eine Gettoisierung geschehen. Wir haben Handlungsbedarf", so Schneeberger.

Die Zeit war reif, vielleicht sogar überreif. "Gebt ihm eine Chance" war 2010 wochenlang auf den Wahlplakaten zu lesen. Und er bekam sie. Christian Gepp von der ÖVP gewann als Newcomer die Wahl und stürzte den langjährigen "Stadtkaiser" Wolfgang Peterl vom Sessel.

Die Gründe für den ÖVP-Siegeszug im Jahre 2010 waren vielschichtig. Einiges davon war hausgemacht von der SPÖ und von Peterl. In der Alten Werft brach eine Finanzaffäre aus. So mancher hatte sich nachweislich bereichert und stolperte schließlich darüber. Die Affäre lähmte letztlich auch die Stadtpolitik.

"Es herrschte Stagnation. Visionen und Ideen haben gefehlt", sagt Christian Gepp über diese Zeit.

Die Sozialdemokraten schmorten im eigenen Saft und verschmorten beim Urnengang schließlich. "Wir waren nie eine typische Oppositionspartei. Wir haben immer Wege aufgezeigt, wie man es anders und besser machen könnte", sagt Gepp. Die Wähler honorierten das. Seither ist für Christian Gepp, 42, und auch seine Mitstreiter kein Tag wie jeder andere. "Der Gemeinderat ist ein Hobby, das man gerne macht. Ich bin 24 Stunden Bürgermeister. Das merkt man", sagt der gelernte Werbefachmann über seinen Beruf. Man legte einen neuen Stil an den Tag, einen Stil mit mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung. Was in der Praxis bei den vielfältigen Aufgaben in der Stadt gar nicht so einfach war. "Alle und jeden zu jedem Zeitpunkt einzubeziehen ist nicht möglich", sagt Gepp. Es galt die richtige Feinabstimmung zu finden. Auch in den Bürgerbeteiligungsprozessen. Umgesetzt wurde eine Menge. Etliche Baustellen – vom Landesgericht bis hin zu Kindergärten – mussten finalisiert werden. Neues wurde begonnen. Darunter fällt auch der Neubaubau des Bahnhofes. "Es waren sicher Hunderte Besprechungen notwendig, bis wir alle auf einen Nenner hatten", sagt Gepp. Auch unpopuläre Maßnahmen wurden angepackt, etwa die Förderpolitik im Sozialbereich und im Vereinswesen. "Wir sind weg vom Gießkannenprinzip. Die Zeit der Geschenke ist vorbei. Die Gemeinde ist kein Selbstbedienungsladen", sagt Gepp.

Gespart

Mittlerweile wurden Millionen Euro eingespart, ohne Leistungen zu streichen. "Es gibt keine andere Stadt, die so viel für Kinder tut", ist Gepp überzeugt. Dennoch gibt es noch viel zu tun. Etwa am Hauptplatz. "Unser Hauptplatz lebt. Das muss man erhalten."

Eine Prognose für den 25. Jänner will der amtierende Bürgermeister nicht abgeben. Nur so viel. "Ich bin bereit die Zukunft zu gestalten."