Rettung: Jeder Fehler kann Leben kosten
Notrufrettungsleitstelle, wollen Sie einen Notfall melden?“ Claudia Schallner blickt auf drei Bildschirme, sie ist hoch konzentriert, ihre Finger fliegen über die Computer-Tastatur. Jeder Klick, jedes Wort, jede Anweisung muss sitzen. Eine Lehrerin aus Krems ruft an, ein Mädchen habe sich beim Turnen verletzt, umgeknickt beim Schnurspringen. „Atmet sie normal, ist sie bei Bewusstsein?“, will Schallner von der Frau wissen. Es dauert nicht einmal 40 Sekunden, bis sich der Rettungswagen in Bewegung setzt. Währenddessen telefoniert die Disponentin noch immer mit der Lehrerin. „Sagen Sie dem Mädchen, dass Hilfe unterwegs ist“, gibt die 144-Notruf-Niederösterreich-Mitarbeiterin der Dame noch mit auf den Weg.
Alles Routine, möchte man meinen. Doch bei den Mitarbeitern der größten Leitstelle Europas gibt es keine Routine. Jeder, der im Callcenter sitzt, absolviert pro Schicht 250 bis 300 Einsätze. Der Rekord liegt irgendwo bei 600. Das schlaucht zwar, aber jeder Anruf bringt auch eine neue Herausforderung mit sich, immer wieder geht es um Leben und Tod.
Eines der längsten Telefonate dauerte 45 Minuten. Im tiefsten Mostviertel war ein Landwirt nach einem Herzinfarkt umgekippt. Die Ehefrau begann mit der Reanimation während sich der Rettungswagen durch das Schneechaos kämpfen musste. Die Anweisungen an die Frau erfolgten aus der Notrufzentrale in St. Pölten. Der Bauer überlebte.
Analyse
Notruf 144-Niederösterreich feiert heuer zehnjähriges Jubiläum. Man ist im Laufe der Jahre gewachsen, betreibt vier Standorte (Mödling, Tulln, St. Pölten und Zwettl). Und man gehört international längst zu den Besten der Besten, wurde schon oft prämiert. „Es kommen viele zu uns, die von uns lernen wollen“, erzählt Pressesprecher Stefan Spielbichler.
Es gilt das hohe Niveau zu halten, Fehler können Leben kosten. Deshalb werden Disponenten, die eine achtmonatige Ausbildung durchlaufen müssen, laufend kontrolliert. Nicht nur, dass sie vor Dienstbeginn wie ein Pilot eine Checkliste abarbeiten müssen, ihre Gespräche werden aufgezeichnet und analysiert. Per Zufallsprinzip kommen sie zu einem Supervisor, der die Überprüfung durchführt. 100 Prozent ist top, alles unter 95 Prozent nicht akzeptabel. Dann wird das Gespräch mit dem Disponenten gesucht.
Die Frage ist, wie man diesen Druck aushält und mit den Tragödien, mit denen man tagtäglich konfrontiert wird, umgeht? Schallner sagt, dass sie selten nachfrage, wie ein Einsatz ausgehe. „Das ist auch eine Art Selbstschutz“, meint die 29-Jährige aus Herzogenburg, die in ihrer Freizeit selbst noch im Rettungsauto sitzt. „Wenn aber Kinder betroffen sind, dann erkundige ich mich schon.“
Bei Großereignissen wie dem Amoklauf in Annaberg, Gasexplosionen oder schweren Unfällen ist das Können der Notruf-Mitarbeiter besonders gefragt. Sofort wird Alarmstufe rot ausgegeben, niemand darf den Arbeitsplatz verlassen. Dann können sich die Disponenten auch untereinander nicht mehr unterhalten, weil jetzt Menschen rasch geholfen werden muss. Deshalb gilt: „Wenn es bei uns ruhig wird, ist die Hölle los“.