Chronik/Niederösterreich

„Mulmiges Gefühl war schon dabei“

In der Nähe des Atomkraftwerks hatten die Menschen weniger Bedenken als im Rest des Landes. Während die Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf am 5. November 1978 österreichweit mit 50,47 Prozent gegen das Kraftwerk ausging, stimmten in Zwentendorf 55 Prozent der Bürger dafür.

„Die Gemeinde und die nähere Umgebung hätte vom AKW profitiert, weil es viele Arbeitsplätze bringen sollte“, sagt Bürgermeister Hermann Kühtreiber, 63. Im Abstimmungsjahr 1978 war der Sozialdemokrat noch weit entfernt von einer Karriere als Lokalpolitiker – aber auch für ihn bot das Atomkraftwerk eine Job-Chance: „Ich war Ingenieur bei den ÖBB und hatte die Möglichkeit, bei der Errichtung des AKW als Bautechniker zu arbeiten“, erzählt Kühtreiber. Dass er sich gegen das Job-Angebot entschied, hatte weniger mit Angst vor Strahlung zu tun, als mit beruflichen Überlegungen: „Der Arbeitsplatz bei der Bahn war langfristiger.“

Bei der Abstimmung hat Kühtreiber mit „Nein“ gestimmt. „Die Experten haben für und wider die Atomkraft argumentiert. Ich war dazwischen und hab mir gedacht, lieber ein feiger Löwe, als ein toter Löwe.“

Parteidisziplin

Bedenken hatte auch Ernst Scharl, 86: „Bei einer Versammlung der Bauarbeiter hab ich gehört, dass sich ein junger Waldviertler gegen das AKW ausgesprochen hat, weil seine Heimatgemeinde als Atommüll-Lager im Gespräch war. Für seine Meinung ist der junge Mann vom Polier vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht worden“, erzählt der pensionierte Land- und Gastwirt. Bei der Abstimmung hielt der langjährige ÖVP-Gemeinderat Parteidisziplin und stimmte mit „Ja“. Scharl: „Ein mulmiges Gefühl war aber schon dabei.“

Hans Göls, 74, kam wegen des Kraftwerks nach Zwentendorf – allerdings nicht wegen des AKW, sondern im Zuge der Errichtung des wenige Jahre zuvor fertig gestellten Donaukraftwerks Altenwörth. „Ich war Betriebsrat und wurde später zum Angestellten umgeschult. Bei der Ausbildung im Forschungszentrum Seibersdorf bekam ich Bedenken, weil ich sah, wie groß das noch unerforschte Feld der Atomkraft war.“ Göls, damals frisch verheiratet und junger Vater, votierte gegen das AKW. „Das war nicht so einfach, gegen die Meinung der eigenen Partei zu stimmen.“

Am Tag nach der Abstimmung herrschte in der Gemeinde tiefe Betroffenheit, erinnert sich Bürgermeister Kühtreiber. 35 Jahre später sind alle froh, dass das AKW nie in Betrieb gegangen ist.