Michael Landau: "Wir dürfen auf die Schwächsten nicht vergessen"
KURIER: Was wünscht sich der Caritas-Präsident zu Weihnachten?
Michael Landau: Ich habe keinen Wunsch ans Christkind, aber drei an die Politik. Nämlich den Weihnachtsfrieden wahren, den politischen Frieden im Wahlkampf nicht riskieren und auch sozialen Frieden langfristig sichern.
Warum die Sorge?
Ich sehe, dass es uns miteinander gut geht. Wir hatten heuer aber einen untergriffigen Wahlkampf und ich hoffe, dass es Niederösterreich besser machen wird.
Wie ist es um den sozialen Frieden in Österreich bestellt?
Wir haben zuletzt viel über Sicherheitspolitik debattiert. Das ist schon ein wichtiges Thema. Aber ich glaube, wir sollten den Begriff weiten. Mir geht’s auch um soziale Sicherheitspolitik. Wir müssen auf jene schauen, denen es nicht so gut geht.
Was genau ist zu tun?
Es geht darum, Perspektiven zu eröffnen. Dazu gehört etwa Arbeit, von der man leben kann. Als Caritas beschäftigt uns auch das Thema leistbarer Wohnraum, weil sich hier viele Menschen im Land schwer tun. Viele beschäftigt aber genauso die Pflege, weil wir immer älter werden. Ein Thema, das uns alle angeht ist: wie können wir Kinder auf die Bildungsreise so mitnehmen, dass keine Begabung, kein Talent verloren geht?
Was sind die wichtigen Themen für Niederösterreich, wie löst man die?
Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll hat stets gesagt, wir werden den Weg bewältigen, auch dort, wo er steil ist. Aber was dabei entscheidend ist, ist, dass wir zusammenstehen und auf die Schwächsten nicht vergessen. Was wir im Blick nach vorne daher brauchen, ist sozialer Zusammenhalt.
Wie gut ist Niederösterreich hier aufgestellt?
Wenn ich mir die Einsatzbereitschaft beim Unglück in der Gas-Station Baumgarten oder bei jedem Hochwasser anschaue, dann macht das bei aller Tragik deutlich, dass das Land den Modus des Zusammenhalts beherrscht. Jede und jeder weiß, was er in einer kritischen Situation zu tun hat, von der Politik über die Hilfsorganisationen bis zur Bevölkerung.
Die Spenden für die Caritas Inlandshilfe sind heuer rückläufig. Ist den Menschen die Nächstenliebe abhanden gekommen?
Wo Menschen Zukunftsängste haben, dort leidet oft die Bereitschaft zum solidarischen Handeln. Trotzdem sehe ich auch weiterhin eine große Hilfsbereitschaft, wenn ich allein nur an die 10.500 Freiwilligen der Caritas in Niederösterreich denke.
Gibt es Nächstenliebe nur für Österreicher?
Nein. Wir haben im Sommer gesehen, dass sich die Spenden für die Kenia-Hungerhilfe fast verdoppelt haben.
Worüber muss also mehr gesprochen werden?
In Österreich wird viel über Statistiken geredet. Unsere tägliche Caritas-Arbeit zeigt aber, es geht um konkrete Menschen: Frauen, Männer und erschreckend oft Kinder. Es ist wichtig, die Menschen hinter den Zahlen sichtbar zu machen.
Wie schaut es mit der Armut in Niederösterreich aus?
Ich nehme sehr ernst, wenn der St. Pöltener Caritas-Direktor Hannes Zieselsberger berichtet, dass immer mehr Menschen in die Caritas-Beratungsstellen kommen, wo eine einmalige Überbrückungshilfe nicht mehr reicht. Damit sagt er, dass sich für viele Menschen das normale Leben Monat für Monat nicht ausgeht.
Vor Supermärkten in Niederösterreich stehen seit Kurzem Zeitungsverkäufer. Breitet sich die Armut aus?
Die Not ist vielleicht sichtbarer geworden. Als wir mit unserem Le+O-Projekt nach Schwechat und Mödling gegangen sind, haben wir bemerkt, dass das Einzugsgebiet größer ist als in Wien.
Le+O findet jetzt auch in Kooperation mit dem Land NÖ statt. Essen soll nicht verschwendet werden, sondern Notleidenden billig verkauft werden. Wie gut ist das Projekt angelaufen?
Die Bauern stellen jenes Gemüse zur Verfügung, das für den Handel nicht mehr gebraucht wird. Es kommen jeden Tag neue Betriebe dazu. Angefangen haben wir mit 25. Ich halte es da mit Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf: Wir müssen weg von einer Wegwerf- hin zu einer Verantwortungsgesellschaft. Da geht’s auch um den Respekt vor der Schöpfung und der Arbeit der Bauern.
Wo in Niederösterreich hilft die Caritas noch?
In Krems wurde das Angebot des Soma erweitert. Auch dort sind viele Freiwillige im Einsatz. Und sie geben dort sogar Rezepte aus, weil viele Menschen verlernt haben, mit frischen Lebensmitteln zu kochen.
Eine der größten Herausforderungen ist die Pflege.
Ich halte die Entlastung der pflegenden Angehörigen für ganz wesentlich. 80 Prozent der Pflege und Betreuung werden von den Angehörigen geleistet. Sie sind damit der größte Pflegedienst in Österreich. Wir müssen uns auch dem Thema demenzielle Erkrankungen bewusst stellen. Vernetzungsinitiativen, wie jene in Klosterneuburg, sind wichtig.
Worum geht es dabei?
Beim Projekt "Demenz-freundliche Gemeinde Klosterneuburg" wird die Bevölkerung sensibilisiert. Von der Kassierin bis zum Polizisten. Denn Demenz ist bei uns immer noch ein Tabuthema.
Ein Wort zur Obdachlosigkeit. Wie viele Niederösterreicher kommen in die Wiener Gruft?
Natürlich sind hier Menschen aus den Bundesländern. Viele kommen in die Großstadt aus Hoffnung auf ein Stück Anonymität oder Perspektiven. Die Gruft zeigt die Not, die da ist. Wir haben bis Ende November 114.000 Mahlzeiten ausgegeben, vor wenigen Jahren waren es rund die Hälfte.
Für viele Menschen bedeutet Weihnachten auch Einsamkeit. Was kann der Einzelne tun? Ihr Appell?
Wir brauchen eine Gesellschaft, die aufmerksam ist und weiß, jeder und jede von uns kann einen Beitrag leisten für den Zusammenhalt und die Zuversicht. Das fängt damit an, an der Tür eines anderen Menschen zu klopfen und zu schauen, wie geht es dir? Große Veränderungen fangen oft ganz klein an.