Klassikfestival Kirchstetten: „Mehr und größer? Das passt nicht zu uns“
Von Michaela Höberth
Eigentlich gilt für die Oper ja: Mehr ist mehr. Schauspieler, Orchester, Chor, eventuell Tänzer – all das wird in den großen Häusern der Welt auf die Bühne gebracht. Ein Drama mit einer gehörigen Portion Dramatik also.
Dass es für den besonderen Zauber der Oper aber nicht viele Quadratmeter braucht, wird seit 26 Jahren im Schloss Kirchstetten im Weinviertel bewiesen. Dort spielt die Musik im denkmalgeschützten Maulpertsch-Saal, benannt nach dem Schöpfer des Deckenfreskos, der gerade einmal 160 Besucherinnen und Besucher fasst. Was im Umkehrschluss bedeutet: Einen Bühnengraben gibt es nicht. Das Publikum gehört zu jeder Aufführung so sehr dazu wie die Künstlerinnen und Künstler. Und wenn man Glück hat, wird man sogar in die Handlung eingebunden – „Belcanto hautnah“ eben, wie schon der Slogan besagt.
„Das Publikum darf bei uns gerne mitarbeiten“, muss Intendant Stephan Gartner lachen. Denn auf kleinem Raum müssen alle mit anpacken, um die Inszenierung perfekt zu machen. Das gilt natürlich in erster Linie für die Künstlerinnen und Künstler; die Stimmen der Darsteller müssen voll klingen, ohne zu laut zu sein. „Keine leichte Übung“, spricht Gartner aus Erfahrung. Immerhin lernen Opernsängerinnen und -sänger, die größten Säle auszusingen.
Ähnlich ergeht es auch dem Orchester: Wenn nur elf Musikerinnen und Musiker aufspielen, dann sind Patzer nicht erlaubt. Und die Chorstimmen müssen sich solo genauso gut anhören wie in der Gruppe – eine Masse, in der man untertauchen kann, gibt es schließlich nicht. Qualität ist bei jeder Produktion also Um und Auf.
Schöner Gesang
„Der kleine Saal ist der Grund, warum wir uns gegen die großen Bühnen behaupten können. Er ist ein Alleinstellungsmerkmal“, ist Gartner bewusst. Wobei man dem Publikum sogar die Wahl gelassen hätte: Zwei Mal wurden die Besucherinnen und Besucher gefragt, ob sie denn eine große Open-Air-Inszenierung vorziehen würden. Die klare Antwort: Nein.
Stattdessen zieht es jedes Jahr ein buntes Publikum in die kleine Gemeinde im Bezirk Mistelbach: jene, die sonst nie eine Oper besuchen würden. Jene, die die Oper lieben und es genießen, hier die Künstlerinnen und Künstler schon beim Warmsingen auf dem Gang zu treffen. Und jene, die für eine besondere Form der Oper nach Kirchstetten kommen – nämlich dem Belcanto, dem „schönen Gesang“, dem sich das Festival seit 2015 voll und ganz verschrieben hat.
Heuer feiert man sogar eine Erstaufführung in Österreich: „I Pazzi per Progetto“ (zu Deutsch „Die absichtlichen Narren“) von Gaetano Donizetti ist eine wahre Entdeckung (Premiere am 29. 7.). „Der Musikverlag hatte bis jetzt nur handgeschriebene Noten, sie wurden noch nie gedruckt“, ist Gartner begeistert.
Liebe & Enthusiasmus
Eine Begeisterung für das kleine feine Festival, die den Intendanten seit der ersten Aufführung begleitet. Nach einer Landesausstellung 1998 wurde eine Nachnutzung für das Schloss gesucht. Gartners Vater, der einstige Bürgermeister des Orts, brachte die Oper nach Kirchstetten. Mittlerweile steht ein Verein hinter dem Spielort, ein Großteil der Arbeit passiert also ehrenamtlich.
„Wir stellen eine Opernproduktion mit einem Budget auf die Beine, von dem andere gerade einmal das Orchester bezahlen. Da ist viel Liebe und Enthusiasmus dabei“, sagt Gartner, der am Diözesankonservatorium für Kirchenmusik der Erzdiözese Wien studiert hat. In der Leitung des Viertelfestivals hat der Kunstliebhaber seinen Traumjob gefunden. Die Oper in Kirchstetten ist jedoch seine Herzensangelegenheit.
Wobei das Schloss längst nicht mehr nur als „kleinstes Opernhaus Österreichs“ bekannt ist; zu den „Sommerklängen“ gehören auch die Konzerte „Klassik unter Sternen“ sowie „Sound of Hollywood“. Außerdem sind heuer Pizzera und Jaus zu Gast. Im September geht es dann mit „Kammermusik: gehört-erzählt“ und dem „Herbstklang Weinviertel“ weiter.