Kaugummi aus Harz: Eine pickige Kooperation
Von Lisa Rieger
Fichtenharz und Bienenwachs. Das war alles, woraus der Ur-Kaugummi bestand. Seither ist viel passiert in der Fabrikation dieses Produkts. Erdöl und Süßungsmittel sind heute die wichtigsten Komponenten der verformbaren Masse. Der Markt ist relativ eintönig, wird er doch zu 95 Prozent von Wrigley’s dominiert. Sandra Falkner, Richard Haubenberger und Claudia Bergero wollen Schwung in die Szene bringen.
Mehr aus Zufall als aus Kalkül zählen sie derzeit zu den größten Start-up-Hoffnungen des Landes. Die drei Mittzwanziger teilen ein Faible für Nachhaltigkeit und gesunde Nahrung. Begonnen hat alles mit einer Lehrveranstaltung an der Universität für Bodenkultur (BOKU) voriges Jahr. Sandra und Claudia sollten dabei einen Businessplan erstellen. Bei der Recherche, um welches Produkt es gehen soll, sind sie zufällig auf Kaugummi gekommen. Schnell war klar, dass es kaum Konkurrenz am heimischen Markt für eine ökologische Variante gibt. Nach ersten erfolgreichen Versuchen in der eigenen Küche, wollten es die beiden genauer wissen: Lässt sich das fiktive Projekt in die Realität umsetzen?
Dass es ein regionales und ökologisches Produkt werden soll, war ein wichtiger Ausgangspunkt. In Griechenland und Russland werden vergleichbare Kaugummis aus Zedern hergestellt. Die zwei Frauen wollten sich auf die alten Rezepte zurückbesinnen, weshalb Harz als Hauptzutat fungieren sollte. Schnell stießen sie auf die letzten Pechereien in Niederösterreich.
Die Harzgewinnung
Die Pecherei ist ein altes Handwerk zur Gewinnung von Harz aus Föhrenbäumen. Durch eine oberflächliche Verwundung des Baumes wird der Harzfluss angeregt. Das als Pech bezeichnete gewonnene Harz wird in Siedereien weiterverarbeitet. Diese Produkte werden dann von Alpengummi verwendet. Das Pechergewerbe hat jahrhundertelang die Region im südöstlichen Niederösterreich geprägt. Für Tausende Familien bildete die Pecherei eine wichtige Einnahmequelle. Das Wissen wurde mündlich von Generation zu Generation weitergegeben.
„Die Arbeitstechniken wurden seit dem Mittelalter teilweise nicht verändert. Die Blütezeit war in den 1960er Jahren, dann konnten viele Betriebe den billigen Erdölkonkurrenzprodukten nicht standhalten. Jetzt gibt es nur mehr sieben Pechereien und einen verarbeitenden Betrieb in Niederösterreich“, erzählt Sandra. Der weitere Fortbestand des Handwerks, das 2011 zum UNESCO Kulturerbe erklärt wurde, ist derzeit nicht sicher. Das junge Team von Alpengummi möchte durch die Kooperation das alte Handwerk zumindest unterstützen.
Der knetende Farinograph
Aus drei weiteren Zutaten, die auch alle aus Österreich bezogen werden, besteht der Alpengummi-Prototyp derzeit: Bienenwachs, Birkenzucker und ätherischen Ölen. „Wir wollen bei unserem Produkt voll transparent sein. Bei vielen Kaugummis steht nur Kaumasse, da weiß man gar nicht, was wirklich alles drinnen ist“, erklärt Richard, der vor rund drei Monaten zum Team gestoßen ist.
Der Lebensmitteltechnologe hilft derzeit vor allem bei der Findung der perfekten Kaumasse. „An der BOKU gibt es nicht einfach eine Kaugummimaschine. Deshalb mussten wir kreativ sein. Bei einem Farinograph wurden wir fündig. Eigentlich dient er dazu, die Wasseraufnahmefähigkeit von Mehl zu untersuchen. Wir haben ihn umfunktioniert. Er knetet jetzt für uns“, erklärt Sandra. Die Maschine aus den 50er-Jahren stand etwas verwaist bei der BOKU und wurde seit geraumer Zeit nicht mehr genutzt. Das Alpengummi-Team darf das Gerät nun solange wie nötig verwenden. „Wir haben einen ersten Prototyp mit dem wir zufrieden sind, aber er muss noch verfeinert werden. Der Geschmack hält noch nicht lange genug“, sagt Sandra. In ihren Augen blitzt Leidenschaft auf. Man merkt in jeder Faser ihres Körpers, dass sie für die Idee brennt.
Die Konkurrenz
Das muss sie auch. Etwa 40.000 Unternehmen werden pro Jahr in Österreich gegründet, mehr als 8.000 davon allein in Niederösterreich. „Die Konkurrenz ist gewaltig. Aber innerhalb der Startup-Szene, die als Inbegriff von Innovation gilt, werden wir als innovativ angesehen. Die meisten Startups drehen sich um Digitalisierung oder interessanterweise Getränke“, erzählt Sandra.
Wir sind nicht nur anders, weil wir uns mit Lebensmitteln beschäftigen, sondern auch weil wir mit diesem alten Gewerbe zusammenarbeiten.
„Wenn wir bei einem Startup-Stammtisch gefragt werden, was wir machen, sind viele neidisch, dass wir diese Idee hatten“, fährt sie fort. „Wir sind nicht nur anders, weil wir uns mit Lebensmitteln beschäftigen, sondern auch weil wir mit diesem alten Gewerbe zusammenarbeiten“, sagt sie nicht ohne Stolz.
Der Trend, zurück zum Ursprung zu kehren, sei hilfreich bei ihrem Vorhaben, den heimischen Kaugummi-Markt zu erklimmen. „Der Markt für biologische Lebensmittel wächst jährlich um zehn Prozent. Da sehen wir gute Chancen auch für unsere Innovation“, sagt Richard.
Unterstützung bekommen die drei Jungunternehmer viel. Zuletzt haben sie beim innovative4nature Startup-Wettbewerb – der unter anderem vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus ausgeschrieben wurde – mitgemacht und sind von 90 Einreichungen unter die letzten sechs Finalisten gekommen. 5000 Euro haben sie dadurch für den Start ihrer Unternehmensidee bekommen. „Förderungen wie diese helfen. Wir hängen uns wirklich rein und investieren unsere gesamte Zeit, auch die Wochenenden. Das geht, weil wir jung und flexibel sind. Aber völlig ohne Unterstützung könnten wir einfach nicht weiter daran arbeiten“, sagt Sandra, die gerade ihre Masterarbeit noch nebenbei schreibt. Claudia (die derzeit auf Urlaub ist) und Richard haben ihre Studien bereits abgeschlossen und können sich voll und ganz auf das Vorhaben konzentrieren.
Im September ist das große Finale des Wettbewerbs. 10.000 Euro sind der Hauptpreis. „Damit könnten wir tatsächlich eine GmbH gründen“, sagt Sandra. Das Produkt werden sie in jedem Fall im Herbst auf den Markt bringen. Einige Investoren haben zudem bereits Interesse gezeigt. Die drei sind zuversichtlich, ihr Vertrauen in ihre Idee ist enorm.