Chronik/Niederösterreich

Höchstgericht nimmt Last der Nazi-Stollen von Gemeinde

Zwei mächtige unterirdische Tunnelsysteme aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs drohten für die Stadt Amstetten zum extrem belastenden Erbe zu werden. Doch nach einem siebenjährigen Prozessmarathon mit der Republik Österreich bescherte der Oberste Gerichtshof (OGH) den Amstettnern die Erlösung. Die Luftschutzkeller unter den teuersten Wohnsiedlungen der Stadt stehen nach dem Spruch der Höchstrichter im Eigentum der Republik. Damit sind auch Sicherung und Erhaltung der Stollen alleinige Angelegenheit des Bundes.

Zuletzt errangen die Luftschutzkeller im Reitbauernberg und im Kreuzberg durch den Mörder und Inzestvater Josef Fritzl Aufmerksamkeit. Der erinnerte sich 2008 in Vernehmungen, als Kind in den Stollen Todesängste ausgestanden zu haben. In den letzten Kriegsjahren waren die Tunnel bei über 220 Fliegerangriffen lebensrettende Zufluchtsstätte für Zig-Tausende Amstettener. "Es kam ja fast täglich vor, dass wir von der Schule in diese Bunker geschickt wurden", erinnert sich der 84-jährige Josef Kromoser an strenge SA-Schergen in den Stollen und an imposante, betonierte Säle der Kreisleitung.

Haftung

Trotz der rettenden Funktion wurde im Amstettener Rathaus die Distanz zu den Nazi-Stollen immer größer. "Jetzt ist die Freude groß. Eine enorme Last ist weg", erklärt Bürgermeisterin Ursula Puchebner. In den betroffenen Siedlungen über den Gängen sind keinerlei Gefahren erkennbar. Trotzdem: Es sei beruhigend, dass der Bund für eventuelle Haftungen herhalten muss. Außerdem ist die Republik verpflichtet , für die Sicherheit der Stollen in den teils brüchigen Schlierzonen zu sorgen.

Klage

Die Erlösung durch den OGH (GZ 1Ob213/13z) habe man mit viel Recherche und juristischer Zähigkeit erkämpft, versichern Stadtamtsdirektorin Beatrix und Anwalt Josef Kattner. Sie sind überzeugt, dass das Urteil richtungsweisend für viele Gemeinden mit Stollen ist.

Hartnäckig hatte sich die Finanzprokuratur geweigert die unterirdischen Röhren ihr Eigen zu nennen. 2007 reichte Amstetten eine Feststellungsklage gegen den Staat ein. Sieben Mal pendelte das Verfahren zwischen Landesgericht St. Pölten, Oberlandesgericht und OGH. Am Schluss machten die Richter geltend, dass die Stollen im Auftrag und auf Kosten des Deutschen Reiches gebaut wurden. Und Eigentum des Dritten Reiches wurde nach dem Krieg über den "Staatsvertrag von Wien" der Republik Österreich übertragen.