Chronik/Niederösterreich

"Kinderheim war täterfreundlich"

Das Kinderheim der Volkshilfe Wien in Pitten (Niederösterreich) wurde mit Jahresende geschlossen. Offen geblieben sind zahlreiche Fragen. Wer wusste wann von möglichem sexuellen Missbrauch im Heim? Wurde vertuscht und gemobbt? Fünf ehemalige Erzieherinnen des Heimes brechen ihr Schweigen. Sie erheben schwere Anschuldigungen gegen die ehemalige Heimleitung und gegen die Volkshilfe. Beide weisen die Vorwürfe zurück.

Angst

Die fünf Sozialpädagoginnen haben Angst um ihre Jobs. Sie wollen anonym bleiben, dem KURIER sind ihre Namen aber bekannt. „Die Heimleiterin H. hat mit Angstterror gearbeitet“, erzählt eine der ehemaligen Erzieherinnen. Auslöser dafür, so die Erzieherinnen, sei ein Vorfall im Jahr 2010 gewesen. Damals wurde sexueller Missbrauch zweier Buben durch den Erzieher Gerry T. ruchbar. „Wir wollten, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden“, sagt eine Erzieherin. Heimleiterin H. habe damals gesagt, dass es bezüglich Gerry T. schon länger Gerüchte gebe. Im Interview (siehe unten) nimmt die Ex-Chefin des Heimes Pitten zu den Vorwürfen Stellung.

„Wir wollten nur, dass geklärt wird, ob die Vorwürfe stimmen“, sagt eine der fünf Sozialpädagoginnen. Statt Aufklärung hätten sie aber Mobbing-Vorwürfe bekommen. „Die Heimleiterin hat uns vorgeworfen, eine Hexenjagd gegen Gerry zu veranstalten.“ Teile der Belegschaft hatten den Eindruck, man wolle den Fall vertuschen. „Diejenigen, die Missstände klären wollten, um die Kinder zu beschützen, wurden zu Tätern gemacht“, sagt eine der fünf Frauen.

Später zeigte die Volkshilfe den Fall an. Gerry T. wurde von weiteren Heimkindern sexueller Missbrauch vorgeworfen. Vor dem Prozess nahm sich der 47-Jährige das Leben (der KURIER berichtete).

Supervision

Im Zuge der Missbrauchscausa sei es mit dem Heim bergab gegangen, berichten die Frauen. Die Heimleiterin, die später aus anderen Gründen suspendiert worden ist, habe sich „die Mitarbeiter herausgepickt und zur Sau gemacht“. „Sie hat gesagt, dass wir keinen Job mehr finden würden, wenn wir kündigen.“

Seitens des Heimbetreibers weist man die Vorwürfe zurück. „Es hat regelmäßige Kontrollen des Heimes gegeben“, erklärt eine Sprecherin der Volkshilfe. Als die Missbrauchsvorwürfe publik wurden, habe man sofort mittels Anzeige reagiert. Wegen „personeller Unstimmigkeiten“ sei den Erzieherinnen Supervision angeboten worden.

„Die Erzieherinnen sind zu uns gekommen. Sie haben sich gemobbt und nicht ernst genommen gefühlt“, sagt die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits. Ihrem Drängen ist es zu verdanken, dass das Heim Ende 2012 geschlossen wurde.

Bevor es soweit war, haben immer mehr Sozialpädagoginnen in Pitten gekündigt. Sie seien schlicht ausgebrannt gewesen.

„Das Problem ist: Das Heim war ein täterfreundliches Umfeld. Wenn jemand pädophil veranlagt war, konnte er am Wochenende 48 Stunden machen, was er wollte“, sagt eine ehemalige Pittener Pädagogin. Auch in der Nacht sei man alleine mit den Kindern gewesen, pflichtet ihr eine Kollegin bei. „Kontrolle findet nicht statt. Man will sich nicht vorstellen, was ein Pädophiler da anrichten kann.“

Das Heim Pitten sei, so behauptet eine Sozialpädagogin, „eine Aufbewahrungsstätte“ gewesen. „Nicht anders als vor 40 Jahren.“

Heimskandal.at - Zum Blog von KURIER-Autor Georg Hönigsberger

Auslöser für die Diskussion um das mittlerweile geschlossene Kinderheim Pitten (siehe links) ist die Kündigung von vier Sozialpädagogen aus einer betreuten Wohngemeinschaft der Volkshilfe in Wien. Wie der ORF berichtete, sind im Jahr 2012 acht Kinder aus dem Heim in die neu gegründete WG überstellt worden.

Ende 2012 wurden ihre Betreuer von der Volkshilfe binnen eines Tages gekündigt. „Die Mitarbeiter haben unser pädagogisches Konzept nicht mitgetragen“, begründet eine Sprecherin der Volkshilfe den Schritt.

Die (einvernehmlich) gekündigten Sozialpädagogen wollen dies nicht auf sich sitzen lassen. „Es hat kein pädagogisches Konzept gegeben“, sagt Oliver Hubalek, einer der Betroffenen. Ihm sei nicht klar, warum das gesamte Team auf die Straße gesetzt worden ist. Immerhin bestätigt die Volkshilfe: „Das Kindeswohl war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.“

KURIER: Frau H., ehemalige Mit­arbeiterinnen erheben schwere Vorwürfe gegen Sie. Die Frauen sprechen von Angst-Terror, den Sie als Heimleiterin in Pitten ausgeübt hätten.

Frau H.: Es ist feig, anonyme Anschuldigungen zu machen. Die betreiben Mobbing.

Sie sollen Mitarbeiterinnen stundenlang angebrüllt und mit beruflichen Konsequenzen gedroht haben.

Das müssten sie mir erst beweisen. Aber jeder kann ja sagen, was er möchte. Ich weiß, was ich getan habe und ich habe niemanden gemobbt. Und jeder, der mich kennt, weiß, ich brülle nicht. Eigentlich möchte ich darüber nicht reden. Die sollen mich ruhig beschuldigen.

Auch ein Psychologe wird von den ehemaligen Erzieherinnen angegriffen: Er habe Kinder so eingestuft, wie Sie es verlangt hätten.

Also das mit den Gefälligkeitsgutachten ist eine Frechheit. Mich würde nicht wundern, wenn der Psychologe auch klagt.

Auch?

Ich habe eine Klage eingereicht. Gegen unbekannt – wegen Verleumdung und übler Nachrede.

Sie sollen die Vorwürfe gegen den mittlerweile verstorbenen Erzieher Gerry T., er habe Kinder missbraucht, jahrelang gekannt haben.

Ich habe Herrn T. nicht eingestellt, er hat schon länger im Heim gearbeitet. Und alle Kollegen, die jetzt die Papp’n aufreißen, haben ihn einstimmig zum Betriebsrat gewählt.

Die Vorwürfe gegen Gerry T. sind den Mitarbeiterinnen damals noch nicht bekannt gewesen. Wussten Sie davon?

Es geht darum, dass man keine anonymen Anschuldigungen macht. Das, was die ehemaligen Mitarbeiterinnen betreiben, ist Mobbing. Und ich habe es satt, dass so einseitig berichtet wird.

Es war vor zwei Jahren eine anonyme Anzeige, die den Fall Gerry T. ins Rollen gebracht hat. Hätten bei Ihnen nicht schon früher die Alarmglocken schrillen müssen?

Es gab auch Kolleginnen, die nicht bereit waren, einzuspringen, wenn eine andere Kollegin krank war. Das sind die Tatsachen.

Haben Sie von den Vorwürfen gegen Gerry T. schon zuvor gewusst?

Ich habe jetzt genug von dieser Sache. Die Kolleginnen können ja eine offizielle Anzeige machen, wenn sie sich trauen ... Ich bin halt traurig, dass man das Heim zugesperrt und den Kindern die Heimat genommen hat.