Chronik/Niederösterreich

"Die Leute haben kein Gespür mehr"

Der Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Anton Kasser ist neuer Präsident der NÖ Umweltverbände. 558 der 573 nö. Gemeinde sind in 22 Abfallverbänden organisiert. Gemeinsam mit NÖ Umweltlandesrat Stephan Pernkopf will Kasser die Abfallorganisationen homogener organisieren und für zusätzliche Aufgaben im Dienste der Gemeinden öffnen. KURIER: Das Thema Müll dürfte in den kommenden Tagen in Niederösterreichs Wohnzimmern wieder recht präsent sein – Stichwort Geschenkpapier.Kasser: Das stimmt. Wir verzeichnen jedes Jahr zu Weihnachten einen Anstieg der Müllmengen um 30 Prozent.

Also helfen die Appelle zur Müllvermeidung wenig?Kasser: Die Verpackungsindustrie ist mittlerweile ein riesiger Wirtschaftszweig. Punktuell, also etwa zu Weihnachten, machen Image-Aktionen zur Müllvermeidung durchaus Sinn. Ganzjährig verkommen diese Appelle aber eher zum Hintergrundrauschen. Uns muss es viel mehr darum gehen, welche Wertstoffe wir aus dem anfallenden Müll herausfiltern und wiederverwenden.

Pernkopf: Zu Weihnachten, das darf man nicht vergessen, ist auch das Thema Lebensmittel im Müll sehr präsent. Man muss sich vorstellen, dass pro Haushalt 30 Kilo Lebensmittel jedes Jahr im Abfall landen. Das sind ungefähr 300 Euro Warenwert.

Also teurer Müll.Pernkopf: Mehr als man auf den ersten Blick vermuten würde. Sie müssen sich vor Augen halten, dass in der Produktion von Lebensmitteln extrem viel Energie steckt. Damit bekommt das Wegwerfen von Nahrungsmitteln auch eine wichtige Klimaschutz-Komponente. Das sollte man sich gerade nach dem Klimagipfel in Paris besonders bewusst machen.

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Kasser:Die Leute haben einfach kein Gespür mehr. Da werden Waren weggeschmissen, bei denen gerade einmal das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Die sind aber noch ohne weiteres genießbar. Gerade um Weihnachten berichten uns die Müllfahrer Erschreckendes, was da alles weggeworfen wird.

Gerade das ist aber auch ein Thema der Supermärkte. Sollte man die nicht verpflichten, Überschüsse zu spenden?Pernkopf: Ich halte nichts von Verpflichtungen, in Niederösterreich funktioniert das aus meiner Sicht schon recht gut. Dass unsere großen Supermarktketten Lebensmittel an Hilfsorganisationen oder Sozialmärkte abgeben, ist mittlerweile Standard.

Sind Lebensmittel zu billig?Kasser: Wenn ich mir anschaue, was weggeschmissen wird, muss ich Ja sagen.

Pernkopf: Wir versuchen deshalb, mit speziellen Initiativen, die Bewusstseinsbildung bei den Kleinsten und in den Schulen zu beginnen. Übrigens auch was die Mülltrennung betrifft.

Welche Initiativen meinen Sie?Kasser: Etwa Aktionen, die das Verkochen von Lebensmittel-Resten in Erinnerung rufen.

Pernkopf: Abseits der Lebensmittel haben wir etwa auf der Plattform "So gut wie neu" bereits zwei Millionen Zugriffe verzeichnet. Jetzt möchte das Bundesland Salzburg bei uns einsteigen.

Wie viel Müll fällt denn in Niederösterreich an?Pernkopf: Um die 860.000 Tonnen pro Jahr, also etwa 530 Kilo pro Einwohner.

Kasser: Bei der Mülltrennung erreichen wir mit einer 65 prozentigen Quote bei verwertbaren Reststoffen einen Top-Wert. Dahinter stecken 30 Jahre Arbeit.

Aber landesweit einheitliche Regeln zur Mülltrennung gibt es nicht.Kasser: Die Standards sind bei unseren 22 Verbänden unterschiedlich, das stimmt. Es geht aber in Richtung Harmonisierung. Zum Beispiel wird Kunststoffmüll ab 2018 nur mehr beim Haus abgeholt. Derzeit muss man in einigen Bezirken damit noch zur Müllinsel.

Müllsammler aus dem Ausland waren auch immer wieder ein Thema. Wie ist die Situation?Kasser: Die sogenannten Müllbrigaden haben wir weitgehend gestoppt. Sperrmüll kommt zu den Altstoffsammelzentren.

Gutes Thema: Warum kann ich eigentlich aus den Sammelzentren nichts mitnehmen oder kaufen, wenn mir zum Beispiel eine abgegebene Couch gefällt?Kasser: Nein, das machen wir nicht. Was in den Containern drinnen ist, bleibt drinnen. Das hat Haftungs- und andere Gründe. Die Schacherei fangen wir uns nicht an. Es liegt in der Eigenverantwortung des Konsumenten, ob er eine Couch zum Sammelzentrum bringt oder vielleicht auf einem Flohmarkt anbietet.

Pernkopf: Ein großer Dank übrigens an die unzähligen Flohmärkte. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Müllvermeidung.

Zu den Umweltverbänden: Viele Gemeinden sind bereits dabei, aber eben nicht alle.Kasser: Wir haben eine flächendeckende Verbandsstruktur. Das nutzen die meisten Gemeinden bei der Müllentsorgung. Wir wollen aber noch mehr: Mit unserer Struktur könnten wir den Gemeinden zum Beispiel auch die Einhebung von Abgaben abnehmen oder ihre Energieberichte anfertigen. In meinem Bezirk Amstetten funktioniert das schon gut. Mehr Service macht die Verbände sicher noch attraktiver.

Pernkopf: Die Umweltverbände sind für mich das beste Beispiel, wie man Dienstleistungen kostenschonend und gemeindeübergreifend anbieten kann.