Traiskirchen: Die Flucht zurück in den Alltag
Von Alexandra Eder
Mittlerweile fährt Madeleine Alizadeh nicht mehr nach Traiskirchen. Sie hilft trotzdem noch, bei der Caritas in Wien. Das sei leichter zu koordinieren, Alizadeh kann gezielt helfen und danach wieder nach Hause gehen – und sich besser abgrenzen. Weil es irgendwann einfach zuviel war. Die 26-Jährige löste im Sommer 2015 eine Welle der Solidarität aus, indem sie über die Missstände im Flüchtlings-Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen (Niederösterreich) berichtete. Hauptberuflich bloggt sie unter dem Pseudonym dariadaria über vegane Mode, Reisen und aktuelle Trends.
Traiskirchen, Sommer 2015
Ein paar Wochen zuvor hört Alizadeh immer öfter von Hilfesuchenden in Traiskirchen, und dass dringend Spenden gebraucht werden: “Ich habe mich zu Beginn nicht wirklich damit auseinandergesetzt. Anfang Juli habe ich ein paar Spenden zusammengepackt und beim Eingang abgegeben”. Aber die Bilder gehen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Kurze Zeit später nimmt eine Bekannte sie nochmal dorthin mit, die beiden bleiben den ganzen Tag dort, sie helfen mit und sprechen mit den Menschen. Von diesem Tag an verbringt Alizadeh immer mehr Zeit in der Erstaufnahmestelle und lernt einige Flüchtlinge und deren Geschichten kennen.
Der Beginn einer Freundschaft
Die Verbindung zu den Menschen in Traiskirchen wird enger, zeitweise fährt die junge Frau vier Mal pro Woche in das Erstaufnahmezentrum. Sie sieht täglich mit eigenen Augen, welche Missstände dort herrschen. Um darauf aufmerksam zu machen, berichtet “dariadaria” darüber – auf ihrem Blog, über Facebook, Twitter oder Instagram.
Ein Zeichen setzen
Das Video wird mehr als 60.000 Mal angesehen und unzählige Male geteilt. Das Gleiche passiert mit einem offenen Brief an das Bundesministerium für Inneres, in dem Alizadeh ihrem Ärger Luft macht – über die Hürden, die ihr in den Weg gestellt werden, wenn sie helfen will. Denn längst hat sie jemanden gefunden, der die irakische Familie aufnehmen würde. “Den einzigen Widerstand auf den ich stoße sind Sie, liebes Bundesministerium für Inneres. (...) ich bin verzweifelt. Weil ich helfen möchte und Sie mich nicht lassen.”
Endlich geschafft
“Ich war in der Situation psychisch an einem Punkt, an dem ich einfach nicht mehr weiter gewusst habe, und wo ich durch den Blog ein Ventil hatte. Dass das dann wirklich die Lösung des Problems wird, hätte ich nicht gedacht.” Alizadeh erreicht, was noch kurz vorher praktisch unmöglich erschien. Durch ihren bedingungslosen Einsatz, durch den Druck, den die sozialen Medien manchmal entwickeln, und durch die Hilfe einflussreicher Unterstützer erhöht sich der Druck auf das Innenministerium. Die irakische Familie bekommt die sogenannte weiße Karte. Diese bestätigt die Zulassung zu einem Asylverfahren und ermöglicht den Betroffenen, sich frei in Österreich zu bewegen.
Am Ende ihrer Kräfte
Im Vorjahr hat sie gesehen, wie viel sie durch ihren bedingungslosen Einsatz erreichen kann. Trotzdem stellt sich Alizadeh seitdem immer öfter die Frage: “Bis wohin ist es meine Verantwortung, mich komplett selbst für eine Sache aufzugeben? Man merkt irgendwann, dass es zu viel werden kann und dass man an seine Grenzen stößt.” Sie hat gelernt, im übertragenen Sinn, die Tür auch wieder zuzumachen und sich in ihrem eigenen Leben wiederzufinden. Auch die mediale Präsenz, die plakative Darstellung ihrer Person als Modebloggerin, die zur Flüchtlingsretterin wird, hat sie dazu gebracht, sich aus der Medienöffentlichkeit wieder zurückzuziehen. “Es hat mich gestört, dass es irgendwann gar nicht mehr um das Thema an sich ging, sondern nur um mich”, denn das war nicht das, was die 26-Jährige erreichen wollte.