Chronik/Niederösterreich

Bildungszentrum hinter Gittern

Christian Müller hat vor einem Jahr den idealen Mitarbeiter für seine Medizintechnikfirma in Wien gefunden. "Er hat Eigeninitiative, ist verlässlich, denkt selber mit", lobt der Chef den 37-Jährigen. Dass der wegen Mordes verurteilt wurde, und deshalb jeden Morgen aus der Justizanstalt Stein anrückt, ist für den Unternehmer weder Makel noch ein Problem.

"So wie ich ihn kennengelernt habe, ist er ein guter Mensch. Ein besserer vielleicht als mancher, der frei herumgeht", stellt Müller fest. Deshalb wird er den Freigänger fix engagieren, sobald der seine Strafe verbüßt hat.

Das ist nur einer von vielen Fällen, in denen Annamaria Florreiter vom pädagogischen Dienst der niederösterreichischen Justizanstalt Stein Einfluss auf die Zukunft von Gefangenen genommen hat. Ihr Job ist es, für möglichst viele der gut 800 Insassen eine Fortbildungsmöglichkeit zu finden, die ihre Chancen auf Arbeit nach der Entlassung erhöht. Vielfach gelingt es ihr auch, gleich Beschäftigung zu vermitteln.

Nie enttäuscht

"Ich genieße diese Arbeit. Auch deshalb, weil mich noch nie einer der Burschen enttäuscht hat", sagt sie. Was sie allerdings schade findet: "Bundesweit gibt es so einen Job wie meinen nur in drei Justizanstalten. Dabei wäre der überall dringend notwendig."

Alle Inhalte anzeigen

Was ihr die Arbeit erleichtert: " Ich habe hier großartige Unterstützung vom Anstaltsleiter und es gibt viele Justizwachebeamte, die sich über das notwendige Maß hinaus engagieren", erzählt sie.

"Das stimmt, viele Beamte setzen sich sehr ein", bestätigt Bruno Sladek, Leiter der Justizanstalt Stein. Er erklärt den Zweck des Aufwandes: "Ausgänge sollen den sozialen Umgang schulen, den Insassen über die Jahre verlernen, wenn ihr Tagesablauf strikt genormt ist. Die Ausbildungen sollen dafür sorgen, dass sie nach der Entlassung ihre Existenz bestreiten können", sagt er. Natürlich sei es ein Risiko, die dafür nötigen Freigänge zu genehmigen. Aber die Erfolge in Summe sind enorm.

Alle Inhalte anzeigen

Oft sind es Sprachkurse und der Führerscheinkurs, manchmal der Pflichtschulabschluss oder gar die Matura, die Florreiter organisiert. Die Ausbildung in den Anstaltswerkstätten ist auf wenige Berufe beschränkt. Sie aber sucht unverdrossen nach Begabungen und Leidenschaften der Gefangenen, um sie als Antrieb fürs Lernen zu nutzen.

Job

Auch den Job für den 37-Jährigen hat sie organisiert. Sein heutiger Arbeitgeber hat den EDV-Spezialisten erst mit einem Projekt getestet, das der in seiner Zelle an seinem Computer ohne Internetanschluss umsetzte. Ein technisch versierter Beamter überprüfte jedes Mal den USB-Stick, mit dem Daten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer übermittelt wurden. Dazu musste Florreiter im Haus einiges an Überzeugungsarbeit leisten.

"Ich war beeindruckt, wie schnell und gut er den Auftrag umgesetzt hat", sagt Unternehmer Müller. Trotzdem habe er über seinen Schatten springen müssen. "Mein erster Besuch in der Anstalt war deprimierend, die Atmosphäre in der Besucherzelle bedrückend", sagt Müller, der diesen "modernen Ansatz des Vollzugs" für sinnvoll hält. "Die Gefangenen brauchen Unterstützung, um ihre soziale Kompetenz im Umgang mit anderen wieder aufzubauen", ergänzt er und betont: "Heute weiß ich, dass ich den Mann zu einem leitenden Mitarbeiter aufbauen werde."

Karl Huber (Name von der Redaktion geändert) sitzt wegen Mordes.

KURIER: Wie lautete Ihr Urteil?
Karl Huber:
13 Jahre Haft.

Was war vorher Ihr Job?
Ich war früher in der EDV-Branche selbstständig, bin viel gereist.

Wie kamen Sie zu Ihrer neuen Beschäftigung?
Frau Florreiter hat von meinen EDV-Kenntnissen erfahren und eine Projektarbeit vermittelt. Mein heutiger Arbeitgeber kam in die Anstalt. Da war ich total nervös.

Wie lief das ab?
Er hat mich mehrmals besucht und dabei erklärt, was er braucht. Das über Internet zu machen, war nicht möglich. Daten wurden also über einen USB-Stick ausgetauscht, den ein Beamter überprüft hat. Es war nicht einfach, dass das genehmigt wurde.

Wie ging es weiter?
Der Auftraggeber war sehr zufrieden und wollte mich fix beschäftigen. Dieses Gefühl war fast zu schön, um wahr zu sein. Ich hatte nicht erhofft, auf Menschen zu treffen, die mich so unterstützen, die mir so einen Vertrauensvorschuss geben.

Jetzt haben Sie die Zusage für eine Fixanstellung?
Ja, damit ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich habe wieder einen Wert.

Wie sehen Sie die Unterstützung durch die Pädagogin?
Als der Dienst eingerichtet wurde, war für mich vieles anders. Das hat mich motiviert, mir Selbstwert gegeben und für mich so viel ermöglicht. Das sagen auch andere in der Anstalt.