„Bei uns gibt es keinen Guru“
Von Julia Schrenk
Die hauseigenen Hendln produzieren 15 Eier pro Woche. Eine Mathematikstunde wird gegen einen Sitzplatz im Auto getauscht. Wer krank ist, wird bekocht. Das ist Co-Housing. Ein gemeinschaftliches Wohnprojekt in Gänserndorf.
Es ist 18 Uhr. Fast pünktlich, mit maximal einer Viertelstunde Verspätung finden sich alle im Innenhof ein. Männer, Frauen und Kinder reichen einander die Hände. „Es gibt Grießnockerlsuppe und Brote mit selbst gemachtem Hummus“, sagt Szende. Sie hat gemeinsam mit David das Abendessen für die Gemeinschaft vorbereitet. Fast 30 Personen nehmen daran teil. „Das ist ein wesentlicher Teil unseres Zusammenlebens“, sagt Stefan Kovacs. Er ist Obmann des Vereins „Lebensraum“ in Gänserndorf.
Arbeitsteilung
2001 wurde der Verein gegründet. Gemeinsam setzte man das Co-Housing-Projekt von Architekt Helmut Deubner um: Ein Projekt, das – ähnlich einem Genossenschaftsbau – gemeinsam finanziert wird. Der „Lebensraum“ erstreckt sich auf 32 kleinere Wohneinheiten und größere Gemeinschaftsräume. „Jeder von uns hat seine eigene Wohnung“, sagt Kovacs. Die Gemeinschaftswohnräume – darunter eine große Küche, ein Wohnzimmer mit Kamin, ein Filmzimmer mit vollem DVD-Regal und eine Waschküche – stehen allen zur Verfügung. Zum Zeitpunkt der Projektgründung bestand der Lebensraum aus 50 Erwachsenen und 26 Kinder. Mittlerweile sind es 46 Erwachsene und 32 Kinder. „Und jeder von uns muss seinen Beitrag leisten“, erklärt Kovacs.
Es gibt die Küchengruppe, die Carsharing-Gruppe, die Kinderbetreuungsgruppe oder die Haustechnikgruppe. Gemeinsam verantworten die Vereinsmitglieder ein Areal von über zwei Hektar. Kinderspielplatz, Beachvolleyballplatz, Gemeinschaftsgarten, Trampolin, Pool, Fußballfeld und Festbühne inklusive.
Aber es hat lang gedauert, bis es so weit war. „Ein bis zwei Jahre ist die Gemeinschaft stark auf dem Prüfstand gestanden“, sagt Kovacs. Was wird gebaut? Was nicht? Wer will einen Teich, wer einen Hühnerstall? Schlussendlich hat es geklappt. Heute redet man Konflikte aus. „Bei uns wird man niemanden sagen hören: ,Du Trottl, warum hast du das nicht gemacht?’“, erklärt der Vereinsobmann.
Keine Kommune
Karin Hödlmoser ist 2008 mit Mann und Kind in den Lebensraum gezogen. Sie wollte weg aus Wien: „Das war wie Urlaubsfeeling in Italien hier“, sagt Hödlmoser. „Die Stimmung war super.“
Die Frage, ob sich die Gruppe als Kommune sehe, hört man im Lebensraum nicht so gern. „Bei uns gibt es keinen Guru. Wir gehören keiner gemeinsamen Religion an. Eigentlich sind viele von uns Individualisten“, sagt Obmann Kovacs. Entscheidungen werden zwar im Plenum getroffen, aber jeder behält seinen Privatbesitz. Es gehe um gemeinsames Haushalten, ökologisch leben. Aber wer im Lebensraum leben will, braucht auch Zeit dafür.
Zeit, die ein Paar, bei dem beide Vollzeit arbeiten, oft nicht aufbringen kann: „Wir sind nach der Arbeit oft ausgelaugt“, sagt Martha. Sie will aus dem Lebensraum ausziehen. „In unser Lebenskonzept passt es nicht mehr, aber für Kinder ist es perfekt.“ Für den Fall, dass Martha auszieht: Auf ihre Wohnung warten schon 70 andere.