Chronik/Geschichten mit Geschichte

Von Karl Renner bis Karl Nehammer: Österreichs Regierungschefs seit 1945

Als der erste Kanzler der Zweiten Republik am 27. April 1945 von den Besatzungsmächten mit der provisorischen Regierung des wiedererstandenen Staates betraut wurde, lag das Land in Schutt und Asche. Not und Hunger waren so groß, dass Karl Renner bei den alliierten Mächten regelmäßig um Lebensmittellieferungen betteln musste. Dringlichste Aufgabe seiner aus SPÖ, ÖVP und Kommunisten bestehenden Regierung war es, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.

Ob der erste Kanzler wirklich Karl Renner hieß, ist indes nicht sicher. Als 18. Kind einer Bauernfamilie, mit einem Zwillingsbruder zur Welt gekommen, wurde – um die Buben voneinander unterscheiden zu können – Karl eine rote und seinem Bruder Anton eine blaue Schleife um den Arm gebunden. Während des Fütterns lösten sich die Schleifen, und es stand nicht mehr fest, wer Karl und wer Anton war. Karl Renner selbst sagte mehrmals: „Ich glaube, ich bin der Anton, und er ist der Karl.“

Figl folgt Renner

Vorgehalten wird Renner, dass er 1938 für den „Anschluss“ an Hitler-Deutschland votierte. Wenn wir heute, Sonntag, wählen, stimmen wir über die Zusammensetzung des Nationalrats ab, denken dabei aber natürlich auch an die Person des Bundeskanzlers. Als die ÖVP im November 1945 die erste Nationalratswahl der Zweiten Republik mit absoluter Mehrheit gewann, wurde Leopold Figl Regierungschef, zu dessen bleibenden Verdiensten der Wiederaufbau nach Krieg und NS-Herrschaft zählt. 

Obwohl er der populärste Politiker seiner Zeit war, folgte ihm  1953 – gegen seinen Willen  – Julius Raab als Kanzler. Die Hofübergabe an seinen besten Freund wurde zur menschlichen Tragödie, doch Figl konnte nicht ahnen, dass seine große Stunde erst schlagen würde, als Raab ihn zum Außenminister machte. Ohne eine Fremdsprache zu beherrschen, verhalf Figl der Neutralität zum Durchbruch, und er wurde einer der Architekten des Staatsvertrags.

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Figl in Trauer

Der 15. Mai 1955 war ein Festtag für Österreich, doch kaum jemand wusste, dass Figl unmittelbar vor Unterzeichnung des Staatsvertrags seine Mutter zu Grabe getragen hatte. Julius Raab ermöglichte die wirtschaftliche Konsolidierung, die mit der Sozialpartnerschaft abgesichert wurde. Typisch für den ebenso volksnahen wie humorvollen Kanzler war sein Ausspruch: „Die Deutschen verdanken ihr Wirtschaftswunder ihrem Fleiß, ihrer Strebsamkeit und Ausdauer. Das österreichische Wirtschaftswunder ist hingegen wirklich ein Wunder!“

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Raabs Nachfolger Alfons Gorbach war integer, doch dem Amt des Bundeskanzlers nicht gewachsen, er wurde sogar von seinen Parteifreunden niedergestimmt. Ihm folgte Josef Klaus, der der ÖVP den größten Sieg, aber auch die größte Niederlage bescherte: 1966 erlangte Klaus die absolute Mehrheit und bildete die erste Alleinregierung. Vier Jahre später musste er das Kanzleramt Bruno Kreiskys SPÖ überlassen.

Auch Josef Klaus traf in der Stunde des Triumphs der schwerste Schicksalsschlag seines Lebens: Eine Woche nach dem großen Wahlsieg erlag seine 21-jährige Tochter einer Herzerkrankung. Kein anderer hat so lange regiert wie Bruno Kreisky und das großteils mit absoluter Mehrheit. Viele gingen „ein Stück des Weges“ mit ihm. Doch die Fußstapfen, in die sein Nachfolger Fred Sinowatz trat, waren zu groß für diesen. Von beiden Bundeskanzlern blieb je ein Satz, der nach wie vor – nicht ganz untypisch für ihre Ära – zitiert wird. Kreiskys selbstbewusstem „Ich bin der Meinung“ steht das resignierende Sinowatz-Wort „Es ist alles sehr kompliziert“ gegenüber. Wirklich kompliziert wurde es für ihn, als Kurt Waldheim 1986 zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Sinowatz nahm am nächsten Tag den Hut. Als seine größte Leistung gilt, Franz Vranitzky als Nachfolger fürs Kanzleramt nominiert zu haben.

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Große Koalition

Nach Jörg Haiders Wahl zum FPÖ-Chef führte „Vrantz“ das Land von einer Kleinen Koalition zurück in die (damals noch) Große. Sein Platz in der Geschichte ist ihm sicher, zumal Vranitzky Österreich, gemeinsam mit ÖVP-Außenminister Alois Mock, in die Europäische Union steuerte.
Von Viktor Klima bleibt, dass er sich scheinbar medienwirksam in ein Hochwassergebiet fliegen ließ, um in gelben Stiefeln behilflich zu sein. Wolfgang Schüssel wollte 1999 als Dritter in Opposition gehen, ließ sich dann aber als Dritter von den Freiheitlichen zum Regierungschef wählen.  Alfred Gusenbauer hat angeblich schon in der Sandkiste davon geträumt, Bundeskanzler zu werden, stolperte jedoch nach nur zwei Jahren am Ballhausplatz bei einer SPÖ-Veranstaltung über die Frage, ob ihn „wieder das übliche Gesudere“ erwarte.

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Pfeifkonzert

Werner Faymann musste als Kanzler gehen, als seine Rede beim Mai-Aufmarsch 2016 am Wiener Rathausplatz in einem Pfeifkonzert unterging. Sein Nachfolger Christian Kern verlor die Nationalratswahl 2017 gegen Sebastian Kurz. Der ÖVP-Shootingstar bildete eine Regierung mit H. C. Straches FPÖ, die mit dem Ibiza-Skandal einmal mehr die Koalition sprengte. Kurz versuchte es daraufhin mit den Grünen, die jedoch nach Bekanntwerden belastender Chat-Nachrichten mit Sebastian Kurz brachen.
Bundespräsident Van der Bellen beauftragte nun die parteilose Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein mit der Bildung einer Übergangsregierung, die von Kurzzeitkanzler Alexander Schallenberg abgelöst wurde. Am 6. Dezember 2021 übernahm Karl Nehammer die Regierungsgeschäfte, die in eine Zeit multipler Krisen fielen. Ihm ist zu danken, dass „Kanzlermenü“ zum Wort des Jahres 2023 wurde, nachdem er Kindern als warme Mahlzeit einen McDonald’s-Hamburger mit Pommes frites um 3,50 € empfohlen hatte.

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Figl, Raab, Kreisky

Anekdoten und Witze, wie sie über Figl, Raab oder Kreisky kursieren, wird man bei ihren Nachfolgern vergeblich suchen. Die legendären „Baumeister der Republik“ bleiben durch ihre charismatischen Erscheinungen unvergessen. Apropos: Als Kreisky schon über 70 und immer noch Kanzler war, wurde er von seinem kleinen Enkel mit der Ankündigung überrascht, dass auch er, sobald er erwachsen wäre, Bundeskanzler werden wollte. Worauf der Großvater brummte: „Das wird leider nicht gehen. Denn es kann nur einen Kanzler geben.“