Chronik

Die unvorhersehbare Katastrophe

Stolz präsentierte der Deutsche Wetterdienst (DWD) am vergangenen Donnerstag sein verbessertes Unwetterservice. Noch zielgenauer könne man künftig Alarm schlagen. Statt für 400 Landkreise könnten nun Warnungen für 10.000 Gemeinden herausgeben werden. Bei Großstädten würde es sogar Prognosen für einzelne Stadtteile geben. Einen "Quantensprung" nannte das Hans-Joachim Koppert, Leiter der DWD-Vorhersage.

Bei den großen österreichischen Wetterdiensten, der Ubimet und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), ist man sich einig. Die Deutschen haben damit nur die Lücke zu Österreich geschlossen, wo schon längst auch Prognosen für einzelne Gemeinden erstellt werden.

Doch ein Problem haben alle Meteorologiedienste. "Bei Gewittern ist es fast nicht möglich, über einen längeren Zeitraum im Voraus zu sagen, wo es niedergeht. Warnungen können teilweise erst 15 Minuten vor Eintritt gegeben werden", sagt Josef Lukas von der Ubimet.

Und mit diesen Gewittern gehen immer öfter Starkregenfälle einher, bei denen innerhalb kürzester Zeit riesige Mengen Wasser auf ein relativ kleines Gebiet einprasseln. Bäche verwandeln sich dann schnell in reißende Fluten. Muren werden regelrecht aus dem Hang gesprengt. Sturm und Hagel sind mitunter verheerende Begleiter dieser Gewitterzellen, die für massive Schäden sorgen und in der vergangenen Woche in mehreren Bundesländern zu Hunderten von Einsätzen führten.

Kleine Schritte

"In absehbarer Zeit wird es nicht möglich sein, am Vortag zu sagen, dass es Ort XY treffen wird", sagt Klaus Stadelbacher, Leiter der ZAMG-Wettervorhersage Wien. Denn: "Die Verbesserung der Prognosemodelle geht in ganz kleinen Schritten." Das sind schlechte Aussichten. Denn die Fachwelt ist sich darin einig, dass mit der zunehmenden Erwärmung die Gewalt zerstörerischer Wetterphänomene wächst. "Man geht davon aus, dass die Heftigkeit von Unwettern zunimmt und es zu mehr Schäden kommt", erklärt Stadelbacher.

"Die letzten Sommer waren fast immer zu warm", sagt Meteorologe Lukas. Dabei genügt es, wenn die Temperaturen 0,5 bis 1 Grad über dem langjährigen Schnitt liegen. Im Hitzesommer 2015 waren es sogar drei bis vier Grad zu viel. "Je wärmer es ist, umso mehr Feuchtigkeit kann die Atmosphäre aufnehmen", erklärt der Experte den Auslöser der heftigen Regengüsse. Was sich vielleicht früher als normales Sommergewitter entladen hat, kann inzwischen zum wahren Katastrophenbringer mutieren. Bei einem lokal konzentrierten Starkregen können in einer halben Stunde im einen Ort 30 bis 35 Liter Regen pro Quadratmeter fallen, während ein paar Kilometer weiter vielleicht die Sonne scheint.

Massive Schäden

Allein die Sturm- und Starkregenschäden betragen nach Schätzungen der Versicherungen österreichweit heuer bereits 16 Millionen Euro, berichtet der ORF Salzburg. Anders als bei einem klassischen Hochwasser, dem oft Dauerregen vorangeht, bleibt den Einsatzkräften bei Starkregen kaum Zeit, zu handeln. Bei einem der vielen heftigen Gewitter der vergangenen Woche konnten Helfer etwa im Tiroler Pettnau gerade noch mehrere Häuser vor den Fluten retten. Mit Sandsäcken und Brettern leiteten sie einen vom Berg kommenden Bach an bedrohten Gebäuden vorbei, nachdem dieser innerhalb kürzester Zeit aus seinem Bett getreten war.

Meteorologe Stadelbacher ist aber überzeugt, dass selbst verbesserte Prognosen gegen rasend schnell kommendes Wasser nur bedingt helfen können. "Es ist sehr schwer Maßnahmen zu ergreifen, damit nichts passiert." Oft wäre nur noch Schadensbegrenzung möglich.

Vergangenen Montag in Innsbruck: Am Himmel braut sich etwas zusammen. Um 19.36 Uhr kommt ein SMS aufs Handy. Eine Versicherung gibt "Warnung Rot" aus und kündigt für die Zeit zwischen 20.17 und 21.47 Uhr ein schweres Gewitter mit Starkregen, Hagel und Sturmböen an. Eine Stunde später bricht das angekündigte Unwetter mit voller Wucht los. Praktisch alle großen heimischen Versicherungsunternehmen, sei es etwa die Uniqa, die Generali oder die Wiener Städtische, bieten inzwischen derartige Services an.

Die Warnungen kommen als SMS oder via bereitgestellter App für den jeweiligen Wohnort oder andere Aufenthaltsorte. Die Unternehmen handeln dabei durchaus aus Eigennutz und hoffen, dass ihre Kunden dadurch Schäden an Autos oder Häusern verhindern können. Die Österreichische Hagelversicherung informiert auf diesem Weg aber auch Bauern, die mit ihren Landwirtschaften immer wieder schwer von Unwettern getroffen werden.

Wetterdienste

Kostenlosen Zugang zu ortsgenauen Prognosen bieten die Wetterdienste ZAMG (warnungen.zamg.at) und Österreichische Unwetterzentrale (uwz.at) auf ihren Internetseiten. Bei beiden lässt sich auch ein kostenpflichtiger SMS-Service buchen, der im Fall der UWZ auch Zugang zu einer App gibt.

Sobald dunkle Wolken über dem Sellraintal aufziehen, bangen die Bewohner des Hauptortes. Der Abend des 7. Juni 2015 ist noch nicht vergessen. Mehrere Gewitterzellen blieben über dem engen Tal hängen. Zwei Stunden nachdem diese sich mit Starkregen und Hagel zu entleeren begannen, war das Dorf Sellrain ein vermurtes Katastrophengebiet. Bürgermeister Georg Dornauer weiß, dass es nie absolute Sicherheit geben wird.

KURIER: Wie groß ist die Anspannung im Ort, wenn ein Gewitter aufzieht?

Angespannt sind wir natürlich nach wie vor, wenn solche Gewitter aufziehen. Auch jetzt sind die ohnehin labilen Hänge von den letzten Regenfällen wieder richtig vollgesogen wie Schwämme. Wir wären schon froh, wenn es bald wieder ein bisschen trockener werden würde.

Wie geht es Ihnen damit, dass es nur schwer vorhersehbar ist, ob ein Ort von Starkregenfällen – wie Sellrain 2015 – getroffen wird?

Man versucht sich zu professionalisieren. Es ist natürlich gut, wenn man, wie in den vergangenen Tagen auch, per SMS oder Mail rechtzeitig eine Unwetterwarnung bekommt. Das sensibilisiert zusätzlich. Aber man muss ganz ehrlich sein: Wenn die Mure kommt, dann kommt sie. Man kann nicht jedes Mal 90 Feuerwehrleute präventiv ausrücken lassen.

Muss man als Bürgermeister besonders zittern?

Ich kann nicht beunruhigter sein als meine Bevölkerung. Aber bei jedem Sommergewitter habe ich wieder die Bilder vom Vorjahr vor mir und bin dann gerne vor Ort.