Chronik/Burgenland

"Muss ihnen eine Perspektive geben"

Auf Krücken humpelte der Angeklagte am Donnerstag in den Schwurgerichtssaal am Eisenstädter Landesgericht. Die Anklage wiegt schwer: Versuchter Mord wird dem 29-Jährigen zur Last gelegt. Der Asylwerber aus dem Irak soll einen Landsmann nach einem Streit durch Messerstiche lebensgefährlich verletzt haben. Der Angeklagte bekennt sich schuldig.

Zu der Auseinandersetzung war es im Mai im Bezirk Güssing nahe der Asylunterkunft der Männer gekommen (mehr dazu im Zusatzbericht). Es sei dabei reichlich Alkohol geflossen. Das spätere Opfer, ein Sunnit, habe den 29-Jährigen "dreckiger Schiit" beschimpft. "Wären wir nicht betrunken gewesen, wäre das nicht passiert. Er ist ja für mich wie ein Bruder", sagt der Angeklagte vor Gericht aus.

Die Staatsanwaltschaft beantragte die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Der Prozess wurde vertagt.

Immer wieder kommt es in Asylunterkünften zu Polizeieinsätzen. "Im Vergleich zum Vorjahr hat es in unserem Bezirk eine Häufung an Gewaltdelikten gegeben", sagt der Bezirkspolizeikommandant von Güssing, Ewald Dragosits. Mehrmals pro Woche gibt es deshalb Polizeieinsätze in dem 26.000-Einwohner-Bezirk. Dass es sich bei den meisten Straftaten, die Asylwerber betreffen, um Gewaltdelikte handelt, bestätigt auch Vize-Landespolizeichef Werner Fasching. Außenstehende sind fast nie involviert. "Meist spielt sich das Ganze innerhalb der Community ab." Der Anteil der Asylwerber an der Gesamtkriminalität habe im Vorjahr im Burgenland 8,7 Prozent betragen und sei 2014 um ein Prozent gestiegen. Allerdings habe sich auch die Zahl der hier lebenden Asylwerber verdreifacht.

Quartier-Problem

Gerlinde Grohotolsky, Obfrau der Plattform Bleiberecht, weiß um die steigenden Gewaltdelikte im Burgenland. Für sie spielen die Quartiere eine wichtige Rolle. "Leider häuft sich in letzter Zeit die Zahl der Unterkünfte, in denen es keine adäquate Betreuung gib." Überfüllte Häuser mit zu vielen Nationalitäten und Quartiergeber mit geringer Qualifikation würden dazu beitragen, dass die Aggressivität unter den Bewohnern steige. Grohotolsky will mit "einem neuen Gewaltschutzprojekt" unter Einbindung der Polizei die Situation verbessern.

Für Heinz Fronek, Leiter der Psychotherapie-Angebote für Flüchtlinge der Diakonie, dauern die Asylverfahren oft lange. "Die Menschen dürfen nicht arbeiten, auch wenn sie das gerne wollen. Das führt zu großen Belastungen. Man muss den Menschen eine Perspektive geben."

Für eine südburgenländische Gemeinde ist Donnerstagmittag viel los in Deutsch Tschantschendorf. Das Wirtshaus ist gut besucht, die Kinder werden von der Schule abgeholt. Auf der Straße gehen zwei Frauen mit Kopftüchern mit ihren Kindern spazieren, ein Mann spielt mit einem Kleinkind, ein anderer geht telefonierend am Gehsteig entlang. Sie alle wohnen erst seit Kurzem in dem 250-Seelen-Ort. Sie gehören zu den etwa 100 Asylwerbern, die hier untergebracht sind. Die Quote habe der Ortsteil von Tobaj vierfach erfüllt, sagt Bürgermeister Manfred Kertelics (ÖVP). Ganz unproblematisch ist das Miteinander im Ort aber nicht, wie er zugibt. Einige Male musste die Polizei schon zu Schlägereien in die Unterkunft ausrücken, manchmal enden die Konflikte auch im Spital.

Donnerstagmittag ist aber alles entspannt. Eine junge Frau wartet an der Bushaltestelle. Ob sie schon negative Erfahrungen mit den Flüchtlingen gemacht habe? "Nein, ich sehe schon viele, sie grüßen freundlich, mir ist nichts Negatives aufgefallen", sagt Andrea Kern, die in der Ortschaft ihre Praxis im Kindergarten absolviert.

Konträre Meinungen

Im Gasthaus trinkt Elisabeth Dadak ihren Kaffee. Auf die Flüchtlinge angesprochen, kommt ein "ich hasse diese Menschen, es sind Parasiten". Niemand im Ort sei glücklich über die Situation, "außer die Gutmenschen", sagt die Dame, die vor Jahrzehnten von Wien nach Deutsch Tschantschendorf gezogen ist. Ob sie persönlich negative Erfahrungen mit den Fremden gemacht habe? "Nein, aber man hört viel, da wird schon etwas Wahres dran sein". Gesprochen habe sie noch nie mit den Ausländern, "außer go home to Afrika".

Andreas Zardini hat sich vor Kurzem ein Haus in der Gemeinde gekauft. Die Flüchtlinge sieht er auf der Straße, "sie grüßen immer", sagt er. Die Parolen im Wirtshaus kennt er bereits, sie fielen oft heftig aus, er selbst hat keine Vorbehalte. "Kein andersgesichtiger Mensch stört mich", sagt Zardini. Viele der Asylwerber würden mit den Kindern in die Kirche gehen. Dass des Öfteren die Polizei vor Ort ist, weiß er auch. "Bei so vielen Menschen kann mal was passieren", meint er.

Die Unterkunftgeberin der Asylwerber will kein Interview geben, "es ist alles in Ordnung", sagt sie. Auch einige andere Ortsbewohner wollen sich nicht öffentlich zur Situation äußern.