Chronik/Burgenland

Hans Niessl: „Ich bin dankbar, nicht traurig“

KURIER: Ihr Vorsitz in der Landeshauptleutekonferenz ab 1. Juli fällt mit Österreichs EU-Ratspräsidentschaft zusammen – da wird für die Interessen der Bundesländer kaum Platz sein?

Hans Niessl: Der Bildungsbereich muss Platz haben. Das kostenlose zweite Kindergartenjahr läuft aus, die Länder brauchen eine Verlängerung. Detto bei sprachlicher Frühförderung und Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen. Wenn der Bund alles in einer einzigen 15-a-Vereinbarung bündeln will, habe ich auch kein Problem. Auch die Mehrbelastung für Länder und Gemeinden aus der Mindestsicherung wird Thema.

Aber die EU dominiert auch bei den Landeshauptleute-Treffen.

Zur außerordentlichen Konferenz am 4. Oktober in Wien kommt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, zur ordentlichen am 22. und 23. November in Stegersbach Haushaltskommissar Günther Oettinger. Beide sind entscheidend für den EU-Finanzrahmen ab 2021, der unter Umständen unter Österreichs Vorsitz finalisiert wird, und die Regionalpolitik in ganz Österreich betrifft.

Das Burgenland will wieder höhere Förderungen als Übergangsregion, Kanzler Sebastian Kurz fordert, dass die EU spart. Könnte das aufs Burgenland zurückfallen?

Das könnte passieren. Oettinger hat gesagt, wenn man weniger zahle, könne man nicht mehr Leistungen verlangen. Aber ich habe auch Verständnis für Kurz. Wenn man in Verhandlungen geht, sagt man nicht von Haus aus, dass man mehr zahlt. Auf der anderen Seite hat Finanzminister (Hartwig, Anm.) Löger gemeint, er könne sich durchaus vorstellen, dass Österreich ein bisschen mehr bezahlt.

Wo neigen Sie hin?

Die Frage ist, was Österreich davon hat? Wenn etwa die Schengen-Grenze entsprechend kontrolliert und damit ein Beitrag zu mehr Sicherheit geleistet wird, muss man abwägen. Wenn wir unterm Strich etwas mehr zahlen und unsere Bevölkerung einen großen Vorteil hat, wären wir ungeschickt, es nicht zu tun.

Als Sie 2000 erstmals zum Landeshauptmann gewählt wurden, regierte im Bund Schwarz-Blau, gegen Ende Ihrer Karriere Türkis-Blau. Ein erster Vergleich?

Ich glaube, die FPÖ ist diesmal besser vorbereitet in die Koalition gegangen.

Weil die Blauen im Burgenland üben konnten?

Das war sicher kein Nachteil. Aber in erster Linie hat die FPÖ aus der nicht wirklich gelungenen Regierungsbeteiligung Anfang der 2000-er Jahre gelernt. Trotzdem glaube ich, dass die FPÖ auf Dauer nicht mitmacht, wenn die ÖVP ihre neoliberale Politik mit Zwölf-Stunden-Arbeitstagen und Wegfall von Überstundenzuschlägen fortsetzt.

Kann sich der Bruch der Koalition wiederholen?

In der Politik kann man nie etwas ausschließen.

Abgesehen vom Zwölf-Stunden-Tag gibt‘s viel Konsens zwischen Burgenlands SPÖ und Türkis-Blau, von Kürzungen bei Mindestsicherung und Familienbeihilfe für Kinder im Ausland bis zum Grenzschutz?

Da sehe ich wenig Unterschied, weil wir das schon lange gefordert haben und der Bund hat‘s dann gemacht. In Wahrheit haben wir die vernünftigen Vorschläge gemacht.

Ist es da klug, wenn SPÖ-Vorsitzender Christian Kern eine Zusammenarbeit mit der FPÖ im Bund ausgeschlossen hat?

Die Frage ist jetzt nicht aktuell. Wir haben einen Wertekatalog, wo man die entsprechenden Entscheidungen treffen kann.

Das neue, im Herbst zu beschließende SPÖ-Parteiprogramm sieht auch Mitgliederabstimmungen über Koalitionen vor.

Da bin ich absolut dafür, ich bin überhaupt für ein großes Demokratiepaket in der SPÖ, bis hin zur Wahl des Bundesparteivorsitzenden.

Ab wann sollte der SPÖ-Chef in einer Urabstimmung von den Mitgliedern gewählt werden?

Zuerst muss alles beschlossen werden, aber für den übernächsten Parteitag kann ich mir das vorstellen.

Glauben Sie, dass Ihre Haltung einer Öffnung zur FPÖ mit dem neuen Wiener Bürgermeister Michael Ludwig jetzt die Mehrheit innerhalb der SPÖ hat?

Ich glaube zumindest, dass die Mehrheit der SPÖ-Mitglieder nicht will, dass man jemanden ausgrenzt.

Ist Kern der richtige Oppositionschef?

Er macht das durchaus gut. Die SPÖ muss bei der nächsten Nationalratswahl 30 Prozent plus erreichen, das ist dem Bundesparteivorsitzenden und den Länderchefs klar.

Ist es nicht erschreckend, dass die drei roten Kanzler zwischen den zwei ÖVP-Wendekanzlern Schüssel und Kurz kaum Spuren hinterlassen haben?

Man kann nicht jede Woche der EU beitreten. Aber dass Österreich nach 2008 unter Kanzler Werner Faymann gut durch die schwerste Wirtschaftskrise seit 1945 gekommen ist, halte ich für eine besondere Leistung.

Hat die SPÖ Faymann Unrecht getan? Kern wurde anfangs wie ein Messias gefeiert, das Ende ist bekannt.

Rückblickend hat Kern vielleicht einen strategischen Fehler gemacht, weil er nach seinem Amtsantritt nicht in Neuwahlen gegangen ist. Ich glaube, er hätte die Wahl damals gewonnen. Man hätte es so machen können wie später Kurz, das ist ja nicht verboten.

Haben Sie Kern zu Neuwahlen geraten?

Ich habe mit ihm darüber gesprochen.

Sie konnten sich aber nicht durchsetzen?

Ich habe mich auch in anderen Bereichen nicht zu hundert Prozent durchsetzen können (lacht).

Die sich durchgesetzt haben, fürchteten wohl, dass Kern dann Rot-Blau macht?

Das wird sicher mitgespielt haben. Aber die Frage ist immer, was ich für einen Preis zahle. Ist es schlimmer, nicht in der Regierung zu sein, oder mit allen Gespräche zu führen?

Im Burgenland wird Rot-Blau nach 2020 fortgesetzt?

Für diese Entscheidungen ist ab September der neue Landesparteivorsitzende Hans Peter Doskozil zuständig.

Aber in dieser Frage sehe ich wirklich kein Blatt Papier zwischen Ihnen... (Lacht lauthals)

Meiner Meinung nach sollte man mit allen Landtagsparteien reden. Soweit ich Doskozil kenne, passt da tatsächlich kein Blatt zwischen uns.

Bisher haben Sie immer eine Präferenz für eine Fortsetzung von Rot-Blau angedeutet, jetzt ist also alles offen?

Ich halte eine Festlegung ohne Kenntnis des Wahlergebnisses nicht für klug, denn dann könnte der Partner plötzlich sagen, dass er den Landeshauptmann will.

Apropos, rechnen Sie mit Norbert Hofer als FPÖ-Spitzenkandidat?

Ich rechne wieder mit Hans Tschürtz als Spitzenkandidat. Ich habe den Eindruck, dass Hofer mit Leib und Seele Infrastrukturminister ist und er sich durch einen guten Job als Minister einen Startvorteil für die nächste Bundespräsidentenwahl ausrechnet.

In der SPÖ soll Landesrat Doskozil beim Landesparteitag am 8. September von Ihnen den Vorsitz übernehmen. Rechnen Sie mit Gegenkandidaten?

Nein.

Sie wurden zuletzt 2014 mit 96 Prozent als SPÖ-Chef bestätigt, eine Latte für Doskozil?

Das wird eine Latte, wenn er auch zum vierten Mal antritt. Beim ersten Mal hatte ich 100 Prozent.

Übergeben Sie den Landeshauptmann-Sessel nach dem LH-Vorsitz Ende 2018 und wird dann auch Landesrat Norbert Darabos gehen?

Das habe ich nicht gesagt. Als Parteichef trägt Doskozil die politische Verantwortung und schlägt sein Team vor.

Konkret?

Nach der LH-Konferenz oder zu Beginn 2019 wird es ein Gespräch geben, wo wir beide die Vorgangsweise festlegen. Wenn wir uns keine Gedanken im Hinblick auf 2020 und das Team machen würden, wären wir fehl am Platz.

Wollen Sie bis zur Wahl im Mai 2020 bleiben?

Ich sehe das neutral und bin dafür, was für die Sozialdemokratie am besten ist. Um meine Eitelkeit geht es jedenfalls nicht, ich bin jetzt fast 18 Jahre Landeshauptmann und war vier Mal Spitzenkandidat, ein paar Monate auf oder ab spielen da keine Rolle. So lange ich im Amt bin, bleibe ich ein harter Arbeiter und mache meine 15-Stunden-Tage, wie es sich gehört.

Fürchten Sie den Abschied von der Macht?

Macht ist nötig, um etwas umzusetzen, aber die Zeit in der Politik ist limitiert. Ich bin dankbar, nicht traurig.

Theodor Kery bleibt damit mit 21 Jahren Rekordhalter?

Das war eine andere Zeit.

Was machen Sie nach der Politik, vom Bundespräsidenten bis zum ÖFB-Boss wird allerlei gemunkelt?

Ich mache mir da im Augenblick keine konkreten Gedanken.

Aber Sie sortieren in der Pension nicht Weine im Keller?

Ich werde den einen oder anderen Weinkeller besuchen.