Chronik

"Brauchen den 12-Stunden-Tag"

Bei BMW Steyr läuft es rund. Heuer sollen wieder mehr als eine Million Motoren von den Bändern laufen. Das ist die Hälfte aller BMW-Motoren, pro Tag rund 4300 Stück. Zwischen 100 und 120 Lkw verlassen das Werksgelände, um die Motoren umgehend in die Werke München, Dingolfing, Regensburg und Leipzig zu bringen. Innerhalb von 48 Stunden müssen diese – die achtstündige Produktion in Steyr miteingerechnet – am Ziel sein. Dazu kommt der Transport nach Übersee über die Häfen Hamburg und Bremerhaven. Die Motoren nach China gehen mit der Bahn.

In Steyr werden alle Dieselmotoren gefertigt: die Dreizylinder, die Vierzylinder und die Sechszylinder. Dazu kommen noch die 250.000 Sechs-Zylinder-Benzinmotoren. Während die Europäer zu 70 Prozent Diesel bevorzugen, kaufen die Chinesen und die Amerikaner primär Benziner. Dazu kommen noch 75 Prozent der Gehäuse und Kurbelwellen, die benötigt werden.

Flexibel mit Leasing

3700 Mitarbeiter lassen das Werkl laufen. Rund eintausend haben Leasing-Verträge. "Diese Flexibilität ist für uns ganz wichtig", sagt Gerhard Wölfel, Geschäftsführer seit mehr als fünf Jahren. "2009, im Jahr der Krise, haben wir 700.000 Motoren produziert. Zwei Jahre später 1,2 Millionen. Das bedeutet eine Flexibilität von rund 70 Prozent." Steyr sei keine Hire-and-fire-Firma. Die Flexibilität decke man mit Leasingkräften ab. Diese seien in Österreich nicht so schlecht gestellt, weil es für sie einen eigenen Kollektivvertrag gebe. "Wir haben faire Rahmenbedingungen und Konditionen. Trotzdem brauchen wir die Flexibilität, die das Unternehmen fordert." Mit der Zunahme der Baukastenmotoren gingen auch Wettbewerbsvorteile verloren.

Österreich verliert

"Wir haben gegenüber Deutschland, das firmenintern der größte Wettbewerber ist, in den vergangenen fünf Jahren ganz klar verloren. Die Lohnnebenkosten sind gestiegen, die Lohn-Stück-Kosten gegenüber Deutschland ebenfalls. Laut Fraunhofer-Studie haben wir in Österreich rund acht Prozent unseres Wettbewerbsvorteils aufgegeben. Hier müssen wir etwas dagegenhalten. Es muss ja Sinn machen, in einem Land mit einer hohen Lohnpolitik zu produzieren. Sonst könnte man ja alles nach China vergeben."

Zehn-Stunden-Regel

Sein Appell richte sich an die Politiker, wieder einmal über die Rahmenbedingungen nachzudenken. "Man muss zum Beispiel bei der Arbeitszeit die Zehn-Stunden-Regelung überdenken. Wir schicken Leute in die Entwicklung nach München. Sie wollen dort aber nicht übernachten, sondern wieder zurück nach Hause fahren. Das schaffen sie aber nicht in zehn Stunden." Eine Änderung sei hier nicht gegen, sondern für Mitarbeiter. "Das heißt noch lange nicht, dass wir einen 12-Stunden-Tag in der Produktion machen. Denn 12 Stunden in der Linie zu produzieren und die Qualität den ganzen Tag über zu halten, ist schwierig. Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach." Hier würde man Unterstützung von der Politik brauchen, damit der Standortvorteil erhalten bleibe.

Man sollte auch einmal darüber nachdenken, ob man die 38,5-Stunden-Wochenarbeitszeit nicht in die falsche Richtung entwickle, Richtung 35 Stunden. "Wir müssten darüber nachdenken, ob man nicht wieder zu 40 plus geht. Aber nur in Abstimmung mit den Betroffenen. Und dann im Gegenzug drei oder sechs Monate frei macht. Solche Durchrechnungszeiträume werden immer wichtiger. Hier muss man moderner rangehen, hier hat sich die Zeit verändert."

Die Mitarbeitermotivation sei hoch, die notwendige Flexibilität werde derzeit in individuellen Lösungen und Schichtmodellen geregelt. Es sei aber nicht Sinn und Zweck, alles in teuren individuellen Lösungen vor Ort zu machen. Er sei der Gewerkschaft und dem Wirtschaftsministerium dankbar, dass für BMW Sonderregelungen gefunden worden sein.

Stärke der Mitarbeiter

Österreich biete auch Vorteile. Zum Beispiel das duale Lehrlingsausbildungssystem. "Das haben sie in China nicht. Es sind im Wesentlichen die Mitarbeiter, die den Unterschied ausmachen. Und das Zusammenwirken von Entwicklung und Produktion. Hier gibt es ein klares Bekenntnis von BMW, dass die Entwicklung in Deutschland und Österreich bleibt."

Facharbeitermangel sehe er noch keinen, aber es werde schwieriger. "Da rede ich nicht einmal über die Akademiker. Da rede ich über die Lehre. Eine gute Lehre zu machen ist heute Goldes wert. So hat zum Beispiel bei uns ein Zerspannungstechniker eine goldene Zukunft. Einfach was Solides lernen. Wir haben eine sehr gute Lehrlingsausbildung. Wenn heute einer anfängt, wissen wir, wo er in drei Jahren sein wird. "

Ins Ausland gehen

Die Bezahlung sei nicht das große Thema. "Wir zahlen gut." Die Herausforderung werde sein, welche Flexibilität die jungen Leute mitbrächten. "Die Motivationsfaktoren meiner Generation sind andere als die der heutigen Generation. Zu unserer Zeit war es erstrebenswert, sich etwas zu schaffen, ein Haus, ein schönes Auto. Heute schielen sie bereits mit 30 auf eine Work-life-Balance, in einer Zeit, wo man sich etwas aufbaut. Die jungen Leute erhalten von BMW Angebote, sie können nach Südafrika, nach Amerika, China gehen, sie müssen bloß wollen. Das wird immer wichtiger. Wenn ein Unternehmen international unterwegs ist, geht es nur, wenn auch die Belegschaft flexibel ist."

Die Dieselentwicklung werde in Steyr ausgebaut. "Es war ein langes Hin und Her, bis wir das Grundstück von den ÖBB gekauft haben. Es ist ungefähr 5000 Quadratmeter groß. Hier bauen wir über die nächsten Jahre neue Abgasprüfstände. Wir werden heuer wieder rund 200 Millionen Euro investieren. Als ich nach Steyr gekommen bin, war die Gesamtinvestition 4,5 Milliarden, jetzt sind es 5,5 Milliarden. Ich darf die Investition von einer Milliarde verantworten. Das sind durchschnittlich 500.000 Euro am Tag."

Konkurrent Elektroauto

Die Dieselqualität sei nach wie vor hervorragend, was sich zum Beispiel am US-Markt niederschlägt. "Wir planen heuer für den US-markt 15.000 bis 17.000 Einheiten. Für das nächste Jahr 30.000. Wir verkaufen deutlich mehr als 300.000 Autos in den USA."

Den Dreizylinderdiesel habe man fertigentwickelt. "Hier bauen wir rund 30.000 Stück. Er kommt im Mini und in der 1er-Reihe zum Einsatz. Vielleicht bauen wir ihn auch einmal in ein Elektrofahrzeug ein. Das ist derzeit alles in Untersuchung." Trotz der Elektroautos ist Wölfel für die nächsten 20 bis 25 Jahre um den Standort Steyr nicht bang. "Die Elektroautos werden ihren Durchbruch machen. Aber das dauert seine Zeit.Bis dahin wird der Verbrennungsmotor das bestimmende Element bleiben. Der Dreizylinder Diesel verbraucht jetzt 3,5 Liter. Es war vor fünf Jahren noch unvorstellbar, solche Motoren zu bauen. " Elektroautos seien derzeit für die städtischen Großräume ausgelegt. 95 Prozent fahren in der Regel nicht weiter als 25 Kilometer.

BMW sei beim Elektroauto für die nächsten Monate ausverkauft. "Wir könnten in Österreich viel mehr verkaufen als wir zugeteilt bekommen haben. Wir hatten eine Flotte hier in Steyr zum Testen für unsere Mitarbeiter. 400 sind gefahren, das Feedback war gewaltig."