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R.E.M.: Wahrheit, Lügen, Herz, kein Mist

Mit den schönen Worten "Unser tiefster Dank fürs Zuhören" verkündete Ende September eine der interessantesten Bands der Rockgeschichte ihre Auflösung. Ohne besonderen Grund, ohne Streit, ohne Vorankündigung.

Es war zwar bekannt, dass R.E.M. von der Oberflächlichkeit und Kommerzialisierung der Musikbranche zunehmend angewidert waren. Dennoch kam der Abschied unerwartet.
Auch wenn die Gruppe mit dem Business nichts zu tun haben will - ohne Best-of-Album geht so eine Trennung nicht ab. Schließlich gibt es Verträge, sie einzuhalten sind, selbst wenn man aufhört. Noch dazu, wenn die Auflösung ideal vor dem Weihnachtsgeschäft passierte.

Kommenden Freitag erscheint die Doppel-CD "Part Lies, Part Heart, Part Truth, Part Garbage, 1982-2011". Der sarkastische Titel ("Teils Lügen, teils Herz, teils Wahrheit, teils Mist") könnte als Distanzierung der Band von der kommerziellen Verwertung ihres Erbes verstanden werden. Andererseits: Warum hätten die Bandmitglieder dann persönlich die Liner notes für das Booklet verfassen sollen? Fragen kann man sie dazu nicht - auch die lästigen Interviews sind für R.E.M. jetzt kein Thema mehr.

Langer Weg

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Die 40 Songs umfassende, chronologisch geordnete Werkschau deckt die gesamte, fast 30 Jahre lange Geschichte der Band als "Recording Artists" ab. So wird der Weg der Gruppe nachvollziehbar: Von etwas verhuschten, geheimnisvollen College-Folk-Dilettanten zu Alternative-Rock-Helden, weiter zu Popstars und schließlich zu elder statesmen des politisch korrekten Rock. Die Musik von R.E.M. mag in ihrer Qualität schwankend sein, aber sie war immer unverwechselbar und unangepasst.

Die erste CD beginnt mit "Gardening At Night". Sänger Michael Stipe schreibt darüber in den Liner notes: "Ich denke, das ist unser erster richtiger Song. Alle anderen vorher waren eher wir, wie wir bis zehn zählen und wieder zurück."
Und zum größten Hit der Gruppe, "Losing My Religion", sagt Stipe: "Ich erinnere mich noch, dass ich dieses Lied im ersten Versuch eingesungen habe, mit nacktem Oberkörper. Ich glaube, niemand von uns ahnte, dass aus dem Song etwas Besonderes wird."

Am Ende des Albums finden sich auch drei neue Stücke, die R.E.M. nach Ende der Sessions zu ihrem letzten Studioalbum "Collapse Into Now" aufgenommen haben. "We All Go Back To Where We Belong" wurde auch als Single ausgekoppelt und ist ein verträumtes, hinterhältiges Stück Easy-Listening-Pop mit knurrigem Bass und idyllischen Streicher- und Bläsersounds. "The band that saved American music", schreibt das Uncut -Magazin über sie. Keine Lüge, kein Mist. Von Herzen wahr.