Können wir uns Bezahlen noch leisten?
Rückschau Pressegespräch „Können wir uns Bezahlen noch leisten?“
Beim heutigen Pressegespräch präsentierte Mag. Karin Graf, marketmind, die Eckpunkte einer Studie zur Motivlage Bargeld 2023. Einer angeregten Diskussion stellten sich im Anschluss auch Dr. Matthias Schroth, LL.M., Direktor der Hauptabteilung Bargeld, Beteiligungen und Interne Dienste der Oesterreichischen Nationalbank, und Mag. Gerhard Starsich, Generaldirektor der Münze Österreich AG.
Dr. Matthias Schroth, LL.M., Oesterreichische Nationalbank: "Bargeld ist die einzige Bezahlform, bei der es rein nur um das Bezahlen an sich geht. Alle anderen Formen sind Geschäftsmodelle. Daher fallen dort naturgemäß Gebühren an, man muss sich Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Dritten unterwerfen und es stellt sich dabei natürlich auch die Frage der Datensicherheit. Bei bestimmten Bezahlformen, wie zB bei der Kreditkarte, verbinden sich somit die Kosten für den bloßen Bezahlvorgang mit anderen Kosten des Geschäftsmodells, wie Versicherungspakete, Lounge-Zugang am Flughafen und vieles mehr. So angenehm diese Aspekte auf den ersten Blick sein mögen, so erhöhen sie die Kosten beim Bezahlvorgang beträchtlich. Diese Kosten müssen dann teilweise von allen getragen werden; auch von jenen, die zB aufgrund eines zu geringen Einkommens gar keine Kreditkarte bekommen bzw auch wollen.“
Mag. Gerhard Starsich, Generaldirektor der Münze Österreich AG: „In einer idealen Welt existieren viele Instrumente nebeneinander und der mündige Bürger weiß damit umzugehen, ohne sich zu verschulden. Anbieter gehen sorgsam mit den Daten der Konsumenten um und jeder darf situativ frei das aktuell für ihn beste Angebot wählen. Ich frage Sie aber: Leben wir in einer idealen Welt? 21,8 % der Klient*innen der Schuldenberatung sind 30 Jahre oder jünger (Quelle: Schuldenreport 2023, Datenmaterial aus 2022), Tendenz steigend. 41 % der Kinder bekommen kein Taschengeld und haben damit nicht die Chance, mit ihrem eigenen Geld haushalten zu lernen."
Matthias Schroth beleuchtet weiter auch den rechtlichen Status von Bargeld: „Bargeld ist aus europarechtlicher wie auch nationaler Sicht zwar das einzige gesetzliche Zahlungsmittel; eine klare, allgemein anerkannte und jederzeit durchsetzbare Annahmeverpflichtung besteht jedoch nicht, weshalb gesetzliche Klarstellungen wünschenswert sind, um den Bürgerinnen und Bürgern – freilich mit entsprechenden Ausnahmen zB aus Sicherheitsgründen und im online-Bereich – eine jederzeitige Bezahlung mit Bargeld garantieren zu können.
Generaldirektor Starsich machte auf die gemeinsamen Interessen von Konsumenten und Wirtschaft aufmerksam: „Auch im Sinne der österreichischen Wirtschaft ist die Aufrechterhaltung einer gut ausgestatteten Bargeldinfrastruktur wesentlich. 2/3 der Konsumenten wissen, dass digitale Bezahlmethoden Geld kosten und die Interessen der Betreiber klein- und mittelständischer Unternehmen decken sich an diesem Punkt: Beide können oder wollen sich keine zusätzlichen Kostentreiber leisten."
Zur Studie:
Studiendesign:
repräsentative Befragung für Österreich (nach Alter 14-75 Jahre, Geschlecht, Bildung und Bundesland), Stichprobe = 800 Online-Interviews, Befragung im Februar/März 2023
Insights:
Finanzielle Lebensumstände der Österreicher:innen: 56 % sind zumindest finanziell stabil, 30 % befinden sich in finanziell schwierigen Lebensumständen (8 % davon kommen nur schwer über die Runden).
Je komfortabler die finanzielle Situation, desto flexibler sind die Österreicher:innen bei der Wahl des Zahlungsmittels.
44 % zahlen lieber bar, um Gebühren zu vermeiden. Kontaktloses Bezahlen mittels Karte ist für Personen in finanziell schwieriger Situation oft nicht leistbar. Personen in (sehr) gut situierter Lage nutzen seltener Bargeld als Personen in finanziell eher angespannten Lebensumständen. Niedrigverdiener (geringe Bildung, rural, geringes Sparvolumen) können nicht gut mit Geld umgehen und sind häufiger auf Bargeld angewiesen (günstigeres Zahlungsmittel).
Beschränkte Mittel zwingen zur maximalen Kontrolle der Ausgaben.
Bargeld erleichtert die Budgetkontrolle. 2/3 kaufen mit Bargeld bewusster ein und Bargeld hilft ihnen ein besseres Gefühl für Geld zu bekommen.
Die Sorge, sich zu verschulden, begünstigt die Bargeldnutzung.
Pragmatiker zahlen sowohl mit Bargeld als auch bargeldlos (was von beiden gerade praktischer ist und schneller geht). Sie möchten sich nicht verschulden und ihnen ist Bargeld in Zukunft sehr wichtig (und sie sind zuversichtlich, dass es Bargeld auch in Zukunft geben wird).
Kinder und Jugendliche lernen mit Bargeld den Umgang mit Geld.
3/4 der Österreicher:innen sind der Meinung, dass Kinder den Umgang mit Bargeld besser lernen. 1/4 der Eltern spricht mit ihren Kindern nicht über Geld, Schulen tragen nur wenig dazu bei, dass Schüler:innen den Umgang mit Geld erlernen und 41 % bekommen kein Taschengeld von den Eltern.
Die Angst, beim Bezahlen Daten preiszugeben, stellt ein zentrales Motiv zur Bargeldnutzung dar.
Durch die Bargeld-Bezahlung können sensible Daten geschützt werden. Knapp die Hälfte gibt nur ungern personenbezogene Daten bekannt und zahlt daher lieber mit Bargeld. Für die Bargeldverfechter ist das Motiv der Privatsphäre besonders relevant.
Bargeldlose Zahlung als Schuldenfalle. Wer sich um Verschuldung Sorgen macht, nützt lieber Bargeld.
Lebenskünstler:innen zahlen lieber bargeldlos und tragen kaum Bargeld bei sich. Diese konsumorientierte Gruppe (jung und urban, mit noch geringem Einkommen) hat wenig Überblick über die eigenen Finanzen und ist durch die Nutzung von Ratenzahlung sowie bargeldlosen Zahlungsmitteln schuldenanfällig, macht sich darüber aber keine großen Gedanken.
Gutsituierte fühlen sich von Gebühren und Anonymitätsaspekten kaum betroffen.
Die digitalen Gutverdiener zahlen lieber bargeldlos. First Mover sind besonders digitalaffin (gut gebildet, eher männlich, gutes Einkommen, Interesse an Finanzthemen) und könnten auch gut auf Bargeld verzichten.
Bargeld stützt die heimische Wirtschaft.
Dass Bargeld die Wirtschaft stützt, ist den Österreicher:innen durchaus bewusst. 2/3 geben an, dass die Kosten durch die bargeldlose Zahlung zu Lasten der Anbieter gehen.