Wolfgang Winheim: „Fußball ist die meistunterschätzte Sportart“
Als Wolfgang Winheim vor mehr als 60 Jahren seine ersten Texte für den KURIER verfasste, ging er noch in die Schule und besserte sich das Taschengeld auf, indem er von Matches der Wiener Liga berichtete. Wobei „berichten“ in dem Fall bedeutete, dass er telefonisch die Mannschaftsaufstellungen und einen Satz zum Spiel durchgab – 45 Schilling Honorar gab es dafür.
Pelé beim Heurigen
Richtig Fahrt aufgenommen hat seine KURIER-Karriere dann 1966 durch ein Exklusivinterview mit dem brasilianischen Superstar Pelé, der gerade auf Hochzeitsreise in Europa war. Der junge Reporter, der damals auch selbst noch Fußball spielte, war ihm zufällig beim Heurigen Mandl in Döbling begegnet. „Der Sektionsleiter von der Vienna war auch da und hat mich als eines der größten Wiener Fußballtalente vorgestellt – was ich nicht war. Aber der Pelé hat sich dann wirklich mit mir unterhalten. Und ich habe ihm natürlich nicht gesagt, dass ich eigentlich schon mehr Journalist als Fußballer bin.“
Leiter des Sportressorts war der legendäre Heribert Meisel, der sich selbst vergeblich um ein Pelé-Interview bemüht hatte und die Geschichte erst glaubte, als ein Foto von dem Heurigen-Treffen auftauchte. Die Story kam auf die Titelseite, und bald darauf, ab 1. 1. 1967, war Winheim fest angestellter KURIER-Redakteur. Er ist es – einigen Abwerbeversuchen zum Trotz – bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 geblieben.
Seine Kolumne („Tagebuch“) hat er auch danach einfach immer weiter geschrieben, sie erscheint bis heute jeden Sonntag. Winheim ist damit der dienstälteste Autor des KURIER. „Ich schreibe die Kolumne eigentlich nur noch, damit das Hirn ein bissl was arbeitet“, sagt er. Das Honorar sei jedenfalls kein Argument. „Ich hab mir ausgerechnet, dass ich für die vierzeiligen Wiener-Liga-Berichte damals als 16-Jähriger in Relation mehr bekommen habe als heute für eine Kolumne.“
Als die Leichtathletin (und spätere Innenministerin) Liese Prokop 1969 in der Südstadt einen Weltrekord im Fünfkampf aufstellte, war Winheim nicht nur als Berichterstatter dabei. „Der Gunnar Prokop, ihr Mann und Trainer, hat mir einen Besen in die Hand gedrückt“, erzählt er. „Ich hab vor dem Weitsprung die Anlaufbahn freigekehrt – und später habe ich dann darüber geschrieben. Absurd, aus heutiger Sicht.“
Nah am Mann
Überhaupt waren die Journalisten früher näher dran an den Sportlerinnen und Sportlern – manchmal auch zu nahe, wie Winheim selbstkritisch anmerkt. „Im Skiweltcup kämpfst du zusammen gegen Eis und Schnee. Einmal hilft der Skifahrer dem Journalisten, wenn der mit dem Auto auf einer Passstraße hängen geblieben ist, einmal ist es umgekehrt. Die Gefahr ist natürlich, dass man sich zu sehr verhabert.“
Den Fußballer und Trainer Josef Hickersberger und den Abfahrtsläufer Uli Spieß bezeichnet Winheim heute als Freunde. Die beiden gehören auch zu den wenigen Sportlern, die ihre KURIER-Kolumnen tatsächlich selbst geschrieben haben. (Normalerweise entstehen diese Texte im Gespräch mit den Sportlern und werden vom Redakteur ausformuliert.)
Auch mit dem Skiweltmeister Harti Weirather ist Winheim befreundet. „Mit dem bin ich einmal vor dem entscheidenden letzten Abfahrtsrennen in Aspen Abendessen gegangen – das wäre heute undenkbar. Er hat den Weltcup dann übrigens trotzdem gewonnen.“
Damals hatte noch nicht jeder Sportler seinen eigenen Pressebetreuer, es gab keine Message Control, und Reporter sahen Dinge, die heute tunlichst vor ihnen verborgen bleiben. Nach dem legendären 3:2 gegen Deutschland 1978 in Córdoba etwa war Wolfgang Winheim in der Kabine und sah Herbert Prohaska weinen. „Aber nicht aus Freude, sondern weil Tormann Friedl Koncilia ihn gerade niedergebrüllt hatte. Er fand, dass der Schneckerl vor dem 2:2 der Deutschen nicht hoch genug gesprungen ist. Der Kurt Jara wiederum ist in einer Ecke gesessen und hat mit Teamchef Senekowitsch nichts geredet, weil er nicht aufgestellt war. Das kriegst du dort alles mit! Heute kommst du nicht einmal mehr in die Nähe der Kabine.“
Lange Leitung
Auch die technischen Entwicklungsschritte, die Winheim im Lauf seiner Karriere mitgemacht hat, waren enorm. Die längste Zeit mussten Texte telefonisch durchgegeben werden – was nicht selten daran scheiterte, dass keine Verbindung zustande kam. „Ich bin oft stundenlang vor dem Telefon gesessen und hab gewartet.“
Das erste Handy hatten die KURIER-Sportreporter 1988 bei den Olympischen Winterspielen in Calgary dabei („Die Kollegen von der Kronen Zeitung haben geglaubt, das ist ein Schmäh“). Bei den Sommerspielen in Seoul waren sie dann erstmals mit Laptops ausgestattet. Viel praktischer als ein Festnetztelefon waren die auch nicht immer. Bei der Ski-WM in Vail 1999 war Winheim einmal Zeuge, wie ein von seinem fehleranfälligen Gerät entnervter Kollege so lange auf seinem Laptop herumtrampelte, bis dieser endlich ganz kaputt war.
Wolfgang Winheims Hauptgebiete waren und sind Fußball und Skifahren. Beim Fußball, sagt er, kennt er sich besser aus, dafür sind Skifahrer seiner Erfahrung nach angenehmer im Umgang. Das liegt vielleicht auch daran, dass Fußballer härter kritisiert werden.
„Fußball ist wahrscheinlich die meistunterschätzte Sportart überhaupt“, sagt Winheim. „Beim Skifahren ist das anders: Wenn man auf der Streif steht, erstarrt man in Ehrfurcht. Beim Fußball glaubt jeder, das kann er selber auch.“
Der erste Text
Der erste veröffentlichte Winheim-Text war ein Leserbrief an den Sportfunk, in dem der neunjährige Vienna-Anhänger sich darüber beklagte, dass nur über Rapid berichtet wird, obwohl die Vienna damals Meister war. Wenn er heute mitkriegt, dass auf kurier.at immer die Rapid-Geschichten die meisten Klicks haben, erinnert ihn das an damals.
In der Volksschule wollte Wolfgang Winheim noch Fußballer werden. „Mit zwölf war’s dann schon Journalist.“