Chronik: Was von 366 Tagen in Erinnerung bleibt
Spielfeld wurde im April aus einem bestimmten Grund zum "Ortsnamen des Jahres" gewählt: Es stehe als "Synonym für das Dilemma Österreichs und Europas, einen Mittelweg zwischen Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen und praktischen Erfordernissen zu finden", begründetet die Arbeitsgemeinschaft für Kartografische Ortsnamenkunde ihre Wahl.
An Spielfeld wird seit 20. Jänner mit einem in Österreich erstmals geläufigen Wort und damit ein umstrittenes Projekt: "Grenzmanagement". An dem Tag wurde die institutionalisierte Registrierung von Flüchtlingen im südsteirischen Grenzort hochgefahren, der eigentlich "Straß in Steiermark" heißt. Spielfeld selbst ist nur noch Katastralgemeinde.
Leer seit 6. März
Aber dort reiht sich Container an Container unter Großraumzelten am Grenzübergang der Bundesstraße. Bis Ende Februar, Anfang März wurden sie gebraucht. Doch dann wurde die Balkanroute geschlossen: Seit 6. März kam kein hilfesuchender Mensch mehr in Spielfeld an. Das "Grenzmanagement" blieb stehen, vollkommen leer. Nur noch Journalisten besuchen es hin und wieder.
Szenenwechsel. Anderes Bundesland, anderer Ort, gleiches System. Am 22. Juli wurde das "Grenzmanagement" am Brenner in Tirol fertig gestellt ein 370 Meter langer Zaun inklusive. Auch den kennt man schon aus Spielfeld, allerdings ist er dort zehn Mal so lang. Am Brenner soll der Zaun, der nur im Bedarfsfall eingehängt wird, "leiten und lenken", versicherte die Polizei. In der Steiermark steht er fix, wenn auch mit einer Lücke von acht Metern: Ein Grundbesitzer weigerte sich standhaft, sein Land dafür herzugeben.
Front gegen Zaun
In anderen Bundesländern sind Grenzzäune ebenfalls nicht gerne gesehen. Im Kärntner Bezirk Völkermarkt war einer geplant, doch private Grundbesitzer wie auch eine überparteiliche Initiative liefen seit August dagegen Sturm. In Thörl-Maglern wurde im Juni mit dem Aufbau eines weiteren "Grenzmanagements" begonnen, auch hier war ein Grenzzaun vorgesehen. Im Burgenland verbat sich unterdessen Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics einen Zaun auf Kirchengrund: Über zwei Immobilien, die der Diözese gehören, soll ein Grenzzaun führen hier gleich 30 Kilometer lang.
Die Flüchtlingsbewegung und Schleppertätigkeit verlagerten sich letztlich ab September auf die Route von Italien über Tirol nach Deutschland. Italienische Carabinieri und österreichische Polizisten kontrollieren seither gemeinsam Reisezüge. Seit November wird auch im Grenzraum Brenner verstärkt kontrolliert.
In diesen Zeitraum fiel aber auch eine markante Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH): In einem Erkenntnis hielt er die Rückweisungen nach Kroatien gemäß des Dublin-III-Abkommens für nicht zulässig. Das hat mit der Balkanroute zu tun: Eine Zeit lang wurden Flüchtlinge quasi staatlich organisiert von Serbien über Kroatien und Slowenien bis an die österreichische Grenze durchgewunken.
Rückweisungen
Slowenien brachte das vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH), um zu klären, ob diese Menschen illegal eingereist seien oder nicht. Nur bei illegaler Einreise gilt das Dublin-III-Abkommen: Der Staat, in dem die EU betreten wird, muss das Asylverfahren durchführen. Bis zur EuGH-Entscheidung sollte nicht zurückgewiesen werden, empfahlen die Verwaltungsrichter. Doch Hilfsvereine kritisieren, dass das Innenministerium trotzdem weiter mache: Hunderte gut integrierte Flüchtlinge müssten deshalb zittern.
Apropos Abschiebungen. Das eigens dafür errichtete Anhaltezentrum in Vordernberg machte auch heuer wieder Schlagzeilen weil es kaum belegt, dafür aber sehr teuer ist. Erst Anfang Dezember rügte der Rechnungshof, dass es elf Millionen Euro pro Jahr koste. Zudem seien die 193 Plätze nur zu maximal 18 Prozent ausgelastet.
Flieger, grüß mir die Sonne! Als die Nachricht von Hannes Archs Tod bekannt wurde, gingen die Trauerbekundungen in sozialen Medien ins Tausendfache: In der Nacht auf 9. September starb der Air-Race-Pilot bei einem Hubschrauberabsturz im Kärntner Großglockner-Gebiet. Wenige Tage später wäre Arch 49 Jahre alt geworden.
Die Fans und seine Heimatgemeinde Trofaiach in der Obersteiermark waren fassungslos. Arch, der Kunstflug-Pilot, der mit dem Helikopter gegen einen Berg fliegt? Undenkbar für viele. In den Ermittlungen stellte sich dann jedoch heraus: Der Steirer hätte in dieser Nacht nicht fliegen dürfen. In der Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern gilt nach 16 Uhr Flugverbot doch Arch startete erst gegen 21 Uhr von der Elberfelder Hütte auf rund 2300 Meter Seehöhe. Dorthin hatte er zuvor Lebensmittel gebracht.
Sein Helikopter zerschellte nur Minuten nach dem Start an einem Felsen. Die Staatsanwaltschaft (STA) stellte fest, dass ein technisches Gebrechen auszuschließen sei und vielmehr menschliches Versagen vorliege. Arch hatte die Wand schlichtweg zu spät gesehen, weil er keine Nachtausrüstung installiert hatte: Diese Spezialscheinwerfer seien jedoch bei Dunkelheit und in unwegsamem Gelände vorgeschrieben, betont die STA. Für Arch kam jede Hilfe zu spät, sein Begleiter überlebte das Unglück schwer verletzt. Der 62-jährige Hüttenwart aus Deutschland wollte mit Arch nach Salzburg fliegen.
Archs Leben, das er durch seinen Sport am Limit geführt hatte, endete somit auf tragische Weise. Er galt als einer der besten Kunstflugpiloten überhaupt: 2007 startete er erstmals beim Red Bull Air Race, 2008 wurde er Weltmeister. Arch war Paragleiter, Bergsteiger und Basejumper.
"Ist er verrückt oder nur schlecht?"
Einer der drei Psychiater, die Gutachten über Alen R. erstellt hatten, stellte irgendwann in diesem Verfahren die alles entscheidende Frage derart simpel: War der 27-Jährige zurechnungsfähig, als er am 20. Juni 2015 mit seinem Wagen durch die Grazer Innenstadt raste und drei Menschen tötete? Oder war er es nicht?
Bevor der Prozess am Straflandesgericht am 20. September überhaupt begann, gab es eine gewichtige Vorentscheidung: Weil zwei von drei Psychiatern auf paranoide Schizophrenie befanden, brachte die Staatsanwaltschaft Graz keine Mordanklage ein. Sie beantragte bloß die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.
Der Prozess gegen den Amokfahrer war neben den sieben Strafverfahren gegen mutmaßliche Dschihadisten der am meisten beachtete am Grazer Straflandesgericht in diesem Jahr . Und im Hinblick auf die Tat vielleicht auch der wichtigste: Im Vorjahr trauerte das offizielle Graz eine Woche lang, ehe die Stadt, ihre Repräsentanten und Bewohner wieder zur Normalität zurückkehrten. "Der 20. Juni war für viele Menschen eine Zäsur", beschrieb Staatsanwalt Rudolf Fauler.
Regungslos in Weiß
Alen R. saß jeden Tag im selben zu großen, weißen Anzug im Gerichtssaal. Jeden Tag regungslos oder, wie sich Psychologin Anita Raiger ausdrückte: "Er kann den Opfern keine Empathie entgegenbringen. Er hat eine emotionale Störung und eine hohe Lügen-Bereitschaft." Immer wieder fragte Richter Andreas Rom: "Warum? Warum fährt man auf Menschen zu?" Den Verdacht auf 108-fachen Mordversuch hat die Staatsanwaltschaft ebenfalls in ihren Antrag auf Einweisung aufgenommen.
Richter Rom merkte schon am ersten Prozesstag an: Er vermisse Reue bei R., der als unzurechnungsfähig galt und deshalb "Betroffener" bezeichnet wurde und nicht "Angeklagter".
Nach acht Prozesstagen zeichnete sich ein Bild des "Betroffenen": Beruflich nicht erfolgreich, die Ehefrau wollte weg von ihm. "Der Amoklauf war für ihn der letzte Versuch, Macht und Männlichkeit zu demonstrieren", kommentierte Psychiater Manfred Walzl. Er war jener Gutachter, der R. von Beginn an für zurechnungsfähig erklärt hatte, im Gegensatz zu seinen Kollegen Jürgen Müller und Peter Hofmann.
Wie im Computerspiel
Am 30. September, dem letzten Prozesstag, brachte Psychologin Raiger einen Vergleich, der zuvor nie bedacht worden ist. "Das gibt es ein Spiel, das Egoshooter-Elemente mit Rennspielen verbindet", beschrieb die Sachverständige das Geschehene wie ein Computerspiel. "Da fährt man mit einem Auto durch die Stadt und fährt Passanten nieder."
Die Geschworenen waren sich binnen kurzer Zeit einig. Sie hielten R. für zurechnungsfähig und gingen damit von der Vorgabe der Staatsanwaltschaft ab: Lebenslange Haft plus Einweisung in eine Anstalt (nicht rechtskräftig). "Das Urteil war ein emotionaler Abschluss", betonte danach jener Anwalt, der 50 Opfer der Fahrt vertrat.