Vergessene Naturmaterialien: Comeback von Linoleum & Terrazzo
Ein angenehmes Trittgefühl gepaart mit Strapazierfähigkeit – immer fußwarm, antibakteriell und noch dazu ausschließlich aus Naturprodukten hergestellt. Was wie eine Innovation am Fußboden-Markt klingt, ist eigentlich ein alter Hut: Linoleum. Bis in die Fünfzigerjahre gehörte der Belag aus Leinöl, Korkmehl, Kalkstein und Naturharzen, die auf Jute gebunden werden, zum Standard in österreichischen Eigenheimen. Viel Spielraum in der Farbauswahl gab es nicht, stattdessen einen Einheitslook in bieder marmoriertem Braun.
Linoleum wurde vergessen
Dann aber traten die damals neu entwickelten Kunststoffböden ihren Siegeszug an. Sie waren bunter, billiger und genauso praktisch.
Jetzt – in einer Zeit, in der das Wort Nachhaltigkeit verkaufsfördernd wirkt – taucht Linoleum langsam wieder aus der Versenkung auf. Der einst typische Braunton wurde längst von unendlichen Farbvariationen abgelöst. Um etwa 40 Euro pro Quadratmeter ist der natürliche Bodenbelag zwar noch immer etwas teurer als die günstigsten Plastikböden wie Laminat und Vinyl, dafür gibt es aber reine Natur unter den Füßen und ein gutes Gewissen in Sachen Umweltschutz.
Küchen aus Linoleum
Dass das Material auch anderweitig als am Fußboden zum Einsatz kommen kann, stellt die dänische Firma Reform unter Beweis. Sie entwirft Fronten für Ikea-Küchen und bietet mit der Linie „Basis“ eine mit Linoleum beschichtete Küche an.
„Wir wollten ein einzigartiges Material, das zum skandinavischen Küchendesign der Sechzigerjahre passt.“ Die Chef-Designer Jeppe Christensen und Michael Andersen prophezeien, dass Linoleum in der Möbel-Industrie noch viel gefragter werden wird. „Bei uns feiert es ein Comeback. Aber in Amerika entdecken die Kunden das Material erst jetzt neu.“
Doch das Naturmaterial hat auch einen kleinen Nachteil, gibt Thomas Neuber, Geschäftsführer des renommierten Wiener Innenarchitekten-Konglomerats destilat, zu bedenken. Er muss es wissen, denn sein Design-Büro hat bereits selbst einen Esstisch aus Linoleum entworfen: „Man sollte sich bewusst sein, dass Linoleum im Laufe der Jahre eine Patina bekommt. Es ist eben sehr weich, hat aber eine tolle Haptik und ist ästhetisch reizvoll.“
Terrazzo im Trend
Anspruchsloser ist der zweite Bodenbelag, der wieder verstärkt nachgefragt wird: Terrazzo aus geschliffenem Beton mit Kalk- und Granit-Splittern.
Was noch vor Kurzem in den Stiegenhäusern alter Wohnhausanlagen um die Jahrhundertwende wenig Beachtung fand, ist nicht zuletzt durch Max Lamb wieder hip geworden. 2014 hat der britische Designer auf der Mailänder Möbelmesse seine Version eines Terrazzo präsentiert.
Seither sind alle verrückt nach dem „Marmoreal“, wie er den Entwurf aus riesigen Marmor-Splittern bezeichnet.Das französische Modelabel Maison Kitsuné war derart begeistert, dass es seinen gesamten Pariser Shop mit Lambs Terrazzo zupflastern ließ.
Kleiderkollektion mit Marmoreal-Muster
Ein regelrechter Hype um den geschliffenen Steinboden war schließlich durch eine dazu passende Kleiderkollektion geboren. Oder besser gesagt wiedergeboren. Denn nachdem schon römische Kaiser der Antike auf Terrazzo spazierten, erlebte der Belag in der italienischen Renaissance ein erstes Revival – geschuldet der profanen Tatsache, Marmor einsparen zu wollen.
„Heute gibt es ihn in unzähligen Varianten, auch das macht seine neue Popularität aus. Außerdem ist er ideal für den öffentlichen Bereich und Shops, weil er eine gute Abriebsbeständigkeit hat“, so der Interior-Experte von destilat über den inflationären Gebrauch von Terrazzo.
Zudem empfiehlt er heimisches Holz und Feinstein (aus Tonerde, Feldspat und Sand). Laminat und dergleichen sind für ihn ein absolutes No-Go. „Dieser Boden ist tot. Auf echtem Holz zu gehen, das nur geölt wurde, fühlt sich dagegen wie Ferien an.“
Wohnen wird wichtiger
Thomas Neuber beobachtet, dass das Zuhause einen immer größeren Stellenwert in unserer Gesellschaft einnimmt. „Durch die globale Thematik der Nachhaltigkeit wird auch beim Wohnen eine Trendwende eingeläutet. Leute denken bewusster nach, mit welchen Materialien sie sich umgeben und achten mehr auf Qualität.“
Außerdem wolle man sich als Gegenpol zur nicht greifbaren Digital-Welt etwas echte Natur nach Hause holen. Mit Holz, Linoleum und Terrazzo gelingt das zumindest ein Stück weit.