Unnötige Normenflut oder sinnvolles Regelwerk?
Von Ursula Horvath
Eine oft sperrige Angelegenheit, diese Normen. Das zeigt in vielen Fällen schon der Name. Da gibt es zum Beispiel die "ÖNORM B 3417 – Sicherheitsausstattung und Klassifizierung von Dachflächen für Nutzung, Wartung und Instandhaltung". Sie gehört zu jenen neueren Regeln, von denen Planer und Bauträger nicht gerade begeistert sind. "Damit niemand zu Schaden kommt, der oben arbeitet – etwa der Gärtner, der sich um die Dachbegrünung kümmert oder der Techniker, der die Lüftungsanlage wartet – ist rund um die Dächer ein Geländer vorzusehen. Früher genügten Anschlagpunkte, an denen man sich sichern konnte", sagt Baumeister Wilhelm Zechner, Vorstand der Sozialbau AG und im Unternehmen zuständig für den technischen Bereich.
Ablinger fordert daher wie viele seiner Kollegen mehr Fachkompetenz im Entstehungsprozess der Normen: "Wenn ein Ausschuss eine Norm festlegt, muss er sich überlegen, welche ästhetischen Folgen die Umsetzung hat, welche Kosten sie verursacht und welche Wahrscheinlichkeiten für einen Unfall es tatsächlich gibt."
Derzeit ist ein privater Verein, das Austrian Standards Institute, für die Organisation der Normung zuständig. Das Institut finanziert sich durch den Verkauf der Inhalte und den Teilnahmebeitrag am Normungsprozess. Gemacht werden die Regeln nicht vom Verein selbst, sondern von Komitees, in denen theoretisch jeder mitarbeiten kann.
Kritik von Planern
Architekten und Projektentwickler kritisieren, dass es zu viele Vorschriften gibt und zu viele neue produziert werden, dass der Normungsprozess nicht transparent genug ist und die Gremien nicht ausgewogen besetzt werden. "Hinter jeder Entwicklung stehen wirtschaftliche Interessen. Wenn eine neue Norm eine dickere Dämmstärke vorschreibt, hat die Dämmstoffindustrie natürlich ihre Freude", sagt Karl Wurm, Obmann des Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV). Klaus Wolfinger bringt ein anderes Beispiel: "Die ÖNORM B 5305 besagt, dass Fenster ein Mal pro Jahr durch einen Fachmann zu warten sind. Das ist im Alltag aber völlig absurd. Ein herkömmliches Fenster muss doch mindestens fünf Jahre ohne Wartung funktionieren. Da muss bei der Entstehung der Norm ein Interesse eingeflossen sein."
23.500 Normen
Auch der ÖVI ist kritisch. "So positiv jede technische Weiterentwicklung ist – nicht jede Innovation muss sofort zum Standard erhoben werden", sagt Bauträgersprecher Klaus Wolfinger. Wenn wir leistbaren Wohnraum brauchen, sollte man sich überlegen, ob wirklich immer alles auf dem technisch neuesten Stand sein muss. Das ist auch bei der Barrierefreiheit ein Thema. Natürlich muss es barrierefreie Wohnungen geben, aber die Allgemeinheit zahlt einen hohen Preis, wenn es jede Einzelne sein muss." Viele Bauträger meinen, ein Anteil von 20 bis 30 Prozent pro Anlage würde reichen.
OIB-Richtlinien
Haftungsfragen
Doch warum die Aufregung, wenn Normen im Gegensatz zur Bauordnung lediglich Empfehlungen sind? Hier geht es vor allem um Fragen der Haftung. "Wenn etwas passiert und sich die Betroffenen nicht einigen können, geht der Fall zu Gericht. Dann werden oft die Normen zur Beurteilung herangezogen. Die meisten trauen sich daher nicht, davon abzuweichen", sagt Wolfinger. Gleichzeitig verlieren viele den Überblick im Normen-Dschungel. Eine Umfrage von LeonardoWelt, einer Plattform für die Interessen der Architekten und Ingenieure, hat gezeigt, dass 27 Prozent der Befragten in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland die ÖNORM B 3417 zur Sicherheitsausstattung von Dachflächen gar nicht kennen.
Gesetzesentwurf
Ein neues Gesetz soll die Flut an Regeln eindämmen. Im Juni legte das Wirtschaftsministerium einen Entwurf vor. Die Mitarbeit in Komitees soll kostenlos sein, bestimmte Normeninhalte sollen gratis zur Verfügung stehen. Bund und Länder wollen Vertreter ins Leitungsgremium des Normungsinstituts entsenden. Während Architektenkammer und Bauwirtschaft dem Vorschlag durchaus Positives abgewinnen können, lehnt Austrian Standards den Entwurf ab. Am 1. 1. 2016 soll die Novellierung des Normengesetzes in Kraft treten. Ob sich das angesichts der zahlreichen und teils sehr kritischen Stellungnahmen ausgehen wird, bleibt abzuwarten.
Jeder, der meint, dass ein neues Regelwerk erstellt oder eine bestehende Norm aktualisiert werden muss, kann einen Projektantrag beim Austrian Standards Institute (früher: Normungsinstitut) einbringen. Ein Komitee – in dem sowohl Privatpersonen als auch Vertreter von Organisationen, Behörden und Unternehmen mitreden können – überprüft, ob überhaupt Bedarf besteht. Wenn ja, wird ein Projektantrag auf der Webseite von Austrian Standards veröffentlicht und jeder kann vier Wochen lang dazu Stellung nehmen. Erst dann wird entschieden, ob das Thema bearbeitet wird. Ist dem so, diskutiert der zuständige Ausschuss den Norm-Vorschlag. Nach einem einstimmigen Beschluss wird der Vorschlag veröffentlicht und kann sechs Wochen lang kommentiert werden. Die Stellungnahmen werden vom Komitee geprüft und gegebenenfalls eingearbeitet. Erst dann wird das Regelwerk publiziert.
Nicht Austrian Standards macht also die Normen, sondern die Mitwirkenden in den Komitees. Der Verein selbst sieht sich als Infrastrukturplattform. Grundsätzlich kann jeder in einem Komitee mitarbeiten. Aufwandsentschädigung gibt es keine, im Gegenteil: Man muss dafür einen Teilnahmebeitrag von 450 Euro zahlen.
www.austrian-standards.at