Mein Vater, der Fabriksarbeiter
Von Ankica Nikolić
Haben Sie als Kind realisiert, dass Ihr Vater ein großer Gestalter und berühmt ist?
Nicht so richtig, aber im Vergleich zu anderen Kindern und Familien habe ich schon bemerkt, dass wir irgendwie anders sind. Ich konnte es natürlich überhaupt nicht zuordnen. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, kann ich mich noch an eine Situation erinnern. Kinder aus meiner Klasse riefen mir zu: "Dein Vater ist der, der diese Baracken baut" und ich habe mich schrecklich gefühlt, weil ich dachte, mein Gott, er macht wirklich nur hässliche Häuser. Ich wollte nicht darüber sprechen und natürlich habe ich damals noch nicht verstanden, woran er da arbeitet.
Gerade mit diesen Konstruktionen hat er Pionierarbeit geleistet und damals versucht, armen Menschen leistbares Wohnen zu ermöglichen.
Genau, er wollte mit seinen Ideen ganze Viertel errichten lassen. Im Jahr 1966 etwa wollte er für die französische Regierung einen Stadtteil bauen lassen. Sein Plan wurde, aus heutiger Sicht, aus ziemlich banalen Gründen abgelehnt. Einer davon war, dass er in der Toilette einen Luftabzug eingeplant hat. Damals war das noch nicht üblich, also hat man sich dagegen entschieden. Seine Innovationen gingen zum Teil verloren, weil die Leute noch nicht bereit dafür waren. Blickt man heute zurück, war er mit vielem seiner Zeit voraus.
Ab wann haben Sie es letztlich gemerkt bzw. ist es Ihnen tatsächlich bewusst geworden?
Einen speziellen Moment hat es nicht gegeben, das Bewusstsein hat sich mit der Zeit entwickelt, ohne dass ich viel nachgefragt habe. Immer und überall hat er Skizzen gemacht, selten hat man ihn ohne Block und Bleistift gesehen. Faszinierend ist auch die Tatsache, dass er nie komplette Zeichnungen angefertigt hat. Es gibt wenige Bilder, auf denen ein ganzes Gebäude zu sehen ist. Er hat sich meist auf technische Details spezialisiert und diese dann Stück für Stück zu einem großen Ganzen zusammengefügt. Interessant ist auch, dass er häufig mit lauter Musik gearbeitet hat und immer, wenn unsere Mutter leiser schalten wollte, hat er, sobald sie das Zimmer verlassen hat, wieder lauter gedreht. Er kam aus einer Musikerfamilie und ich denke, es war eine Art kreativer Motor für ihn. Sebastian Bach liebte er.
Haben Sie jemals mit dem Gedanken gespielt, Designer zu werden?
Niemals und ich glaube das ist auch der Grund dafür, warum ich mich um seinen Nachlass objektiv kümmern kann. Mein elf Jahre älterer Bruder hingegen wollte immer Architekt wie mein Vater oder Maler wie unser Großvater werden. Meiner Meinung nach hat er sich damit selbst eine sehr schwere Bürde auferlegt. Denn man steht unweigerlich immer im direkten Vergleich und darauf muss man vorbereitet sein. Einmal bat ich meinen Bruder bei einer Zeichnung um Hilfe und mein Vater meinte damals zu mir: "Denkst du, dass Vincent van Gogh seinen Bruder gefragt hat, ob er ihm helfen kann?" Das war dann der Moment, wo ich begriffen habe, dass ich keine Gestalterin, Künstlerin oder Kreative bin.
Würden Sie sagen, dass Ihr Vater mehr Designer oder Architekt war?
Weder noch, da er sich selbst nie so beschrieben hätte. Er betonte immer, er sei ein Fabriksarbeiter, ein Handwerker, jemand, der Werkzeuge und Maschinen entwickelte, um Produktionsprozesse effizienter zu gestalten. Die Industrialisierung war damals mit Sicherheit bei vielen seiner Werke das erklärte Ziel. Im Sinne des Art nouveau war er immer darauf bedacht, eine Verbindung zwischen Kunst und Industrie herzustellen. Letzteres sollte vor allem dafür sorgen, Produkte zu moderaten Preisen leistbar zu machen.
Sie betreuen seinen Nachlass und haben somit einen umfassenden Überblick über seine Werke. Was hat ihn am meisten beeinflusst?
Einen Bereich explizit hervorzuheben, wäre schwer und würde seiner Vielseitigkeit nicht gerecht werden. Ich denke, dass ihn Architektur und Design gleichermaßen mit Leidenschaft erfüllt hat. Die Entwicklung eines technischen Details für einen Stuhl hatte für ihn dieselbe Faszination wie der Tragwerkbau für ein Haus, er hat da keinen Unterschied gemacht. In meiner Funktion als Kuratorin des Nachlasses war es mir zudem wichtig, einen verlässlichen Partner für seine Einrichtung zu finden. Ein Unternehmen, das seiner Arbeit Wertschätzung entgegen bringt. Mit Vitra haben wir hier echtes Glück.
Jean Prouvé war auch bekannt dafür, dass er mit vielen seiner Prototypen gelebt hat. Stimmt das?
Manchmal hat er in der Früh in seinem Atelier eine Idee skizziert und schon am Abend wurde der erste Entwurf 1:1 nachgebaut. Das Gerücht, dass die Familie damit lebte, stimmt. Für uns war das normal.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Welt der Architektur und des Designs entwickelt?
Zum Teil geht es in eine falsche Richtung und manchmal habe ich das Gefühl, dass einige Baukünstler mit einem Projekt lediglich viel Geld machen möchten. Die Bedürfnisse und die Lebenssituationen der Menschen scheinen dabei nur noch eine untergeordnete oder gar keine Rolle zu spielen. Doch eigentlich sollte das ihre Hauptaufgabe sein. Es herrscht eine Art Ignoranz, die erschreckend ist und mich nachdenklich stimmt.