Die moderne Küche unterliegt der Vision einer revolutionären Frau.
Sie ist die Agora des Eigenheims und jener Ort, an dem der Puls der Familie am schnellsten schlägt – die Küche. Kein Raum wird täglich mehr beansprucht und vereint dabei eine Vielzahl von Aktivitäten sowie Menschen auf nur wenigen Quadratmetern.
Für viele Hausfrauen ist es das strategische Hauptquartier der eigenen vier Wände und muss auf Abruf problemlos funktionieren. Pfannen, Gewürze, Backofen, Herd und viele andere Kochelemente müssen möglichst griffbereit in unmittelbarer Nähe verfügbar sein. Doch das Design der Küche hat sich nicht zufällig über die Jahrzehnte entwickelt – es ist das Produkt einer feministischen Revolution in der Architektur.
Die Geschichte einer Frau
Die gebürtige Wienerin Margarete Schütte-Lihotzky war ihrer Zeit stets voraus. 1897 kam sie in einer gut behüteten, bürgerlichen Familie auf die Welt. Dank der engen Freundschaft ihrer Mutter mit Gustav Klimt erhielt Grete im frühen Erwachsenenalter ein Empfehlungsschreiben für die k.k. Kunstgewerbeschule (heute: Universität für angewandte Kunst Wien) und wurde somit die erste weibliche Teilnehmerin. Während ihrer Studienzeit entwickelte sie eine brennende Leidenschaft für Architektur und begann daher ein Studium unter der Leitung Oskar Strnads, einer der renommiertesten österreichischen Architekten seiner Zeit.
Strnad war ein Vorreiter des sozialen Wohnungsbaus und lehrte in seinem Unterricht die Funktionalität in Wohnhäusern. Angespornt durch Strnads Ideen graduierte Lihotzky 1932 als erste Österreicherin ein Architekturstudium und entwarf im Anschluss gemeinsam mit ihrem Mentor Adolf Loos die ersten Wohnhäuser für Invaliden und Veteranen des Ersten Weltkriegs in Wien. Durch Loos wurde der deutsche Architekt Ernst May auf sie aufmerksam und beauftragte sie, im Namen eines Sozialbauprojektes der Stadt Frankfurt die Frankfurter Küche zu entwerfen. Es war das erste architektonische Projekt seiner Art, das sich rein der Funktionalität der Küche widmete. Lihotzkys Entwurf stellte den ersten Prototyp der modernen Einbauküche dar und ist bis heute in Verwendung.
Sie war nur sechseinhalb Quadratmeter groß und unterlag einer Raumökonomie, die sich rein nach Funktionalität richtete. Einrichtung, Möbel und sogar Kochutensilien der Frankfurter Küche unterlagen dem Konzept der Rationalisierung von Hauswirtschaft und wurde bis 1930 in rund 10.000 Wohnungen der Frankfurter Sozialsiedlungen eingebaut. Während ihrer Produktion wurden einzelne Arbeitsschritte in der Küche mit der Stoppuhr gemessen, um zu analysieren, wie viel Zeitersparnis und Optimierung der neue Raumentwurf tatsächlich mit sich brachte. Es war Lihotzkys Idee, die Küche nach ergonomischen und praktischen Kriterien zu gestalten, um sie anschließend in industrielle Massenfertigung zu geben. Für Lihotzky sollte jede Frau die Möglichkeit haben, weniger Zeit in der Küche und mehr Zeit mit der Familie verbringen können. Die Frankfurter Küche galt daher als Vorbild der schwedischen Küche, welche seit den Fünfzigerjahren weltweit Einzug in vielen Haushalten hielt und bis heute in großen Möbelhäusern zu kaufen ist.
Auch neben der Architektur lebte Lihotzky ein langes und bewegtes Leben. 1940 wurde sie als Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus in Wien verhaftet und entging nur knapp der Todesstrafe. Nach dem 2. Weltkrieg lebte sie kurzzeitig in Bulgarien, kehrte aber wieder nach Wien zurück. Erst gegen Ende der 70er-Jahre wurden ihre Leistungen ausgezeichnet, unter anderem mit einem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. Sie starb am 18. Jänner 2000, nur fünf Tage vor ihrem 103. Geburtstag in Wien.