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Kristallwelten reloaded

Wunderkammern stammen eigentlich aus dem 16. Jahrhundert. In der Renaissance entwickelten sie sich zu umfangreichen Schatzkammern, in denen kostbare Handwerksarbeiten, Gemälde, Kuriositäten und Raritäten gesammelt wurden. Sie repräsentierten das Wissen der damaligen Zeit über die Welt. Eine der am besten erhaltenen befindet sich auf Schloss Ambras in Innsbruck. Das inhaltliche Konzept diente André Heller zur Inspiration für die Gestaltung der Kristallwelten im Jahr 1995. Und seitdem bildet sein Riese den Eingang in die Welt des Kristalls.

Die künstlerische Auseinandersetzung ist auch zwanzig Jahre später aktueller denn je. Vor wenigen Tagen wurden die Welten erneuert und mit neuen Kammern ergänzt. Entstanden sind außergewöhnliche und zum Teil auch sehr utopische Inszenierungen. Der rote Faden ist der Kristall, die Kunst in all ihren Facetten frei zu interpretieren und, dass sich das scheinbar oberflächliche Funkeln aufs Wesentliche konzentriert. IMMO war vor Ort und hat die Künstler zum Gespräch getroffen.

Cao Perrot

Andy Cao und Xavier Perrot, Kristallwolke

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Ihre Wolken-Installation fand ihren Ursprung vor sechs Jahren. Wie ist das Konzept dazu entstanden? Wir haben damals an einer Installation für einen botanischen Garten gearbeitet. Wir wollten eine schwimmende Wolke entwerfen. Als Basis dafür haben wir einen sehr feinen Maschendraht entwickelt, der sich leicht verbiegen lässt. Im nächsten Schritt wollten wir die zarte Wolkenkonstruktion mit Blumen bespielen, doch als wir damit begonnen haben, bemerkten wir, dass das eher kontraproduktiv ist und es nicht das richtige Material ist. Dann haben wir uns überlegt, was eine passende Alternative dazu sein könnte und so sind wir dann in weiterer Folge auf Kristalle gekommen. Wir fanden Gefallen daran, ein kostengünstiges Material wie Maschendraht, mit kostbaren Kristallen zu kombinieren.

Folglich wurden Sie auch von Swarovski engagiert, um den neuen Außenbereich zu gestalten. Genau. Aus dieser ersten Arbeit ist auch der Grundstein für die Installation hier entstanden. Als Landschaftskünstler ist man es gewohnt, den Boden zu bespielen, doch wir haben uns damals schon überlegt, wie es wäre, den Luftraum mitzugestalten. Mit diesem Auftrag haben wir diese Idee dann in einem größeren Rahmen umsetzen können.

Das Areal ist riesig, wie schwierig war es, in diesem Maßstab zu arbeiten? Das Wetter in Tirol hat es uns nicht gerade leicht gemacht. Wir haben bei jeglichen Bedingungen daran gearbeitet – also auch bei Schnee und Minusgraden – und wie man sich vorstellen kann, war das nicht immer einfach. Für die rund 1400 Quadratmeter große Fläche haben wir rund 300 Wolken gestaltet und per Hand mit rund 800.000 Kristallen bestückt. Gemeinsam mit einem 25-köpfigen Team, darunter auch Bergsteiger, haben wir rund drei Monate daran gearbeitet. Spannend war auch zu sehen, wie die Arbeiter mit dem Konstrukt umgehen, jeder hatte seinen eigenen Zugang, wie er die Wolke oder die Steine positioniert.

Sie haben drei verschiedene Kristallformen verwendet – wie wurden diese befestigt? Für die Konstruktion wurden spezielle Clips entwickelt, die witterungsbeständig sind und für guten Halt sorgen. Schwierig war es auch, die richtige Positionierung zu finden. Beim letzten Feintuning mussten sich die Bergsteiger vom Stahlgerüst abseilen, unseren Instruktionen folgen und etwaige Korrekturen durchführen.

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Die Komponente Wasser war Ihnen ebenfalls ein besonderes Anliegen, wieso? Die Kristalle haben ihre ganz eigene Dynamik, je nach Tageslicht oder Wetter funkeln sie in unterschiedlichen Farben. Das Wasser als Gestaltungselement ist essenziell. In dessen Oberfläche spiegelt sich die gesamte Landschaft wieder und die Wolken sorgen für einen spielerischen Charakter.

Was ist für Sie Schönheit und welche verbirgt sich in Ihrer Installation? Schönheit ist mehr oder weniger etwas rein Emotionales. Natur ist per se unperfekt und dennoch strahlt sie eine unfassbare Eleganz und Schönheit aus. Es gibt dafür keine Definition. Bei der Installation ist es zum einen jedes einzelne verwendete Element und zum anderen ist es die Ruhe. Es ist ein Ort der Stille, man muss sich dafür Zeit nehmen und dahinter verbirgt sich lediglich die ehrlichste Form der Kunst, die des Handwerks, die ganz ohne Hightech-Lösung auskommt.

HG Merz

Hans Günter Merz, Timeless

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Sie haben die Unternehmensgeschichte mit einem neuen narrativen Leitfaden versehen. Wie kam es dazu? Der Bereich „Timeless“ lehnt sich stark an die Ausstellung musealer Exponate an. Die Wertigkeit der Stücke wird damit zusätzlich hervorgehoben. Entstanden ist eine „zeitlose“ Dokumentation.

Es ist der letzte Raum der Kristallwelten, bevor man in den Verkaufsbereich gelangt. War Ihr Abschluss ein gewollt ruhiger? Ja, durchaus. Die Räume davor sind geballte Feuerwerke, etwas Kontemplatives war hier einfach notwendig. Die Thematik – die Unternehmensgeschichte, die man hier zusammenfassend vorstellt – verlangt eine gewisse Ruhe.

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Der neue Eingang stammt auch von Ihnen und Sie haben ihn vergoldet, wieso?Gold passt sich dem Kristall harmonischer als Silber an. Der Eingang ist eine Art Tunnel, der sich nach hinten hin öffnet. Beim Betreten verstärkt sich dadurch auch die Perspektive auf den ersten Raum.

Fredrikson Stallard

Patrik Fredrikson und Ian Stallard, Eden

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Sie haben eine äußerst mystische Wunderkammer realisiert. Was war Ihr Zugang?Aufgrund der umliegenden Landschaft haben wir uns mit der Archaik des Waldes auseinandergesetzt. Das Entree bildet ein Video, in welchem man einen echten Wasserfall aus dem Stubaital sieht. Der regionale Bezug war uns sehr wichtig.
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Und die Kristalle?Der Wald ist ihr Rahmen. Die Konstruktion besteht aus Messingstäben. Durch die Anordnung sind Baumkronen entstanden, in die wir 1,86 Meter hohe und 190 Kilogramm schwere Kristallskulpturen gesetzt haben. Diese wurden eigens für die Installation angefertigt. Entstanden ist ein synthetischer Wald, der trotzdem zur Realität Bezug nimmt. Für den Boden wurde ein flüssiger Belag entwickelt, der sich beim Betreten genau wie ein realer Waldboden anfühlt – nur dass dieser zusätzlich mit schwarzen Kristallen besetzt wurde.

Tord Boontje

Silent Light

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Sie haben einen sechs Meter hohen Baum inszeniert, der irgendwie auch trist wirkt. Damit haben Sie sich auch für das Unperfekte ausgesprochen oder? Ja, es war eine bewusste Entscheidung, einen „toten Baum“ als Gerüst zu nehmen. Den Grundentwurf habe ich mit Alexander McQueen für eine Ausstellung im Londoner Victoria & Albert Museum entwickelt. Das scheinbar Unperfekte hat durchaus Reize.

Die Sie in diesem Fall mit unzähligen Kristallen hervorgehoben haben? Unter anderem – das Gerüst wurde mit rund 150.000 Kristallen bestückt. Die Entscheidung, dieses in der Mitte zu positionieren und wie eine Ballerina in einer Spieluhr rotieren zu lassen passt sich dem Grundgedanken an, dass das vermeintlich Unperfekte, durchaus auch perfekt sein kann – es kommt auf die Interpretation an.

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Passend zum eisig-frostig wirkenden Baum haben Sie auch eine verspielte Winterlandschaft an den Wänden angebracht.Ein Baum allein wäre zu wenig gewesen. Die sechs Meter hohen Textilpaneele unterstützen den märchenhaften, träumerischen Charakter von einem durchaus auch abstrakten Winter Wonderland.

Snøhetta

Kjetil Trædal Thorsen und Patrick Lüth, Spielturm & Restaurant Daniels

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Die Gebäudehülle erinnert an einen Kristall. War das ein Bestandteil des Briefings?Die einzige Anforderung an uns war, einen Erlebnisraum für Kinder zu konzipieren. Als Architekten arbeiten wir mit Räumen und hier haben wir uns mit Dreidimensionalität beschäftigt. Entstanden ist eine neue Gebäudetypologie – ein vertikaler Spielturm. Inhaltlich geht es um das Exponieren von Mut. Kinder sollen sich mit dem Raum bewusst und ohne digitale Hilfsmittel auseinandersetzen. Die Hülle besteht aus 170 Elementen, die einem speziellen Kristallschliff nachempfunden ist. Dieser wurde mit einem Algorithmus per Zufall ermittelt – jedes Element ist individuell.
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Welchen Herausforderungen mussten Sie sich stellen?Wir hinterfragen jede Aufgabenstellung von vorne – das ist die eigentliche Herausforderung. Wir wissen nie im Vorhinein wie und in welche Richtung sich ein Projekt entwickeln wird. Unsere Qualität liegt darin, dass wir jeden Bereich (Landschaftsgestaltung, Architektur und Innendesign) von Anfang an berücksichtigen.

Von Ihnen stammt auch das neue Restaurant Daniels? Wir haben versucht, den Pavillon in die Landschaftsgestaltung zu integrieren. Die großflächigen Fensterfronten umrahmen den Außenraum. Farben und Materialien sind bewusst dezent, der Eingangsbereich ist mit Kupfer verkleidet. Das erzeugt spannende Kontraste zum Inneren. Die Raumgestaltung präsentiert sich zurückhaltend und ruhig, die organische Formensprache unterstützt diesen Gedanken.

Lee Bul

Into Lattice Sun

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Vor knapp einem Jahr haben Sie mit dem Konzept für Ihre Wunderkammer begonnen. Welche Idee haben Sie dabei verfolgt?Die Installation ist von moderner Architektur inspiriert. Sie zeigt urbane, durchaus metropolitische und vielleicht auch etwas utopische Landschaften. Umrisse ganzer Landschaftszüge oder auch Skylines von Städten – immer wieder mit dem Fokus auf die unterschiedlichen Perspektiven, die sich bieten. Es ist auch eine Art Hinweis darauf, wie klein der Mensch in der Unendlichkeit der Welt ist – unsere Vorstellungskraft reicht nicht aus, um die Größe der Welt und deren Städte tatsächlich zu erahnen.
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Warum haben Sie Spiegellandschaften als wesentliches Gestaltungselement verwendet?Spiegel haben die Faszination wechselnder Ansichten beziehungsweise sie sorgen dafür, dass die Sicht aus verschiedenen Punkten immer eine andere ist. Es ist ein durchaus poetischer Ansatz, die dargestellten Landschaften immer wieder neu zu entdecken. Das Empfinden von räumlicher Tiefe, Weite und teilweise auch Unendlichkeit wird in den Vordergrund gestellt und der Blick darauf geschärft.

Studio Job

Job Smeets und Nynke Tynagel, Wunderkammer

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Ihre Wunderkammer gleicht einer gestalterischen sowie inhaltlichen Explosion. Wie entstand die Idee dazu?Bei unserem ersten Innsbruck-Besuch haben wir Modelleisenbahnen für uns entdeckt. Es war also sofort klar, dass wir diese hier integrieren möchten. Der mit Kristall besetzte Berg ist eine Hommage an die umliegende Bergwelt. Der Zug führt an zahlreichen Sehenswürdigkeiten wie etwa dem Big Ben, der Freiheitsstatue, dem Pont Neuf oder dem Helikopter von Obama vorbei. Es geht um eine Weltreise – damit beziehen wir uns auch auf die Unternehmensgeschichte, die schließlich auch in die ganze Welt führt.

In den detailreichen Wandillustrationen habe ich auch einen bekannten Tiroler Liedtext gefunden. Ja, stimmt, es sind Strophen des Liedes „Innsbruck, ich muss dich lassen“ von Heinrich Isaac. Der Inhalt deckt sich mit dem unserer Installation und ist eine perfekte Ergänzung dazu. Gleichzeitig ist es auch ein wenig melancholisch, die Tatsache, dass man seine Heimat verlassen muss, um die Welt sehen zu können.

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Die runde Raumstruktur Ihrer Wunderkammer ist der des Schlosses Ambras nachempfunden, doch die Gestaltung ist das genaue Gegenteil. Geht es bei Ihrer Arbeit im Wesentlichen immer um das Spiel mit Kontrasten?Nicht unbedingt. Unsere Arbeit soll neue Ansätze zeigen, sie soll überraschen, zum Nachdenken anregen oder aber auch provozieren. Die angewandte Kunst als Ausgangspunkt ist für uns eine immerwährende Konstante. Die Wunderkammer ist eine Reminiszenz an die moderne, angewandte Kunst. Die unzähligen Facetten zeigen auf, wie unendlich deren Interpretation ist und wie unterschiedlich die Kontexte sein können.

s-o-s architekten

Eingangsbereich und -gebäude, Verkaufsraum

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Der Eingangsbereich der Kristallwelten kommt ohne funkelnde Steine aus. Fängt hier nicht schon das glitzernde Erlebnis an?Ja und nein. Das Gebäude soll Besucher entschleunigen und auf die Kristallwelten vorbereiten. Der Pavillon öffnet sich in Richtung der neu gestalteten Parkanlage und ab da beginnt dann auch das Funkeln.

Das Dach des Pavillons kragt in den Park hinaus und wird von weißen Birkenstämmen getragen. Wie kam es dazu? Der „weiße Wald“ ist Stütze, aber auch eine gestalterische Konsequenz, die sich der Außenanlage anpasst und diese mit dem Eingangsgebäude harmonisch verbindet.

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Auch der Verkaufsraum wurde von Ihnen neu gestaltet. Obligatorische Vitrinen sind nun raumbildende Elemente?Das ist sicherlich der größte Unterschied, es verleiht der Shopgestaltung einen neuen Charakter. Durch das Aufschneiden des Raumes haben wir im Inneren neue spannende Sichtachsen erzeugt und dem Bereich Großzügigkeit verliehen. Vorher war es ein ausschließlich nach innen gerichteter Raum.

Sie begleiten die Kristallwelten schon seit deren Gründung. Seit 2005 sind Sie auch Creative Director. Wie schwierig war es, an dem inhaltlichen Konzept von damals mit neuen Wunderkammern anzuknüpfen?
Die schwierigste Herausforderung liegt darin, das Vermächtnis zu wahren, einen nahtlosen Übergang zu schaffen und dabei auch in die Zukunft zu schauen. In der Abfolge der Installationen müssen Spannungen aufgebaut und der Rhythmus berücksichtigt werden. Entscheidend ist das Orchestrieren der Bereiche. Die Kristallwelten sollen kein Designmuseum werden. Sie sollen eine Erfahrung für alle Sinne und jeden Menschen sein – mit vielen Momenten der Überraschung und des Staunens.

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Nach welchen Kriterien wurden die Künstler ausgesucht?
Das Unternehmen verfügt über ein sehr gutes internationales Netzwerk. Wir haben uns intern intensiv darüber ausgetauscht und immer wieder nach neuen Künstlern Ausschau gehalten, die neue Facetten, Impulse reinbringen könnten. Dazu kommt noch eine gewisse Portion Vertrauen, Intuition und Bauchgefühl.

Gab es seitens Swarovskis irgendwelche Anforderungen an die Künstler?
Nein, es gab keinerlei Vorgaben. Im Zuge der Auswahl haben wir uns intensiv mit den jeweiligen Künstlern und deren formaler Sprache beschäftigt. Wir kannten die inhaltlichen Unterschiede. Es war eine Freude zuzusehen, wie inspiriert sie mit dem Werkstoff experimentierten, obwohl deren Einsatz kein Muss ist. Der Designer Arik Levy etwa hat vor Jahren eine Wunderkammer gestaltet und keinen einzigen Kristall verwendet, sondern sich ausschließlich deren Formvielfalt gewidmet. Die Künstler genießen absolute Freiheit. Die einzige Verbindung ist die Unendlichkeit des Kristalls.

Die Künstlerin Lee Bul hat davor auch noch nie mit Kristallen gearbeitet.
Genau, und es war überraschend zu sehen, wie sie am Schluss vor ihren Kreationen stand und meinte, dass diese nun eine völlig andere Aussage haben.

Was ist für Sie das wesentlichste Merkmal eines Kristalls?
Dass Licht den Kristall zum Leben erweckt und dass der Werkstoff in unendliche Kontexte gesetzt und interpretiert werden kann. Und er hat auch etwas sehr Magisches an sich.


Welche Schlagwörter fallen Ihnen zu den neuen Wunderkammern ein?

Lee Bul: elegant, utopisch.

Studio Job: ironisch, verspielt.

Fredrikson Stallard:Design, Avantgarde.

Tord Bootnje: Kristallpoet.

Cao Perrot: Landschaftsartisten.