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Die Wall Street der Blumen

Wenn morgens um halb fünf Uhr der Wecker läutet, ist das alles andere als rosig. Es ist noch dunkel, als Erik Wassenaar aufsteht. Später wird er sich auf das Rad schwingen und in wenigen Minuten sein Ziel erreichen: das Gelände von Royal FloraHolland in Aalsmeer, 35 Autominuten von Amsterdam entfernt. Hier blüht der Holländer dann auf, und nicht nur er: Im Kühlhaus warten bereits alle erdenklichen Sorten an Blumen und Pflanzen in verschiedensten Farben und Größen. Der 50-Jährige kontrolliert Stiele und Blätter, überprüft das Angebot, Qualität und Menge. "Sobald ich alle Informationen im Kopf habe, kann es losgehen."

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Erik Wassenaar ist Auktionator. Seit zwanzig Jahren sorgt er dafür, dass in Aalsmeer von Schnittblumen bis Gartenpflanzen allerlei Gewächs versteigert wird. Früher noch in einem der großen Säle, in denen Käufer in steil aufsteigenden Reihen sitzen und per Knopf mitbieten. Diese gibt es nach wie vor, Wassenaar leitet sein Geschäft jedoch vom Büro aus – digital über das Internet. "Es loggen sich Händler aus der ganzen Welt ein, bis zu 250 gleichzeitig allein bei mir." Ihr Ziel: So günstig wie möglich Blumen zu kaufen.

Um sechs Uhr setzt sich der Profi seine Kopfhörer auf, die Versteigerung beginnt. Vierzehn Auktionsuhren gibt es in Aalsmeer, bei jeder werden unterschiedliche Sorten feilgeboten. "Ich bin auf Rosen spezialisiert, sie sind mein Fachgebiet." Das System ist hochgefahren, der Zeitmesser bereit. "Ich starte die Uhr bei einem Euro", sagt er und erzählt den Mitbietern etwas über die Sorte, den Züchter, die Ernte und den Preis.

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Derweil rast ein roter Punkt das Ziffernblatt entlang. Und zwar blitzschnell. Jede verronnene Sekunde bedeutet einen geringeren Preis. 50 Cent pro Exemplar. Es ist ein risikoreiches Spiel, ein Nervenkitzel, mit der Hoffnung auf ein Schnäppchen. Und es lastet ein großer Druck auf den Händlern: Sie müssen ausreichend Blumen zu angemessenen Kosten erwerben.

Betätigt einer den Knopf – oder die Leertaste am Laptop –, gehört ihm die Ware zum angezeigten Preis. Wer zögert, spart sich etwas – muss aber schnell genug sein, damit niemand vor ihm zum Zug kommt. In dieser Runde ist es bei zehn Cent so weit. Eine Audioverbindung wird aufgebaut, der Käufer gibt die Anzahl bekannt und das Geschäft ist besiegelt. Meist müssen mindestens zwei Boxen abgenommen werden, die je 200 Stück beinhalten.

"Für die Abwicklung brauchen wir ungefähr zwei Sekunden. Ich muss die Geschwindigkeit halten", sagt Wassenaar. Im Durchschnitt schafft der Auktionsmeister 1500 Transaktionen pro Stunde.

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Zeit ist Geld, das wird bei der "Wall Street der Blumen" in Aalsmeer von Montag bis Freitag klar. Der Wochenbeginn und das -ende weisen den höchsten Umsatz auf. An diesen Tagen kann die gewöhnlich dreistündige Auktion auch einmal bis 11 Uhr dauern.

Im Anschluss wird die Ware rasch verfrachtet und transportiert. Eine logistische Großleistung, die rund 2000 Mitarbeiter auf einem Areal von rund 1,3 Millionen Quadratmetern erbringen. Vor allem Schnittblumen müssen schnell geliefert werden, damit sie nicht welk in den Läden in Österreich und dem Rest der Welt stehen.

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Es riecht angenehm und ist schön anzusehen, der blühende Handel unterscheidet sich jedoch kaum von anderen Geschäften: Am Ende zählt der Gewinn. Royal FloraHolland ist eine Genossenschaft, die vier Blumenbörsen im Land betreibt. Rund 40 Prozent des weltweiten Marktes dieser Sparte werden über sie abgewickelt, das Angebot umfasst 20.000 verschiedene Produkte.

80 Millionen Euro beträgt der Umsatz pro Woche, sagt Wassenaar, vor Valentinstag kann sich dieser fast verdoppeln. "An der Auktionsuhr merken wir, wenn Feiertage anstehen." Der Muttertag, der weltweit an unterschiedlichen Tagen gefeiert wird, spült ebenso Geld in die Kassa wie der internationale Frauentag.

Der größte Blumenhandel der Welt begann jedoch ganz klein, im Jahr 1911 in einem Café in Aalsmeer. Die Idee ist die gleiche geblieben: Die Züchter überließen ihre Ware dem Bestbieter. "Es ist das perfekte Instrument, um Angebot und Nachfrage zusammenzubringen und den besten Marktpreis zu erhalten."

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Wenn Wassenaar heute von "Dolce Vita", "Miami" und "Nicole" spricht, dann weiß er um die Eigenschaften der Rosensorten Bescheid. Es sei aber nicht der "grüne Daumen" gewesen, der ihn im Alter von 18 Jahren an diesen Standort geführt habe, sondern die kurze Anfahrt. Vom Vertrieb schaffte es der Familienvater zum Qualitätskontrolleur und schließlich zum Auktionator.

Heute hat er eine andere Beziehung zu seinem Beruf: "Ich habe mein ganzes Arbeitsleben mit Pflanzen verbracht, das prägt." Daheim umgeben ihn Tulpen oder Sträuße in diversen Varianten. Es gibt undankbarere Formen der Erwerbstätigkeit. "Blumen bringen Farbe in den Alltag und das Glück der Natur ins Haus. Das macht mir Freude." Man darf sich Erik Wassenaar als zufriedenen Menschen vorstellen. Aber Steigerungen sind immer noch möglich – auf alle Fälle von Montag bis Freitag, ab 6 Uhr in den Hallen von Aalsmeer.

www.floraholland.com