Sie ist die Kuratorin der diesjährigen blickfang, einer Verkaufsplattform für Design, Schmuck und Mode. Im Gespräch mit IMMO erklärt die Gestalterin, welche Limits sie zu Beginn ihrer Karriere unterschätzt hat und warum manche Erkenntnisse aus dem Sommerworkshop schmerzlich waren.
So einfach lässt sich weder ihre Arbeit noch ihre Person beschreiben. Bei dem Interview wird man das Gefühl nicht los, dass sie das auch nicht möchte. Schon gar nicht will sie in eine Schublade passen. Doch das tut sie sowieso nicht. Wir erreichen die französische Designerin drei Wochen vor der Wiener Ausgabe der diesjährigen blickfang, die sie heuer kuratiert. Sie wirkt unkompliziert, aber bestimmt. Schon seit Jahren zählt Sempé zu den Wenigen, die sich in der Designbranche einen Namen gemacht haben. Jeder kennt sie und doch unterscheidet sie sich von den anderen. Ihre Arbeiten sind feinfühlig, fokussiert, raffiniert und außergewöhnlich, aber nie wird daraus eine große Sache gemacht.
Der Superlativ kommt nicht vor und er passt auch nicht, denn Sempé will kein Rock- und schon gar kein Superstar sein. Obwohl einige Projekte und Objekte durchaus das Potenzial dazu hätten. Doch der Produktdesignerin geht es um viel mehr, es geht ihr um das Wesentliche: die Dinge des Alltags. Und das wirkt im Kontext mit den unzähligen Neuerscheinungen der Industrie durchaus erfrischend, denn oft scheint es, als würde die Branche den täglichen Gebrauch ausblenden. Doch Inga Sempé blendet nicht aus, im Gegenteil sie stellt sich Herausforderungen, sie traut sich "Nein" zu sagen, steht zu ihren Entscheidungen und Ansätzen. Diese Konsequenz macht sich auch in ihren Arbeiten bemerkbar, vielleicht liegt darin auch ihr Erfolg – sie verbiegt sich nicht.
Als Kuratorin waren Sie heuer zwei Tage lang am Vitra Campus in Weil am Rhein mit Designern aus unterschiedlichen Bereichen. Welche Ziele verfolgt der Workshop?
Es ist keine Plattform für Kreative im herkömmlichen Sinn, es ist viel mehr eine Unternehmensberatung. Mit zwei weiteren Mentoren haben wir versucht junge Designer in ihrer Arbeit zu unterstützen. Wir haben unsere Erfahrungen weitergegeben, die im Idealfall dafür gesorgt haben, dass die Projekte verbessert wurden. Oft sind sie so mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie Wesentliches außer Acht lassen, häufig ist das die industrielle Umsetzung. Viele vergessen die Produktionsprozesse einzuplanen, doch gerade das ist fatal.
In Ihrer Arbeit sind Ihnen vor allem technische Komponenten wichtig. Wie schwierig war es nun zu sehen, dass ebendieser Aspekt oft unberücksichtigt bleibt?
Sehr. Alle Teilnehmer wollen vorrangig als ihr eigener Produzent wahrgenommen werden. Doch dieser Gedanke hält nicht, wenn man beim Entwerfen nicht an die Fertigung denkt. Einige wollen sich selbst promoten, doch das geht meistens schief.
Viele haben Probleme, ihre Ideen klar zu kommunizieren – etwa die richtigen Bilder zu zeigen. Die Auswahl war zum Teil erschreckend. Sie kennen ihre Produkte in- und auswendig, doch sie vergessen dabei, dass sie das Gegenüber zum ersten Mal sieht. Es bedarf einer ganz anderen Bild- und Präsentationssprache sowie Auswahl. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass das beste Produkt nicht verstanden wird.
Interessant fand ich auch, dass viele junge, vorwiegend deutschsprachige Männer gravierende Schwierigkeiten hatten, Ratschläge anzunehmen. Sie waren stur in ihren Vorstellungen und es hat länger gebraucht, um sie von anderen, durchaus besseren Lösungsansätzen zu überzeugen. Äußerst kritikresistent, dafür mit verblüffendem Selbstvertrauen ausgestattet. Überraschend hingegen die Positionierung einiger Frauen: Zuerst kam die Definition über die Mutterrolle, dann die der Gestalterin – für mich eine schmerzvolle Erfahrung.
Weil das Klischee der Rabenmutter noch immer präsent ist?
Genau. Es ist doch schlimm, dass das hier noch ein Thema ist.
Wenn Sie an Ihre Anfänge zurückdenken, welchen Ratschlag würden Sie sich heute geben?
Damals hatte ich keine Vorstellung von technischen Limits. Ich hatte keine Kenntnisse über industrielle Fertigung und war in diesem Punkt sehr naiv. Die Folge? Zuerst waren die Entwürfe fertig und dann musste ich jeden einzelnen wieder überarbeiten – so lange, bis eine serielle Herstellung ermöglicht werden konnte.
Heute berücksichtige ich Produktionsrelevantes bereits von der ersten Skizze weg. Die Fehler waren wichtig, weil ich nur so verstanden habe, wie wichtig der industrielle Part ist. In ästhetischen Punkten wie Farbe, Form und Material vertrete ich die Meinung, dass das Teile der Kreativität sind, denen man treu bleiben sollte. Zudem ist eine starke Persönlichkeit wichtig.
Als Kuratorin sind Sie Teil der Jury, die unter den Ausstellern je Kategorie (Mode & Schmuck und Möbel & Produkte) den Designpreis verleihen wird. Was muss ein Produkt haben, damit Sie dafür stimmen?
Es muss gut und schön gemacht sein. Die Präsentation muss logisch sein, ich muss nachvollziehen können, worum es dabei geht. Wenn der Prozess – vom Anfang bis zum Ende – clever durchdacht wurde, dann hat er eine Auszeichnung verdient.
Dem Möbel- und Produktdesign wird oft deren Nutzen und Überfluss gegenübergestellt, selbst bei kleinen Serien. Wie stehen Sie zu solchen Kritiken?
Ich bin überrascht, dass diese Kritiken immer nur der Produkt- und Möbelindustrie angelastet wird. Die Modewelt produziert, auch saisonbedingt, in viel schnelleren Zyklen mit riesigen Stückzahlen, aber das scheint niemanden zu stören. Die Entstehungsprozesse sind umfangreicher, da sie nachhaltiger sein müssen, im Idealfall überdauern sie nicht nur eine Saison.
In Interviews sprechen Sie oft darüber, dass Sie vor allem an Objekten aus dem täglichen Leben interessiert sind. Trifft das nicht letztlich auf alle Gegenstände zu?
Ja und nein. Ich verstehe darunter Produkte, die jeden Tag gebraucht und genutzt werden. Die einfach, aber nicht minimalistisch sind, und die dem Nutzer neue, technische Details bieten. Und diese in Entwürfen unsichtbar zu machen, ist für mich immer wieder eine spannende Herausforderung. Es geht um das harmonische Zusammenspiel verschiedener Komponenten, die ein Objekt erfolgreich machen. Zwei Stühle (in einer Preiskategorie) zum Beispiel sind einem unglaublichen Konkurrenzdruck ausgesetzt. Es ist umso schwieriger und fordernder mit neuen Ansätzen aufzuwarten.
Gibt es Produkte, die Sie gestalten möchten, aber bislang nicht die Möglichkeit dazu hatten?
Ich wollte schon immer einen Ofen planen, prähistorische Materialien faszinieren mich. In vielen Haushalten ist es ein Centerpiece in der Küche, hier spielt sich auch oft das Familienleben ab. Schreibtische würde ich auch spannend finden – schon sind wir wieder bei den Gegenständen des täglichen Lebens.
Die Zukunft des Designs ist ...?
Keine Prognose, aber es ist Fakt, dass es immer mehr Produktdesigner gibt, die Hersteller jedoch immer weniger werden.
Design muss eine Geschichte erzählen: Nur ein Marketingtrick oder absolute Notwendigkeit?
Definitiv Ersteres. Mich hat noch nie ein Produkt angesprochen, weil mir dazu eine spezielle Geschichte erzählt wurde. Verführt werde ich hingegen von clever gemachten Produkten oder jenen, die mich aufgrund ihrer Form ansprechen. Zudem denke ich, dass das nur Leute beeindruckt, die über kein kulturelles Designverständnis verfügen. Ausnahme wäre es, wenn es um eine spezielle Fertigung geht, die ich unbedingt dazu erzählen muss, weil sie nicht gesehen werden kann. Aber wenn es darum geht, mir zu erklären, wie der Kurvenradius von einer Landschaft inspiriert wurde, dann finde ich, dass es eine Themenverfehlung im Job wie im Inhalt ist.