Wie Forscher dem Antisemitismus jetzt zu Leibe rücken wollen
Als das Parlament vor zwei Jahren eine Antisemitismus-Studie in Auftrag gab und unter anderem herausfinden wollte, ob es einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Verschwörungsmythen gibt, war die Aufregung groß: 59 Prozent der Befragten mit hohem Hang zu Verschwörungstheorien stimmten nämlich der Aussage zu, dass „eine mächtige und einflussreiche Elite (z. B. Soros, Rothschild, Zuckerberg …) die Corona-Pandemie nutzt, um ihren Reichtum und den politischen Einfluss weiter auszubauen“.
„Antisemitismus ist immer noch ein gesellschaftlich relevantes Problem“, sagt die Historikerin Heidemarie Uhl vom Institut für Kulturwissenschaften. Und weiter: „Daher hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften beschlossen, tätig zu werden.“ Pünktlich zum morgigen Holocaust-Gedenktag ruft die ÖAW ein Antisemitismus-Forschungsprojekt ins Leben.
Am 27. Jänner werde der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945 durch die Rote Armee gedacht, erinnert die ÖAW. Das Ende des Holocaust bedeutete aber nicht das Ende des Antisemitismus. Ursachen, Auswirkungen und Erscheinungsformen des gegenwartsbezogenen Antisemitismus seien viel zu wenig erforscht. Jetzt will die ÖAW diese Forschungslücke schließen und ein international verankertes und interdisziplinär ausgerichtetes Center of Excellence aufbauen.
Es sei eine Premiere in Österreich, sagt Uhl. Es gebe zwar viele verdiente Forscher, aber bisher keinen ausgewiesenen Forschungsbereich zum Thema. Da hinke man anderen europäischen Ländern, vor allem Deutschland, wo es zahlreiche renommierte Forschungseinrichtungen gibt, hinterher.
Was läuft international?
„Wir wollen das Rad aber nicht neu erfinden“, sagt Uhl und verweist auf die valide internationale Forschung. „In einem ersten Schritt werden wir also eine Bestandsaufnahme machen – was läuft international in der Antisemitismusforschung.“ Danach will die renommierte Historikerin, die den neuen Schwerpunkt leiten wird, mit ihrem Team die international relevanten Projekte definieren.
ÖAW-Präsident Heinz Faßmann weiß schon, in welche Richtung es gehen soll: „Antisemitismus ist weiterhin ein Thema der Zeit. Die Wissenschaft kann dies negieren oder sich ernsthaft damit auseinandersetzen. Wir entschließen uns für zweiteres und werden uns mit dem Gegenwartsantisemitismus auseinandersetzen, mit der Rolle der sozialen Medien, der politischen Verbrämung, den Möglichkeiten der schulischen Aufklärung und anderes mehr. Wir werden mit den Universitäten und den außeruniversitären Forschungsinstituten in Österreich und dem Ausland zusammenarbeiten. Und wir werden einen Kontrapunkt zu den politisch aufgeladenen Kontroversen setzen.“
In einem Punkt ist Uhl sich bereits sicher: Bildung spiele eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, ob Menschen antisemitischen Mythen aufsitzen oder nicht. Darum meint die Historikerin abschließend: „Das, was erforscht wird, soll an die Gesellschaft zurückgespielt werden. Zum Beispiel, wenn es darum geht, welche Strategien es gibt, um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Hier arbeiten wir eng mit Experten aus dem Bildungs- und Vermittlungsbereich zusammen.“